Visionäres Wunschdenken, Durchhaltevermögen
und der Wille zum Dienen
S.106
....Wir sehen solche, die eine Idee nach der anderen verfolgen und
hoffen, in irgendeiner Verwirklichung Befriedigung zu finden oder in den
Besitz von etwas zu gelangen, nach dem ihr beschränkter, sterblicher
Wunsch ging, und dann Ruhe zu finden. Wir sehen sie nach diesen Dingen
jagen, sie erlangen und doch unzufrieden bleiben. Viele bilden sich ein,
sie wünschen sich Häuser und Plätze, andere großen
Reichtum und wieder andere reiches Wissen. Wir haben den Vorzug zu wissen,
daß der Mensch alle diese Dinge in sich selbst besitzt. ....
S.121
......Auch da, wo das Ideal noch nicht bewußt festgehalten werden
kann, muß es sich offenbaren in sichtbarer Form, wenn der Mensch
das Gesetz erfüllt. Vielleicht müssen dabei Erfahrungen in der
Wüste gemacht und Leiden überwunden werden. Aber solches läßt
die Seele nur der Vereinigung noch würdiger werden. Die Seele, die
ihre Vision auffaßt als das versprochene Land oder als ein erreichbares
Ideal, welches verwirklicht werden kann, sieht nur das Gute darin, den
Gegenstand ihres Wunsches. Da darf kein Zweifel sein, kein Zaudern, kein
Zögern, sonst könnte es zum Verhängnis werden. Die Seele
muß ihrer Vision treu sein und immer weiter vorandrängen.
Ihre Vision ist immer etwas Typisches und genau so Notwendiges, wie
es die Pläne und Einzelheiten zu einem Gebäude sind. Und der
Mensch muß seiner Vision so treu sein, wie der Baumeister sich an
die Pläne eines Architekten in allen Einzelheiten halten muß,
alles außer der Wahrheit muß beiseite gelassen werden.
Alle großen Seelen bleiben ihrer Vision treu. Alles, was je erschaffen
ist, ist zuerst eine Vision gewesen, eingepflanzt in eine Seele, die den
Samen in sich wachsen und entfalten ließ und ihn zuletzt offenbarte.
Solche Größen gestatten niemals, daß die Ungläubigkeit
der andern auf sie Eindruck mache. Sie opfern sich willig auf für
ihre Vision und bleiben ihr treu, sie halten sie standhaft fest. Sie glauben
an sie und ihnen geschieht nach ihrem Glauben. Jesus blieb standhaft und
treu bei seiner Vision. Er verharrte bei seinem Plan auch dann, als die,
welche ihm am nächsten waren und die Teuersten seinem Herzen, den
Glauben verloren und untreu wurden. Und ihm geschah nach seinem Glauben,
und so geschieht es einem jeden.
Wenn jemand sich nach dem gelobten Lande aufmacht, so muß er
das Land der Dunkelheit vergessen, nicht mehr daran denken. Er muß
die Dunkelheit verlassen und auf das Licht zugehen. Es ist nicht möglich,
vorwärts zu gehen und zugleich still zu stehen. Das Alte muß
verlassen und dem Neuen angehangen werden. Wir müssen die unliebsamen
Dinge vergessen und nur die Dinge im Gedächtnis zurückbehalten,
an die wir uns erinnern wollen. Wenn eine Vision in Erfüllung gehen
soll, so muß sie immer zuvorderst im Bewußtsein stehen;
darum müssen wir die Vision, deren Erfüllung wir anstreben, im
Denken festhalten und uns auf diese Weise stets an sie erinnern. Andererseits
müssen wir die Dinge, die wir nicht sich wiederholen sehen wollen,
aus dem Gedächtnis ausweisen, uns weigern, an sie erinnert zu werden.
Jede unserer Ideen, jeder Gedanke, jedes Wort und jede Handlung muß
dieser Vision entsprechen, damit sie sich erfülle. Dies ist die wahre
Konzentration, die Konzentration der Hingebung, das Einstellen aller Kräfte
auf das Hauptsächliche. So handeln heißt: sein Ideal lieben.
Und nur durch die Liebe allein kann man einem Ideal Formen verleihen. Die
Liebe macht die Idee zu einem Ideal.
Wenn jemand zuerst keinen Erfolg hat, muß er entschlossen sein
und vorwärts drängen. Das ist die Übung des Willens, der
Ruf des Selbstvertrauens, der Ausdruck des Glaubens, der die Kraft dem
Ideal entgegendrängt. Das Ideal kann nicht ohne die bewußte
Hinleitung der Kraft nach dem Ideale hin, ohne diese Willensübung
erreicht werden, und zudem wäre es für das Ideal ebenso verhängnisvoll,
wenn der Wille selbst nicht auch ideal wäre. Der ideale Wille muß
zugleich die Eigenschaft des Dienens in sich tragen. Wenn er nicht den
Wunsch des Dienens enthält, so kann die Macht, die der Wille leiten
will, sich nicht von der Seele lösen. Der Wille, bedient zu werden,
wendet die Lebenskraft gegen das Selbst; der Wille, zu dienen, läßt
die Lebenskraft durch das ganze Wesen eines Menschen fluten und erhält
sein Selbst in strahlender Schönheit. Das Dienen verleiht der Vision
ihren Daseinszweck, löst in unserm Wesen die Liebe aus. Wie könnte
die Liebe sich anders Ausdruck geben, als indem sie durch unser ganzes
Wesen strömt? Wenn die Liebe durch unser Bewußtsein flutet,
antwortet ihr der ganze Organismus un läßt jede Zelle erzittern
unter dieser Liebe, die sich ausdrückt. Dann wir der Körper
harmonisch, die Seele wird leuchtend, das Denken klar. Der Gedanke wird
kühn, strahlend, lebendig, bestimmt, das Wort positiv, wahr, aufbauend;
das Fleisch erneuert sich, wird reiner und frischer; unsere Geschäfte
regeln sich und alle Dinge rücken an ihre richtige Stele. Das ICH
BIN drückt sich aus durch das ich, und dem >ich< ist nicht länger
gestattet, das ICH BIN zu unterdrücken. Wenn aber der Körper
dem Geiste nicht untertan ist, wie kann er dann dem Geiste Ausdruck verleihen?
Das bewußte Denken muß den Geist suchen und nach ihm Verlangen
tragen, ehe es die Macht des Geistes kennenlernen kann. So lernt der Mensch
einsehen, daß es der Geist ist, der jedes Verlangen in uns stellen
kann. Nie kann ihm in besserer Weise Ausdruck verliehen werden, als wenn
ihm erlaubt wird, unserm Nächsten in seiner Not zu helfen, die Not
eines Mitmenschen zu lindern. Es ist das Ausströmen zu den andern,
das für uns die Vorratskammern des Geistes auftut. Es ist das, >Ich
will dienen<, was Gottes unbegrenzte Vorräte vor allen auftut und
jeder Seele ihre Erfüllung schenkt.