aus »=> Krankheit als Weg «: S.288

Wir müssen bei der Betrachtung eines Menschen unterscheiden, ob er sich mit seiner äußeren Haltung identifiziert oder eine Haltung gegen seinen Willen einnehmen muß. Im ersten Fall spiegelt seine Haltung seine bewußte Identifikation. Im zweiten Fall manifestiert sich in der krankhaft veränderten Haltung ein Schattenbereich, den er freiwillig nicht haben möchte. So zeigt ein Mensch, der sehr gerade und aufrecht, mit erhobenem Kopf durch die Welt schreitet, eine gewisse Unnahbarkeit, Stolz, Erhabenheit und Aufrichtigkeit. Ein solcher Mensch wird sich aber auch mit all diesen Eigenschaften sehr wohl identifizieren können. Er würde sie nicht leugnen.
Anders verhält es sich z. B. beim Morbus Bechterew mit der typischen Bambusstangenform der Wirbelsäule. Hier somatisiert sich ein nicht bewußt gelebter Egoanspruch und eine vom Patienten nicht gesehene Unbeugsamkeit. Beim Morbus Bechterew verkalkt mit der Zeit die Wirbelsäule als Ganzes, der Rücken wird steif und der Kopf nach vorn geschoben, da die S-förmige Krümmung der Wirbelsäule aufgehoben oder ins Gegenteil verkehrt wird. Der Patient wird ganz konkret mit der Nase darauf gestoßen, wie steif, unnachgiebig und unbeugsam er in Wirklichkeit ist. Ganz ähnlich ist die Problematik, die sich im Rundrücken oder Buckel ausdrückt: Im Buckel manifestiert sich nicht gelebte Demut.
 

Aus  => Krankheit als Sprache der Seele von Rüdiger Dahlke:S.275
 

Die zweite Eigentümlichkeit der WS neben der Schlangenform ist der Wechsel der Pole über ihre ganze Länge, folgt doch jeweils auf einen knöchernen Wirbelkörper eine elastische Bandscheibe. Der Wechsel von knochenharter Materie und wäßrig-weicher Gallerte (im Kern der Bandscheibe) ist notwendig für die Funktion. Symbolisch gehört das Harte, Starke eher zum männlichen Pol, während die weiche anpassungsfähige Qualität des Wasserelementes, das in den Bandscheiben dominiert, weiblich ist. Im stetigen Wechsel von Weiblichem und Männlichem bildet die WS eine Ursymbolik ab, die allen Kulturen und Religionen vertraut ist. Der Taoismus stellt diese Verbindung im Tai-Chi-Symbol dar, die griechische Mythologie in der Perlenkette der Harmonia, die der göttliche Schmied Hephaistos aus abwechselnd schwarzen und weißen Perlen fertigte.
Die Ausnutzung des Polaritätsprinzips erhöht die Belastbarkeit der WS ungemein. Sorgt der knöcherne Anteil für Festigkeit und Stabilität, gewährt der wäßrig-gallertige die ebenso notwendige Elastizität und Anpassungsfähigkeit. Krankheitsbilder, bei denen ein Aspekt zu kurz kommt, zeigen die Problematik der Extreme: Der Morbus Bechterew führt zur Verhärtung und Verknöcherung der elastischen Zwischenwirbelzonen. Die Folge ist eine extreme Lebenseinschränkung der Patienten, im wahrsten Sinne des Wortes eine Verknöcherung ihrer Mitte. Auf dem Gegenpol können sich bei Knochenerweichungsprozessen durch rachitische oder tuberkulöse Prozesse örtliche Zusammenbrüche der WS ereignen. In der Folge ist die Aufrichtigkeit oft eingeschränkt durch Verkrümmungen bis zu Buckelbildungen. Im Extremfall droht eine Querschnittslähmung.