Wir müssen bei der Betrachtung eines Menschen unterscheiden, ob
er sich mit seiner äußeren Haltung identifiziert oder eine Haltung
gegen seinen Willen einnehmen muß. Im ersten Fall spiegelt seine
Haltung seine bewußte Identifikation. Im zweiten Fall manifestiert
sich in der krankhaft veränderten Haltung ein Schattenbereich, den
er freiwillig nicht haben möchte. So zeigt ein Mensch, der sehr gerade
und aufrecht, mit erhobenem Kopf durch die Welt schreitet, eine gewisse
Unnahbarkeit, Stolz, Erhabenheit und Aufrichtigkeit. Ein solcher Mensch
wird sich aber auch mit all diesen Eigenschaften sehr wohl identifizieren
können. Er würde sie nicht leugnen.
Anders verhält es sich z. B. beim Morbus Bechterew mit der typischen
Bambusstangenform der Wirbelsäule. Hier somatisiert sich ein nicht
bewußt gelebter Egoanspruch und eine vom Patienten nicht gesehene
Unbeugsamkeit. Beim Morbus Bechterew verkalkt mit der Zeit die Wirbelsäule
als Ganzes, der Rücken wird steif und der Kopf nach vorn geschoben,
da die S-förmige Krümmung der Wirbelsäule aufgehoben oder
ins Gegenteil verkehrt wird. Der Patient wird ganz konkret mit der Nase
darauf gestoßen, wie steif, unnachgiebig und unbeugsam er in Wirklichkeit
ist. Ganz ähnlich ist die Problematik, die sich im Rundrücken
oder Buckel ausdrückt: Im Buckel manifestiert sich nicht gelebte Demut.
Aus =>
Krankheit als Sprache der Seele von Rüdiger Dahlke:S.275
Die zweite Eigentümlichkeit der WS neben der Schlangenform ist
der Wechsel der Pole über ihre ganze Länge, folgt doch jeweils
auf einen knöchernen Wirbelkörper eine elastische Bandscheibe.
Der Wechsel von knochenharter Materie und wäßrig-weicher Gallerte
(im Kern der Bandscheibe) ist notwendig für die Funktion. Symbolisch
gehört das Harte, Starke eher zum männlichen Pol, während
die weiche anpassungsfähige Qualität des Wasserelementes, das
in den Bandscheiben dominiert, weiblich ist. Im stetigen Wechsel von Weiblichem
und Männlichem bildet die WS eine Ursymbolik ab, die allen Kulturen
und Religionen vertraut ist. Der Taoismus stellt diese Verbindung im Tai-Chi-Symbol
dar, die griechische Mythologie in der Perlenkette der Harmonia, die der
göttliche Schmied Hephaistos aus abwechselnd schwarzen und weißen
Perlen fertigte.
Die Ausnutzung des Polaritätsprinzips erhöht die Belastbarkeit
der WS ungemein. Sorgt der knöcherne Anteil für Festigkeit und
Stabilität, gewährt der wäßrig-gallertige die ebenso
notwendige Elastizität und Anpassungsfähigkeit. Krankheitsbilder,
bei denen ein Aspekt zu kurz kommt, zeigen die Problematik der Extreme:
Der Morbus Bechterew führt zur Verhärtung und Verknöcherung
der elastischen Zwischenwirbelzonen. Die Folge ist eine extreme Lebenseinschränkung
der Patienten, im wahrsten Sinne des Wortes eine Verknöcherung ihrer
Mitte. Auf dem Gegenpol können sich bei Knochenerweichungsprozessen
durch rachitische oder tuberkulöse Prozesse örtliche Zusammenbrüche
der WS ereignen. In der Folge ist die Aufrichtigkeit oft eingeschränkt
durch Verkrümmungen bis zu Buckelbildungen. Im Extremfall droht eine
Querschnittslähmung.