Der Fischer und seine Frau
Es war einmal ... ein armer Fischer, der lebte in einer Hütte
am Meer. Eines Morgens zog er wie jeden Tag aus, um seine Netze auszulegen.
"Wehe, wenn du mit leeren Händen zurückkommst"
schrie seine zänkische Frau ihm nach. Am Ufer angekommen, hatte er
kaum die Netze ausgeworfen, als er zwischen den Maschen schon etwas glitzern
sah. "Was für ein seltsamer Fisch!" dachte er, als er den wunderlichen
kleinen, gelben Fisch in die Hand nahm. Und seine Verwunderung nahm noch
zu, als er folgende Worte vernahm:"Guter Fischer! Lass mich frei! Ich bin
der Sohn des Meerkönigs. Wenn du mich befreist, erfülle
ich dir jeden Wunsch!" Der Fischer war über das Wunder so erschrocken,
daß er den Fisch ohne nachzudenken sofort wieder ins Wasser warf.
Aber als er nach Hause zu seiner Frau kam, und seiner Frau die seltsame
Geschichte erzählte, schimpfte sie mit ihm: "Was? Er hat gesagt, er
würde dir jeden Wunsch erfüllen? Du hättest dir etwas wünschen
sollen, bevor du ihn befreitest! Geh sofort wieder ans Ufer und sag ihm,
wenn du ihn findest, dass ich einen neuen Zuber brauche. Hast du gesehen,
wie schlimm unserer mittlerweile aussieht?"
Der arme Mann kehrte ans Ufer zurück. Er hatte gerade
den Fisch gerufen, als er schon dessen Stimme vernahm: "Hier bin ich! Hast
du mich gesucht?“ Und sein Kopf lugte aus dem Wasser hervor. Der Fischer
erklärte den Wunsch seiner Frau, und sogleich kam die freundliche
Antwort: "Du bist gut zu mir gewesen! Geh nach Hause zurück, dein
Wunsch wird erfüllt werden!" Der Fische glaubte nun, dass seine
Frau endlich zufrieden sein müsse, und kehrte leichten Herzens nach
Hause zurück Aber er hatte die Tür noch nicht ganz geöffnet,
als seine Frau ihn schon mit Schimpfworten überschüttete: "Es
stimmt also, daß der Fisch, den du freigelassen hast, ein Zauberfisch
ist! Sieh her, der Zuber ist neu! Und wenn der Fisch soviel Macht besitzt,
dürfen wir uns nicht mit solch einem armseligen Wunsch zufriedengeben.
Lauf sofort zurück und verlange ein neues grosses Haus!"
Der Fischer lief sofort ans Ufer zurück. "Wer weiß,
ob ich ihn wiederfinde! Hoffentlich ist er nicht verschwunden! Fischlein!
Fischlein!" rief er über das Wasser. "Hier bin ich! Was willst
du noch?" klang eine Stimme aus dem Meer. "Weisst du, meine Frau möchte
..."
"Das konnte ich mir denken!" antwortete der Fisch, "was
will sie denn jetzt?“
"Ein grosses Haus!" murmelte der Fischer zögernd.
"In Ordnung! Du bist gut zu mir gewesen, deswegen will ich deinen Wunsch
erfüllen!“ Diese Mal ging der Fischer langsam nach Hause zurück,
und im Geiste stellte er sich genüßlich vor, wie glücklich
seine Frau über das neue Haus sein würde. Schon konnte er das
neue Dach des schönen Hauses erkennen, als seine Frau ihm wutentbrannt
entgegengerannt kam. „Siehst du, jetzt, wo wir wissen, wie gross
die Macht des Fisches ist, dürfen wir uns doch nicht nur mit
einem Haus zufriedengeben! Wir müssen mehr verlangen! Lauf sofort
zurück und verlange einen richtigen Palast, nicht solch ein einfaches
Haus! Und schöne Kleider ! Und Juwelen noch dazu!" Dem Fischer
war nicht wohl in seiner Haut. Aber da er seit Jahren daran gewöhnt
war, die Rechthaberei seiner Frau stillschweigend zu ertragen, hatte er
nicht den Mut, sich ihr zu widersetzen und kehrte langsam ans Ufer zurück.
Voller Zweifel begann er, den Fisch zu rufen, der dieses Mal erst nach
einer ganzen Weile aus den Wellen auftauchte. Inzwischen war auch das Meer
unruhiger als vorher geworden...
"Es tut mir leid, dich nochmals belästigen zu müssen,
aber meine Frau hat es sich überlegt, sie möchte einen
schönen Palast und ... und ..." Auch diese Mal erfüllte
der kleine Fisch alle Wünsche, schien jedoch weniger freundlich als
vorher. Dem Fischer fiel ein Stein vom Herzen bei dem Gedanken, auch dieses
Mal seine Frau zufriedengestellt zu haben, und erleichtert machte
der gute Mann sich auf den Weg nach Haus. Aus dem Haus war inzwischen ein
fürstlicher Palast geworden. Wie wunderschön! Am Ende einer Treppe,
die zum Palast führte, stand seine wie eine Edeldame gekleidete Frau,
behangen mit Juwelen, und erwartete ihn ungeduldig. "Geh sofort zurück
und verlange ...“
„Wie? Solch ein prächtiger Palast!? Wir müssen
uns nunmehr zufriedengeben mit dem, was wir haben! Glaubst du nicht, daß
du übertreibst?“ wagte der Fischer den Redeschwall seiner Frau zu
unterbrechen. „Geh sofort zurück, habe ich gesagt! Gehorche!
Und verlange, daß ich zur Kaiserin gekrönt werde!"
Betrübt kehrte der arme Fischer ans Meer zurück,
über dem sich inzwischen ein Sturm zusammengebraut hatte. Der
Himmel war schwarz, und furchtbare Blitze zerrissen die Finsternis. Wutschnaubend
schlugen die hohen Wellen gegen das Ufer. Der Fischer kniete auf dem Felsen
und rief mit schwacher Stimme nach dem Fisch, und als der nach einer Weile
erschien, trug er den letzten Wunsch seiner Frau vor. Dieses Mal verschwand
der Fisch, der schweigend zugehört hatte, ohne zu antworten in den
Fluten. Vergebens wartete der Fischer, der Fisch kam nicht mehr zurück.
Ein Blitz, der noch schrecklicher war als die anderen, erleuchtete den
Himmel, und der Fischer sah, dass an der Stelle, wo er gewohnt hatte, keine
Spur von dem neuen Haus, noch dem Palast zu erkennen war. Die alte Hütte
jedoch stand da, wo sie immer gestanden hatte. Dieses Mal wartete
seine Frau bitterlich weinend auf ihn. "Recht geschieht dir! Wir hätten
uns zufrieden geben, nicht ständig mehr verlangen sollen!" brummte
der gute Mann ärgerlich. Aber innerlich war er doch froh, dass
alles wieder wie früher war. Am nächsten Tag und an allen folgenden
Tagen fischte er weiter, so wie er es immer getan hatte, aber den goldenen
Fisch sah er nie wieder.