DIE ZEIT


Wirtschaft 18/2002

"Weiße Maske auf schwarzer Haut"

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In Afrika ist die Modernisierung gescheitert. Die industrialisierte Welt liefert unbrauchbare Rezepte. Diktatoren wüten wie einst die Kolonialherren. Warum es dem Kontinent nicht gelingt, der Armut zu entkommen

von Bartholomäus Grill

Der erste Lokführer war sternhagelblau, der zweite farbenblind. Beide übersahen das Stoppsignal. Jedenfalls erzählen das die Leute auf der Straße. Fest steht, dass der Güterzug entgleiste und die Bahnlinie zwischen der Bergbauregion im Landesinneren von Guinea und dem Atlantikhafen Kamsar tagelang blockiert war. Auf der Strecke wird Bauxit transportiert, ein mineralisches Gemenge, das für die Herstellung von Aluminium unentbehrlich ist. Guinea lebt vom Bauxit, es ist nach Australien der zweitgrößte Produzent der Welt. Nun war seine ökonomische Hauptschlagader verstopft - durch zu viel Schnaps und zu wenig Achtsamkeit.

Ob alle Details dieser Geschichte der Wahrheit entsprechen? Das lässt sich in Afrika nie so genau sagen. Aber sie steht als Gleichnis für die Wirtschaftslage des Kontinents: Afrika, reich an Rohstoffen, Energiereserven und Arbeitskräften, bleibt in Armut gefangen, weil Schlamperei und Inkompetenz regieren. Es ist, als würden jeden Tag tausend Züge entgleisen.

Leben im Slum der Weltwirtschaft

Der "schwarze Erdteil" ist der Slum der Weltwirtschaft. 48 Staaten bringen es zusammen auf das Bruttosozialprodukt von Belgien. Drei Viertel der 650 Millionen Afrikaner leben in Armut, jedes dritte Kind ist unterernährt. 28 Millionen Menschen sind HIV-infiziert oder an Aids erkrankt. Die durchschnittliche Lebenserwartung ist auf 48 Jahre gefallen, Afrikas Anteil am globalen Handel auf knapp ein Prozent gesunken. Pessimisten prophezeien, die nächste Generation werde noch ärmer, kränker und schlechter ausgebildet sein. Und noch weniger Chancen im globalen Wettbewerb haben.

Im Oktober 2000 taxierte Stefan Mair vom Berliner Institut für Wissenschaft und Politik gemeinsam mit fünf namhaften deutschen Afrika-Experten die Zukunftsaussichten des Kontinents. In die Kategorie der Schwellenländer fielen nur 2 Zwergstaaten, die Seychellen und Mauritius; 8 Staaten - Ghana, Kap Verde, Gabun, Äquatorialguinea, Botsuana, Namibia, Lesotho und Südafrika - wurden zu den potenziellen Reformländern gezählt. Der Rest, so die Wissenschaftler, habe geringe oder keine Entwicklungschancen. 13 Staaten seien ohne jede Perspektive, unter ihnen Somalia, Sierra Leone, Burundi, Kongo, Malawi, Madagaskar. Fazit: "Entwicklung im Sinne nachhaltiger Armutsreduzierung wird für die meisten Länder Afrikas auch in den nächsten 30 bis 50 Jahren nicht möglich sein." Die Gemeinde der Afrophilen reagierte empört: Afrika werde abgeschrieben, hieß es. Allein, die Fachleute haben jenseits der üblichen Untergangsszenarien und des überoptimistischen Wunschdenkens einen realistischen Befund geliefert.

Aber warum gerade Afrika? Wer ist schuld an seiner Misere? Nur die als korrupt und rückständig verschrienen Afrikaner? Oder dunkle Außenmächte, die Agenturen des Weltkapitals, die Börsenhaie und profitgierigen Multis?

Wer die afrikanische Dauerkrise verstehen will, muss sich zunächst die Ausgangslage vor Augen halten. Tatsächlich hat die Natur den Kontinent nicht eben bevorzugt. Seine Bewohner sind extremen Klimaverhältnissen ausgesetzt - Regenzeiten mit gigantischen Niederschlägen oder langen Dürreperioden. Fruchtbares Land ist rar, vielerorts herrscht chronischer Wassermangel. Kein anderer Erdteil wird so oft von Katastrophen heimgesucht, von Buschfeuern, Sandstürmen, Insektenplagen oder biblischen Fluten. Im Tropengürtel erschweren tückische Infektionskrankheiten das Leben, Bilharziose, Malaria, Gelbfieber. Entsprechend schlecht ist der allgemeine Gesundheitszustand. Afrika, die Wiege der Menschheit, ist heute der Ort mit den härtesten Existenzbedingungen.

Zur Tyrannei der Natur kommt der Fluch der Geografie. Die meisten subsaharischen Staaten liegen abgeschnitten von den Küsten wie große unzugängliche Inseln im Inneren des Kontinents - manche Regionen sind gleichsam in die Unentdecktheit zurückgefallen. Der Harvard-Ökonom Ricardo Hausmann nennt das die "Falle des Raumes": Einen Container vom amerikanischen Baltimore an die Elfenbeinküste zu verfrachten kostet 3000 Dollar. Wird er indes in die markt- und wasserferne Zentralafrikanische Republik geschickt, steigt der Frachtpreis auf 13 000 Dollar.

Die Ursache des hohen Preises ist die miserable Infrastruktur. Es fehlen Straßen, Kanäle, Flughäfen. Zudem durchschneiden zahlreiche Grenzen wie Mauern das Land - künstliche, oft widersinnige Demarkationswälle, einst errichtet von den Kolonialmächten. Afrika wurde "balkanisiert", seine Völker wurden ausgeplündert und ausgeblutet. Europäer, Amerikaner, Araber lieferten sich einen regelrechten Wettlauf um Gold und Diamanten, Kautschuk, Elfenbein, Tropenhölzer, Gewürze. Und um die Ware Mensch. Die Globalisierung Afrikas, seine gewaltsame Integration in das moderne Weltsystem, begann mit einem der größten Verbrechen der Geschichte: dem Sklavenhandel. Zehn bis zwanzig Millionen "Eingeborene", niemand kennt die genaue Zahl, wurden nach Amerika verschleppt - ein historisches Trauma, das im kollektiven Gedächtnis der Afrikaner als Bedrohungs- und Minderwertigkeitsgefühl fortwirkt. Die Eroberer haben ihre traditionellen Produktionsweisen, Sozialstrukturen und Werteordnungen zerstört und sie durch eine brutale Raubwirtschaft ersetzt.

Das Alte starb, aber das Neue wurde nicht geboren. Der Kolonialismus hinterließ zentralistische, kaum funktionsfähige Staatshülsen. Und zerrissene Völker, die für den globalen Wettbewerb nicht gerüstet waren. Da saßen auf einmal junge, ahnungslose Männer an den Schalthebeln. Als die Belgier den Kongo räumten, gab es gerade einmal sieben einheimische Akademiker. Die Franzosen betrieben bei ihrem Auszug aus Guinea eine Art moderne Politik der verbrannten Erde: Sie legten zwar keine Feuer, demolierten aber die Infrastruktur; sogar die Steckdosen ihrer Büros zerstörten sie. Sollten die "Neger" sehen, wie weit sie allein kämen!

Die Kolonialherren gingen, die Muster der Kolonialökonomie blieben. Sie war "monokulturell" auf den Export von Bodenschätzen und Agrarerzeugnissen ausgerichtet - ein verhängnisvolles Erbe für die jungen Nationen. Denn im Laufe der Jahrzehnte sollten sich die terms of trade verschlechtern, also das Verhältnis von Import- und Exportpreisen: Aufgrund fallender Weltmarktpreise für Rohstoffe und landwirtschaftliche Produkte nehmen die Afrikaner immer weniger Geld ein, müssen gleichzeitig aber für ihre Einfuhren - Industriegüter, Fertigwaren, Energie - immer mehr hinblättern. Die Elfenbeinküste wurde als größter Kakaoproduzent der Welt bis Anfang der achtziger Jahre als kleines Wirtschaftswunderland gepriesen. Dann brach auf dem Weltmarkt der Kakaopreis ein und mit ihm die Deviseneinnahmen. Die Ivorer konnten ihre Schulden nicht mehr zahlen, niemand mochte ihnen neue Kredite geben. Seitdem ging es für das Land mit seinen rund 15 Millionen Einwohnern bergab. Zwischen 1981 und 1999 sank die jährliche Wirtschaftsleistung pro Kopf um fast 40 Prozent auf weniger als 1000 Euro.

Nun lässt sich zu Recht einwenden, die Afrikaner hätten in 40 Jahren Unabhängigkeit genug Zeit gehabt, ihre Volkswirtschaften umzubauen und sich nicht mehr nur auf die Herstellung von ein oder zwei Produkten zu konzentrieren. Genau an diesem Punkt, jenseits der naturbedingten, geografischen und historischen Nachteile, beginnt die Diskussion über die hausgemachten Ursachen der Misere. Die afrikanischen Eliten schlüpften in die Herrenrolle der Kolonialisten - sie trügen weiße Masken auf der schwarzen Haut, schrieb Frantz Fanon. Der Vordenker der antikolonialen Revolution, ursprünglich aus Martinique, warnte schon 1961 vor der fatalen Umwandlung der Fremdausbeutung in Selbstbedienung. Er sollte Recht behalten.

An der Spitze der Machtcliquen stehen Führer, die man im anglophonen Afrika trefflich big men nennt, "Großmänner". Ihr oberstes Ziel, den Machterhalt, sichern sie durch ein ausgeklügeltes Patronagewesen. Das System zur Verteilung der knappen Ressourcen erkauft die Loyalität der parasitären Staatsklassen und folgt so genannten tribalistischen Präferenzen: Zuerst werden der erweiterte Familienclan des big man, die Heimatregion und die Angehörigen der eigenen Ethnie mit Posten und Pfründen beschenkt. Ein Resultat sind die absurd aufgeblähten Staats- und Verwaltungsapparate. Zum Nepotismus kommen Korruption, Inkompetenz und Misswirtschaft auf allen Ebenen.

Berauscht vom Ölboom der Siebziger

Autokraten wie Nkrumah in Ghana, Kaunda in Sambia oder Mobutu in Zaire schalteten und walteten nach Gutdünken. Von Großmannssucht getrieben, wollten sie ihre Länder im Schnellverfahren industrialisieren, und die Berater und Geldgeber des Westens bestärkten sie darin: Baut! Baggert! Betoniert! Die Nigerianer, berauscht vom Ölboom der siebziger Jahre, erwiesen sich als besonders gelehrig und investierten ohne Plan und Entwicklungsziel. Devise: Was kostet die Welt? Wir können uns alles leisten! Zwölfspurige Autobahnen, schlüsselfertige Universitäten, ein monumentales Stahlwalzwerk, das bei Ajaokuta aus dem Busch gestampft wurde: Grundsteinlegung 1972, 18 Jahre Bauzeit, geschätzte Kosten 40 Milliarden Mark. Bis heute hat es keine einzige Tonne Eisenerz verarbeitet, aber jede Menge Bestechungsskandale produziert. Und den Partnern, in diesem Fall dem deutsch-nigerianischen Baukonzern Julius Berger, Geld in die Taschen gespült. Der Komplex von Ajaokuta ist ein "weißer Elefant", eines jener nutzlosen Prestigeprojekte, die überall auf dem Kontinent vor sich hin rotten, während die Schuldenberge zu regelrechten Gebirgen anwachsen.

Die Landwirtschaft hingegen wurde in fast allen Staaten des postkolonialen Afrika sträflich vernachlässigt - und damit zugleich die Ernährungssicherung. Die meisten Afrikaner sind Subsistenzbauern, sie erzeugen gerade so viel, dass es zum Überleben reicht, und manchmal auch weniger. Es fehlt ihnen an Düngemitteln und Maschinen, an Kapital und Kenntnissen, am Zugang zu Märkten. Die Folgen: Landflucht, übervölkerte Städte, wachsende Arbeitslosigkeit, Verelendung. Im Jahre 2025 wird das Heer der Arbeitskräfte in Afrika auf eine halbe Milliarde Menschen angeschwollen sein. Allein, die Eliten machen sich auch angesichts solcher Prognose kaum Gedanken über nachhaltige Investitionen. Sie leben immer noch recht üppig. Es gab Jahre, da wurde in Libreville, der Hauptstadt von Gabun, der weltweit höchste Pro-Kopf-Verbrauch an Champagner gemessen. Man fördert Öl, und wenn die Quellen versiegen, wird man die Regenwälder kahl schlagen.

Im Kalten Krieg durften Kleptokraten wie Mobutu ungehindert ihre eigenen Länder plündern, solange sie einem der beiden geopolitischen Feindeslager dienten. Dafür erhielten sie großzügige Bruderhilfe, aus Moskau oder Washington, Paris oder Peking, je nachdem. So besehen hat das Ausland die Selbstzerstörung Afrikas kräftig alimentiert. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zogen sich die Impresarios zurück. Die Regime der Großmänner kollabierten, und ganze Landstriche versanken in Gewalt und Anarchie. In Ländern wie Somalia, Kongo oder Liberia ist das Elend besonders groß. Der Warlord ist dort inzwischen der Hauptakteur des ökonomischen Verteilungskampfes, und seine Geschäfte laufen gut, weil es nicht an ausländischen Partnern fehlt, an Waffenhändlern, Söldneragenturen und multinationalen Konzernen, die an der Ausbeutung von Öl, Kobalt oder Diamanten Milliarden verdienen. Laurent Kabila, der später ermordete Gewaltherrscher im Kongo, vergab schon vor dem Sturz Mobutus Schürfrechte und Konzessionen an amerikanische Konsortien. Liberias Staatschef Charles Taylor hat sich per Gesetz sämtliche "strategischen Güter" seines Hoheitsgebietes zugeeignet: Tropenwälder und Bodenschätze, Agrargüter und Meeresfrüchte, ja sogar frühzeitliche Funde und Kultobjekte.

Die Strukturschwächen des Kontinents werden fortdauern, weil es vorerst an den Mitteln, am Know-how und am Willen fehlt, sie zu beheben. Nach all den Fehlschlägen ist Afrikas Anteil an globalen Direktinvestitionen auf unter zwei Prozent gesunken. Das afrikanische Risiko ist unwägbar geworden: Krieg und Anarchie, kleine Märkte, niedriges Wachstum, hohe Produktionskosten, das allgemeine Ausbildungsniveau so dürftig wie die Kompetenz der Entscheidungsträger - wer wollte da investieren?

Afrikas postkoloniale Geschichte ist die Geschichte einer gescheiterten Modernisierung, einerlei, ob sie unter kapitalistischen oder sozialistischen Vorzeichen versucht wurde. Die Entwicklungsexpertin Axelle Kabou aus Kamerun spricht sogar von einer "Modernisierungsverweigerung", und sie geißelt nicht nur die unfähigen Eliten, sondern auch das normale Volk. Afrikaner seien larmoyant, mittelmäßig, faul, sie glaubten immer noch, der Rest der Welt schulde ihnen die Rettung ihres Kontinents, und lassen sich in ihrer Opfer- und Bettlerhaltung von naiven weißen Helfern bestärken. Kabou fordert einen radikalen Mentalitätswandel, einen neuen Schaffensdrang, um die selbstverschuldete Unmündigkeit zu überwinden. Leicht gesagt, schwer getan.

Nehmen wir als Beispiel einen jungen Journalisten aus Südafrika, der über die enormen Belastungen durch seinen Clan klagt: Schuluniformen für die Geschwister, Medizin für die kranke Tante, Studiengebühren für den Cousin - er verdient gutes Geld, er ist verpflichtet zu zahlen. So ergeht es jedem, der aufsteigt. Ob Minister, Schullehrer oder Staatsbeamter, er muss die Großfamilie, die Verwandten, das Heimatdorf unterstützen. Wer sich aus der Gleichheit der Armut befreien will, wird in sie zurückgerissen - durch ein ungeschriebenes Teilungsgesetz, das in der traditionellen Gesellschaft das Überleben garantierte. In der vormodernen Gesellschaft aber verhindert es die Akkumulation von Sparkapital, die Evolution des Homo oeconomicus, das Entstehen einer dynamischen Mittelschicht. Der südafrikanische Journalist arbeitet inzwischen in London, weit weg von seinem Clan.

Solche Hemmnisse werden selten bedacht, wenn neue Entwicklungsrezepte für Afrika entstehen. Da heißt es schnell: Liberalisiert! Privatisiert! Öffnet eure Märkte! Unter diesen wirtschaftsliberalen Maßgaben sind schon die Reformprogramme der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds kläglich gescheitert, das räumen unterdessen sogar ihre Erfinder in Washington ein. Der verbissene Streit über den Nutzen und Nachteil der Globalisierung für Afrika bleibt angesichts der realen Machtverhältnisse jedoch akademisch. Die herrschenden Eliten gewinnen immer, egal welche Reformlehre angewandt wird. Sie organisieren ihr Raubwesen neuerdings per Handy und Computer, die Masse aber wartet vergeblich auf die versprochenen trickle down-Effekte, auf das Durchsickern einiger Wohlstandströpfchen. "Liberalisierung heißt für jene, die nicht an ihr teilhaben, weitere Marginalisierung", warnt der britische Ökonom Richard Gibb.

Das wird so bleiben, solange wirtschaftliche Reformen nicht durch einen fundamentalen politischen Wandel unterfüttert werden, durch echte Demokratien, stabile Rechtsstaaten, lebendige Zivilgesellschaften. Die Welt zwischen Khartoum und Kapstadt befindet sich in einem wirren Interregnum: Staaten zerfallen, Landkarten werden umgezeichnet, alte Konflikte flammen auf, neue Gewalt entsteht. Historiker vergleichen diese Phase mit den Stürmen, die in Europa die Geburt des Nationalstaates begleiteten. Afrika ist dabei, sich neu zu ordnen, und dieser turbulente Prozess dürfte noch Jahrzehnte dauern. Die Mehrheit der Afrikaner wird derweil in der Schattenwirtschaft überleben, die keine Statistik erfasst. Der Sohn flickt Schuhe, Mutter geht zu den Reichen bügeln, der Vater ist Wanderarbeiter, die Oma verkauft Maiskolben. Man teilt die Einkünfte, kommt irgendwie durch - und hofft auf eine bessere Zukunft.

Es würde schon helfen, wenn die Industrienationen die New Partnership for Africa's Development (Nepad) unterstützten, ein kontinentales Wiederaufbauprogramm nach dem Modell des Marshall-Plans, das Südafrikas Präsident Thabo Mbeki angeregt hat. Der Kerngedanke: Die Afrikaner mobilisieren ihre Selbsthilfekräfte und bringen die allfälligen Kurskorrekturen auf den Weg. Der Norden erlässt weitere Altschulden und schafft schrittweise jene Handelsstrukturen ab, die den Süden diskriminieren. Bisher hielten sich die entwickelten Länder an das heimliche Motto: Brot für Afrika, die Wurst bleibt hier. Nun steigt der Druck auf sie, selbst zu tun, was sie von der Welt fordern: Sie müssen ihre Marktzitadellen schleifen. Die Afrikaner haben im Agrar- und Textilsektor komparative Kostenvorteile, werden aber durch Handelsschranken vom Wettbewerb in Europa, Nordamerika und Japan weitgehend ausgeschlossen. Allein durch den Agrarprotektionismus verlieren sie pro Jahr geschätzte Exporteinnahmen von 20 Milliarden Dollar - das ist doppelt so viel, wie an Entwicklungshilfe nach Afrika fließt.

Im Gegenzug müssen sich die afrikanischen Reformer unangenehme Rückfragen gefallen lassen. Wieso soll man Nigeria, dem sechstgrößten Ölproduzenten der Welt, die Schulden erlassen? Wieso geben Regierungen für Waffen mehr aus als für Schulen und Krankenhäuser? Wie können sie good governance geloben, jeden Modeausdruck für verlässliches Regieren, und gleichzeitig den simbabwischen Staatschef Robert Mugabe verteidigen, der erst im März der Opposition einen klaren Wahlsieg gestohlen hat? Dieser Fall ist gleichsam ein Warnsignal auf der Nepad-Strecke. Sollten es die Afrikaner übersehen, könnte ihr Reformzug schnell entgleisen.