=> Boten des Lichts von James F.Twyman
 1997

»Kaum jemand will wahrhaben, wie einfach das ist«, fuhr er fort. »Darum wirst du mit einer Methode arbeiten, die man als Mittelding zwischen den beiden eben beschriebenen Wegen bezeichnen kann. Du sagst den Leuten, daß sie ihre angstvollen Gedanken zwar wahrnehmen, aber sie nicht definieren sollen. Mit anderen Worten, der Intellekt soll nicht benutzt werden, um die Gedanken zu bewerten. Gedanken werden als Energie betrachtet, die emotionale Auswirkung eines Gedankens wird gefühlt, und dann wird die Energie in eine andere Richtung gelenkt.
Ich werde dir erklären, wie die Boten die Gotteskraft verströmen. Wenn ein Mensch aufhört seine Gedanken als richtig oder falsch, gut oder schlecht zu bewerten, vermittelt er sich in Form von Energie, anstatt nur den Intellekt anzusprechen. Die Boten benutzen jeden Gedanken, der ihnen in den Sinn kommt auch Gedanken, die du wahrscheinlich als negativ bezeichnen würdest. Aus diesem Grund sind sie fähig, die Kraft von Gedanken sinnvoll einzusetzen, anstatt sich von der Energie eines Gedankens überrumpeln und beherrschen zu lassen. Gefühle können schwanken, sowohl in ihrer Intensität als auch ihrer Vibration, aber ihre Kraft beziehen sie aus unseren Gedanken über diese Gefühle. Du kannst zum Beispiel Wut in einem Teil deines Körpers empfinden und Freude in einem anderen Teil, wobei sich die Wut ganz anders anfühlt als die Freude. Wenn du wütend wirst, verspannt sich der Körper, und wenn du froh wirst entspannst du dich. Und was geschieht, wenn du sämtliche Werturteile und Gedanken über diese Gefühle fallenläßt und die Umstände, die diese Gefühle erzeugt haben, vergißt? Dann wird jedes Gefühl als pure Energie erfahren.
Ich werde dir eine Übung zeigen: Mach die Augen zu und erinnere dich an die tiefste oder höchste Glückserfahrung, die du je gehabt hast. Fühle die Intensität dieser Erinnerung. Und nun schau, in welchem Körperteil sich das Gefühl bemerkbar macht. Empfindest du das Glücksgefühl in der Brust? In deinem Kopf? Vergiß die Umstände, die das Gefühl ausgelöst haben. Behalte keine Einzelheiten im Sinn. Beurteile nichts, sondern betrachte das Gefühl mit dem Abstand eines unbeteiligten Beobachters. Und nun kannst du deinen Geist benutzen, um das Gefühl in die Brustgegend zu verlagern, in den Bereich, den du als Herz bezeichnest.«
Er hielt inne, während ich mir den Moment ins Gedächtnis riet an dem ich mein neugeborenes Kind zum ersten Mal in den Armen hielt. Die Arzthelferin gratulierte mir zu der Tochter und erklärte: »Alle Jungs sind doch Muttersöhnchen, aber ein Mädchen ist und bleibt Papas süßer, kleiner Schatz!« Das Wunder des Lebens offenbarte sich für mich in diesem winzigen, auf unfaßliche Weise lebendig gewordenen Geschöpf. Es war das wunderbarste Gefühl, das ich je gehabt hatte.
»Nun stell dir eine Meine Tür im Zentrum deiner Brust vor«, sagte der Lehren »Stell dir vor, daß sich die Tür jetzt öffnet und während sie sich auftut, strömt all die Energie, die du im Herzen hältst, wie ein brillantweißer Lichtstrahl aus dir heraus. Laß die Energie aus dir herausströmen, mit all ihrer Intensität. Mit diesem Lichtstrahl ist kein Gedanke oder Werturteil mehr verbunden, keine Verschleierung oder mentale Überlagerung. Du setzt Energie frei, das ist alles. Mach weiter, bis die Energie in deiner Brust sich verflüchtigt hat.«
Ich fühlte den Energiestrom aus meiner Brust hervortreten, sowohl körperlich wie emotional. Es war in erster Linie eine leidenschaftliche Empfindung. Je weniger ich darüber nachdachte, desto intensiver wurde die Energie.
»Deine Gedanken über irgendein Gefühl sind wie ein Schleier, der das Gefühl überlagert, um es zu identifizieren und die Bedeutung, die das Gefühl für dich hat, zu definieren«, fuhr der Lehrer fort. »Deine Interpretation des Gefühls ist ein Filter, den du einschiebst damit das Gefühl verdeckt wird und du dir deine Meinungen über deine Person erneut vor Augen führen kannst. Ein Mensch mit einem generell positiven Selbstbild neigt dazu, den Filter der Freude einzuschieben, anstatt den Schleier der Traurigkeit über seine Empfindungen zu werfen. Aber hinter all diesen Schleiern und Filtern steht pure Energie. Energie ist das, was wirklich erfahren wird, denn Energie ist die Essenz jedes Gefühls. Wenn du deine Gedanken über irgendein Gefühl fallenläßt erfährst du die undefinierte, formlose Energie, auf der die gesamte Schöpfung beruht.
Und nun besinne dich mit geschlossenen Augen auf das, was dir am meisten Angst macht. Fühle die Angst in deinem Körper und stell dir jede Einzelheit so genau wie möglich von Wo sitzt das Angstgefühl? Im Bauch? In deiner Kehle? Und nun laß den Gedanken daran fallen, laß die Einzelheiten los und behalte nur das Gefühl im Sinn, genau wie bei der ersten Übung. Fühle die Energie, ohne zu beurteilen, ob sie gut oder schlecht ist. Jetzt verlagere das Gefühl in deine Brust und laß es dort anschwellen, immer mächtiger werden.«
Er verstummte, während ich das Gefühl vom Bauch in meine Herzgegend heraufzog. Sobald ich das Werturteil über das Gefühl fallenließ, veränderte sich die Energie. Nicht in ihrer Intensität sondern in dem, was sie bezwecken wollte. Die Energie war jetzt absichtslos, während das Gefühl unverändert blieb - stark und leidenschaftlich wie zuvor Den Anweisungen meines Lehrers folgend, stellte ich mir die winzige Tür in meinem Herzen vor und ließ das Licht daraus hervortreten. Wieder fühlte ich die enorme Kraft des Lichtstroms, der wie ein Schwall aus mir hervorbrach. Die Erfahrung war weder freudig noch negativ, sondern kraftvoll und leidenschaftlich, als wollte sich eine gewaltige Menge psychischer Energie auf diese Weise freisetzen.
»Willkommen in der Welt der Lichtboten«, sagte er lächelnd. »Das ist es, was die Boten bei der täglichen Meditation machen. Weißt du, Energie ist schlicht und einfach Energie, also weder positiv noch negativ. Wie du Energie interpretierst, hängt immer davon ab, welchen Wert du irgendeiner Vibration beimißt. Wenn du deine Wertvorstellungen aufgibst, kannst du all deine Gefühle, jede Aufwallung, jede Regung benutzen, um Energie auszustrahlen, also pures, göttliches Licht. Ohne Werturteile besteht kein Unterschied zwischen deinen schreckenerregenden Gedanken und deinen freudigen, erhebenden Gedanken. Daß du die Gefühle in deine Brust verlagerst, hat seinen Grund. Das Herz ist das Zentrum der Liebe und Anteilnahme, der Mittelpunkt, an dem alles Unausgewogene in reines Licht zurückverwandelt wird. Also verbreitest du im Grunde genommen Liebe, wenn du den Lichtstrahl aus deinem Herzen strömen läßt. Und diese Liebe ist nichts anderes als deine essentielle Wesensnatur. Es ist keine intellektuelle Erfahrung. Wie du gesehen hast mischen Gedanken sich nur störend ein. Wenn es heißt du sollst deine Werturteile freisetzen, bedeutet es, daß du deine Gedanken beiseite lassen und deinen Gefühlen vertrauen sollst. Emotionen sind das Dynamit das das göttliche Licht in dir explodieren läßt. Mit einem klaren Geist werden Gefühle zu einem gebündelten Laserstrahl, der die Schleier der Illusion in nichts auflöst und direkt zur Wahrheit der Schöpfung vorstößt.«
»Hast du diesen Lichtstrahl gemeint als du gefragt hast ob ich Farben und Lichtvisionen während meiner Meditationssitzung gesehen habe?« wollte ich wissen.
»Während der Meditation fokussieren die Boten ihre Gefühle auf die Mitte des Rades. Wir klären unseren Geist und kontaktieren unser essentielles Selbst; dann lassen wir den Lichtstrahl aus unserem Herzen hervortreten, genau wie du, wenn du die Tür in deinem Herzen visualisierst. Der Lichtstrahl rast an den Speichen des Rades entlang und wird dabei von den Symbolen verstärkt. Wie es genau funktioniert ist unwichtig. Was die Boten tun, ist einzigartig, aber nicht weit von dem entfernt was du anderen beibringen sollst. Mit der Methode, die ich dir eben gezeigt habe, wird die Angst freigesetzt die den natürlichen Liebesstrom der meisten Menschen blockiert. Was übrigbleibt ist pure Energie, eine Kraft, die jeder Mensch für seine eigene Transformation benutzen kann. Wer diese Technik praktiziert, sendet einen Strom lebenspendender Energie aus, der die kollektive Erweckung beschleunigt. Je mehr Menschen ihre Angst freisetzen und sie in Licht verwandeln, desto schneller tritt die Menschheit in die nächste Phase ihrer Entwicklung ein. Die Erlösung von der Angst ist der Schlüssel. Deshalb konzentriert sich deine Arbeit auf diesen einen Punkt.«


.....und doch saß der Lehrer leibhaftig vor mir. Wenn ich die Hand ausstreckte, konnte ich ihn berühren... aber etwas gebot mir, es nicht zu tun. Der Lehrer war nicht physisch anwesend, sondern erschien mir in Form einer vollkommen realistisch wirkenden Projektion.
»Wo bist du hingegangen?« fragte ich, »Duro und ich haben niemanden mehr in der Kommune gefunden.«
»Warum wundert dich das? Wie Duro schon sagte: Unsere Aufgabe ist erfüllt worden. Und nun erfüllst du deine Aufgabe.«
»Und warum erscheinst du mir jetzt auf diese Weise?«
»Weil ich dir noch etwas sehr Wichtiges zeigen will. In Sarajewo hast du das Unveränderliche und ewig Wahre hinter den scheinbaren Verwüstungen und dem Konflikt sehen können, und so hast du Frieden gestiftet - den Menschen eine wahre Vision ihrer selbst nahegebracht. Nun möchte ich dir etwas zeigen, das dich persönlich weiterbringt. Wir nennen es >Die Schwelle zur Ewigkeit<. Bevor du dein Amt als Bote vollends erfüllen kannst, mußt du die Schwelle zur Ewigkeit überschreiten. Du kannst sie dir als Verbindungsstück zwischen der Welt der Erscheinungen und der realen Welt vorstellen, als das hauchdünne Zwischenreich, das Einbildungen von der Wahrheit trennt. Sobald du die Schwelle überschreitest, trittst du aus der Zeit heraus und gehst ins Ewige ein. Und wenn du wieder zurücktrittst und auf der Schwelle stehenbleibst, kannst du deine Mission erfüllen.«
»Und was ist meine Mission?« fragte ich.
»Du sollst eine neue Gruppe von Boten einweihen. Tausende von Menschen sind jetzt am selben Punkt wie du angelangt und bereit, den Schritt ins zeitlose Sein zu tun. Ihr werdet auf andere Weise existieren als wir. Mitten in der Welt werdet ihr leben und doch nicht von der Welt sein. Ihr werdet anderen als Beispiel dienen. Die neuen Boten ebnen den Weg für den Rest der Menschheit, indem sie auf der Schwelle stehen und die Tore zur Ewigkeit offenhalten.«
»Was verstehst du unter den >Toren zur Ewigkeit<?«
»Es ist eine Öffnung in andere Dimensionen, die in jedem von euch existiert. Als Mensch lebst du in einem dreidimensionalen Universum, aber es gibt weitere Dimensionen, die vielleicht nicht bewußt wahrgenommen werden und doch jederzeit offenstehen. Ein echter Bote nimmt viele verschiedene Dimensionen gleichzeitig wahr. Das Tor steht immer unmittelbar vor dir. Du mußt es nicht herstellen, nur lernen, wie es wahrgenommen wird. Du kannst es spüren und mit den inneren Augen erkennen. Je mehr Aufmerksamkeit du ihm widmest, desto mehr Kraft fließt durch das Tor zu dir hin. Und irgendwann zieht die Kraft dich durch das Tor hindurch, und nicht nur dich, euch alle. Ihr werdet in eine vierte Dimension gezogen, die Seinsebene jenseits von Zeit und Raum, die man als kausale Ebene der Existenz bezeichnen kann. Auf dieser Ebene wird man eins mit dem göttlichen Licht, der Quelle der Schöpfung. Und danach tritt man zurück, ins physische Universum zurück, und trägt etwas von der vierten Dimension in die körperliche Welt hinein. Solche Geschenke machen die Boten der Welt.«
»Du meinst, daß man körperlich durch das Tor tritt daß man eine völlig neue Welt mit dem Körper betritt?«
»Du glaubst, daß dein physischer Körper getrennt von deinem Geist existiert. Ich nicht. Ich sage, daß du mit jedem Element deines Seins durch das Tor gehst, und dazu gehört auch dein physischer Körper. Auch er muß vom Licht transformiert werden. Wenn du das Tor tatsächlich komplett durchschreitest, kannst du entscheiden, ob du zurückkehren willst. Manche kehren nicht zurück, und daran ist nichts auszusetzen, nur mußt du dich daran erinnern, daß du dich für eine Rolle als Bote entschieden hast, und Boten kehren unweigerlich zurück. Sie halten sich im Tor auf. Du und alle, die nach dir kommen, reichen der Menschheit die Hand. Wie Leuchtfeuer werdet ihr auf der Schwelle stehen und anderen als Wegweiser dienen, so, wie ich dir gedient habe.
Alles, was du je bei uns gelernt hast, führt dich von Zeitvorstellungen fort und zum Tor der Ewigkeit. Der Weg beginnt mit der Freisetzung der Angst und zeigt dir, was hinter den Illusionen des Getrenntseins liegt. Damit wird dein ganzes Sein von Licht durchflutet, und wenn sich die göttliche Lichtflut in dir aufgestaut und jede Körperzelle durchdrungen hat, siehst du das Tor. Eine kleine Verlagerung deiner Aufmerksamkeit offenbart dir, daß das Tor permanent vor dir steht.«
»Wie?«
»Dein pures Verlangen zeigt dir das Tor. Ich kann dir zeigen, wie du deine Aufmerksamkeit auf das Tor konzentrierst, aber was dahinterliegt, erfährst du nur, wenn du den Wunsch hast, das Tor zu durchschreiten und im zeitlosen Sein aufzugehen.«
Er forderte mich auf, die Übung zu wiederholen, die ich von ihm gelernt hatte. Ich konzentrierte all meine Gefühle auf einen Körperteil, zog den Energieball dann in mein Herz und ließ den Lichtstrahl aus meiner Brust herausschießen. Mein ganzer Körper vibrierte von innen her. Die Symbole auf den Steinen verschwammen und glühten ebenfalls wie von innen heraus auf. Energie brach aus meinem Herzen hervor und erfüllte alles in meinem Blickfeld mit Licht.
»Und nun schau ins Nichts, ohne dich zu konzentrieren. Schau einfach unfokussiert in den leeren Himmel hinein«, fuhr mein Lehrer fort. »Laß das Licht aus deinem Herzen im leeren Himmel verströmen. Gib dir vorerst keine Mühe, das Tor mit den Augen zu sehen; laß dich von deiner Intuition und deinen Gefühlen leiten. Das Tor ist hier, direkt vor dir, du mußt es lediglich vor dir auftauchen lassen. Du spürst, wie das Licht, das aus deinem Herzen hervortritt, im leeren Himmel verschwindet. Aber es verschwindet nicht, sondern wird durch das Tor ins Unendliche hineingezogen. Du spürst diesen Sog und merkst dabei, daß du dich allmählich ausdehnst. Langsam dehnst du dich aus und nimmst eine Öffnung wahr - keine physische Öffnung, sondern eine Jenseitige, eine dimensionslose Offenheit, die das Tor zu einer formlosen Seinsebene ist.«
Während er sprach, spürte ich, daß sich eine Öffnung in dem Bereich auftat, auf den ich blickte, und einen Sog ausübte. Mit den Augen sah ich nichts, dennoch empfand ich deutlich, daß das Licht aus meinem Herzen herausgezogen wurde und im Bereich der Öffnung verschwand. Nach etwa einer Minute formte sich etwas vor meinen Augen, das wie eine hauchzarte, biegsame Fensterscheibe wirkte und im leeren Raum schwebte. Der Sog wurde so stark, daß es sich anfühlte, als würde ich mit dem Licht zu dem Tor hingezogen. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als vollends in der Welt hinter dem Tor aufzugehen.
»Laß dich von der Anziehungskraft des Tores übernehmen«, sagte mein Lehrer. »Das Licht, das du auf die Öffnung projizierst, ist wie ein Tau, das dich immer näher heranzieht. Laß dich aus der Zeit heraus in die Ewigkeit ziehen. Laß deine Sehnsucht so übermächtig werden, daß du gar nicht anders kannst, als dich vom Licht mitreißen und einfach forttragen zu lassen.«
Ich hatte das Gefühl, von der Öffnung aufgesaugt zu werden. Ringsumher verblaßte alles; mein Verstand funktionierte nicht länger auf die gewohnte Weise. Ich war im tiefen Frieden und zugleich von maßloser Kraft erfüllt. Ob mein Körper sich bewegte oder nicht, war nicht mehr feststellbar. Ich spürte nur, daß meine Essenz vorwärtsgezogen und einer unsäglichen Erfüllung entgegengetragen wurde. Langsam wurde alles, was mich ausmachte, dem Tor entgegengeschwemmt, und was dahinterlag, war so gigantisch, als befände sich das gesamte Universum auf der anderen Seite. Jäh ging mir auf, daß die Welt, wie ich sie kannte, verschwinden würde, wenn es so weiterging. Mein ganzes Wissen würde sich dabei in nichts auflösen.
Mit diesem Gedanken verengte sich meine Wahrnehmung. Plötzlich spürte ich einen Sog, der mich unaufhaltsam in meinen Körper zurückzog. Das Tor zur Ewigkeit verschwand, und meine Umgebung wurde deutlicher:
der Felsen, auf dem ich saß; der Lehrer, der weiterhin sichtbar war.
Enttäuscht fragte ich, was passiert war.
»Angst. Du hast dir blitzschnell überlegt, was passieren könnte, wenn du dich vollends hingibst. Einen Augenblick lang hast du befürchtet, daß du alles, was du weißt und kennst und liebst, für immer verlierst, wenn du aus der Zeit heraustrittst - als würde alles Liebenswerte dabei verschwinden. Das einzige, was dich daran hindert, das Tor zur Ewigkeit wahrzunehmen, ist Angst. Daß du zurückgeschreckt bist, wundert mich nicht. Erstaunlich wäre es gewesen, wenn du gleich beim ersten Mal durch das Tor geschlüpft wärst. Wenn du das Tor wahrnimmst, hast du einen Durchbruch gehabt, und das allein ist schon ganz hervorragend.«
»Kann ich das Tor jederzeit wiedersehen?«
»Schau geradeaus vor dich hin, ohne dich auf etwas Bestimmtes zu konzentrieren, dann siehst du, ob du das Tor wiederfinden kannst.«
Ich holte tief Luft und entspannte den Blick meiner Augen, so daß sie blicklos in die Gegend schauten. In Sekundenschnelle verlagerte sich meine Wahrnehmung von selbst auf das Unbekannte, das noch nie Gewußte - die Öffnung, aus der mir der unbeschreibliche Friede entgegenströmte: das Tor zur Ewigkeit.
»Du mußt das Tor nur einmal finden, dann kannst du es jederzeit wiedersehen«, sagte der Lehrer. »Hab keinen Blickpunkt, dann siehst du alles. Deine Augen sind trainiert worden, nach außen zu schweifen und das Tor zu übersehen. Fokussiere deinen Blick und deinen Geist auf nichts, und sieh, was immer schon in deinem Blickfeld gelegen hat. Wenn kein Rest von Angst in dir übrigbleibt, stellst du fest, daß du ganz von selbst durch das Tor gezogen wirst. Mühelos läßt du deine Zeit- und Raumvorstellungen hinter dir und erlebst dein eigenes Sein als das ewige Sein, und danach trittst du zurück und stehst auf der Schwelle zur Ewigkeit. Dann bist du ein Wegweiser, ein Bote des Lichts. Ich habe dir alles, was gesagt werden kann, vermittelt. Ein anderer wird dich in die nächste Ebene einweisen.«
»Ein anderer Lehrer?« fragte ich. »Willst du dich von mir zurückziehen?«
»Du findest mich, wo ich schon immer gewesen bin - in dir. Über den, der kommt, kann ich dir nichts Genaueres sagen. Nur, daß du ihn brauchst und er dir helfen wird. Aber eins mußt du tun: Du mußt durch das Tor gehen und darfst nichts anderes wollen, nichts anderes als dein zeitloses Sein begehren. Es muß dein einziger Wunsch sein. Es gibt nichts Wichtigeres als das.«
Das Leuchten seines Körpers verstärkte sich, bis ich die Umrisse meines Lehrers kaum noch wahrnehmen konnte. Es war, als wollte das Licht ihn vereinnahmen, als ginge er selbst soeben durch das Tor.
»Jimmy, es gibt keinen Tod. Ich bin nicht gestorben. Es gibt nur das Leben. Nur das Leben ist real, ganz gleich, wie realistisch dir dein Körper und meiner auch vorkommen mag. Sprich von den Dingen, die du hier gesehen hast. Erkläre den Menschen, daß sie heilig sind, denn alle sind Boten des Lichts. Mit dem Schritt auf die nächste Entwicklungsstufe werden sie neue Verpflichtungen auf sich nehmen. Hilf ihnen, die Bürde der jahrtausendealten Selbstvergessenheit fallenzulassen. Zeige ihnen, wo der Friede zu finden ist - im Inneren jedes einzelnen. Ich bin immer bei dir, Jimmy. Vergiß es nie.«
Plötzlich verschwand er, und mit ihm das blendendweiße Licht. Ich saß allein auf einem Felsenturm. Ich schloß die Augen und atmete tief aus.