Dr. med. Albrecht Schaetz
Kinderarzt und Psychotherapeut
Wankstraße 5  82362 Weilheim
Tel: O88l /41 7658 Fax 61007
 

 Sehr geehrter Herr Weyrich, 16.11.00
 

ich freue mich sehr über Ihr Interesse an Waldkindergärten, Informationen bekommen Sie am besten bei Frau Borheck,  Königsbergerstr.69 86167 Augsburg, Tel. und Fax Nr. 0821/72989188 bzw. 9388. Nachfolgend schicke ich Ihnen einen Brief von Prof. Cordes an mich mit interessanten Angaben sowie eine Untersuchung aus Schweden, deren Autor etc. ich aber noch nicht in Erfahrung bringen konnte.

Wenn Sie noch weitere Auskünfte wünschen, stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung
 

Mit freundlichen Grüßen
 
 

Prof: Roland Gorges     65329 Hohenstein, den 13.10.00
Gronauer Str 26
T 06120/1503
F 06120/4357


Herrn
Dr. med. Albrecht Schaetz
Wankstr. 5
82362 Weilheim
 
 
 

Sehr geehrter Herr Dr. Schaetz,
 

ich habe Ihren Brief mit Interesse gelesen und möchte Sie gerne in Ihrem Anliegen unterstützen. Von Erzieherinnen habe ich bereits gehört, daß in Bayern große Schwierigkeiten mit der Anerkennung der Waldkindergärten bestehen.

Meine empirische Untersuchung zur Frage der  Schulfähigkeit von Kindern aus Waldkindergärten ist zwar abgeschlossen, der Text für die Veröffentlichung ist allerdings noch nicht fertiggestellt. Die Ergebnisse bestätigen meine theoretische Argumentation (vgl. beigefügte Kopie 5/99). In allen abgefragten Bereichen (vgl Fragebogen) schnitten die Kinder aus Waldkindergärten im Durchschnitt besser ab als der Durchschnitt der Klasse. Besonders deutlich war die positive Abweichung in den Bereichen Sachunterricht, Leselehrgang, Mathematiklehrgang, konstruktive Beiträge zum Unterricht. Auch wenn die Stichprobe mit 39 Kindern aus unterschiedlichen Waldkindergärten nicht als repräsentativ angesehen werden kann, zeigen die Ergebnisse eine klare Tendenz auf.

Als Argumentationshilfe gegenüber dem Ministerium kann auch mein Beitrag „Der Waldkindergarten - ein aktuelles Konzept kompensatorischer Erziehung" dienen, den ich als Kopie beifüge. Das von Ihnen angesprochene Buch wird vom Naturschutzzentrum Hessen herausgegeben und sollte eigentlich noch in diesem Jahr erscheinen. Darin sind u.a. zwei Beiträge von mir zu den Themen „pädagogische Grundlagen des Waldkindergartens" und „Übergang zur Grundschule" enthalten.

Zu den anderen von Ihnen genannten Bereichen (Krankheit, Unfallhäufigkeit) kenne ich keine
Untersuchungen, allerdings deuten die Erfahrungsberichte von Erzieherinnen darauf hin, daß
Kinder aus Waldkindergärten seltener erkranken und verunglücken.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihren Bemühungen und verbleibe
 
 

mit freundlichen Grüßen
 



 
 

Naturkindergärten sind sehr gesund

 

 
 
 

Kindergartenkinder, die in naturnaher Umgehung spielen, können sich wesentlich besser konzentrieren als Kinder, die in einem geplant angelegtem Umfeld (herkömmliche Kindergärten) spielen. Dies zeigt eine neue schwedische Untersuchung der Außenanlagen von Kindergärten.
Die Untersuchungen haben ergeben, dass die Kinder aus dem Naturkindergarten wesentlich weniger krank sind und in ihrer Motorik besser entwickelt sind als Kinder aus einem traditionellen Kindergarten.
Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind dem Umweltberater Gert Olsen von BUPL -Verband für Pädagogen und Clubleute - bekannt. „Grundsätzlich sind die Kindergartenumfelder, in welche wir unsere Kinder geben, „armselig" ausgestattet und haben ein schlechtes Angebot. Aufgrund einer mangelhaften Unterrichtsform fällt es den dänischen Kindern schwer, das Lesen und Schreiben zu lernen. Die Untersuchungen zeigen jedoch einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Angebot und den Anregungen, welche Kinder im Kindergarten vermittelt bekommen sowie deren spätere Konzentrationsfähigkeit“,sagt Gert Olsen.

Forscher und Pädagogen aus Schwedens Landwirtschaftsuniversität haben über ein Jahr den Kindergartenalltag von drei bis sechsjährigen Kindern aus zwei kleinen schwedischen Kindergärten in Skäne beobachtet. Die Außenbereiche der beiden Kindergärten sind sehr unterschiedlich angelegt, jedoch ist die Zusammensetzung der Kinder vergleichbar.
 
 

Eindeutiges Ergebnis


Der Außenbereich des einen Kindergartens besteht u.a. aus einer naturnahen Umgebung mit einem kleinen Waldgebiet. Bei dem anderen Kindergarten handelt es sich um einen Außenbereich, der mit einem Spielplatz sowie AsphaIt- und Grünflächen ausgestattet ist. In der Zeitschrift „Grönt Miljö" wurde das Ergebnis der Untersuchung eindeutig und sicher statistisch veröffentlicht:

Von 27 Bereichen u.a. Fähigkeiten wie das Zuhören/Verstehen, Anweisungen/Hinweise befolgen und nicht der Frustration ausgesetzt zu sein/zu werden waren die Fähigkeiten der Kinder aus dem Naturkindergarten in 23 Bereichen besser entwickelt. Auch in der motorischen Entwicklung waren die Kinder aus dem Naturkindergarten dem herkömmlichen Kindergarten deutlich überlegen. Während die KrankheitsfäIIe im herkömmlichen Kindergarten um 8 % lagen, betrugen diese im Naturkindergarten unter 3 %.
In den beiden schwedischen Kindergärten sind die Größenverhältnisse der Kindergartenbereiche weit aus besser als in den dänischen Durchschnittskindergärten, bestätigt Umweltberater Gert Olsen. „Trotzdem  zweifle ich nicht daran, dass das Hauptergebnis der Untersuchung - eine anregende natürliche Umgebung fördert die Konzentrationsfähigkeit der Kinder - auf die dänischen Verhältnisse übertragen werden kann," sagt er.
 
 
 
 

Freies Spielen in naturnaher Umgebung macht kluge Kinder


Im kleinen Kindergarten Malmö/Lekatten sind die Kinder besonders gut in Dreiradfähren. Sie befahren Betonfliesen, welche die schon angelegten Blumenbeete umranden oder sie spielen in der Sandkiste. Sie klettern auf Keramikkrügen, welche zur Verschönerung der Außenanlage dienen.
Der Kindergartenbereich Statarlängan dagegen, der etwas nördlich von Malmö liegt, ist anders angelegt und befindet sich in einem alten Obstgarten; ein Teil des Außenbereiches besteht aus einem kleinen Waldgebiet. In dieser natürlichen Umgebung spielen die Kinder kompIexe Spiele, besonders Rollenspiele, in denen die Kinder selbst ihre Aktionen bestimmen.
In den beiden schwedischen Kindergärten untersuchte eine Forschergruppe der schwedischen Landwirtschaftsuniversität die Auswirkungen der Gestaltung von Außenbereichen bezüglich der Entwicklung der Kinder. Das Ergebnis der Untersuchung zeigt eindeutige Erkenntnisse: Die Kinder aus dem naturnahe gelegenen Kindergarten (Naturkindergarten) zeigen eine weitaus bessere Konzentrationsfähigkeit als die Kinder aus dem traditionellen Kindergarten. Auch in der motorischen Entwicklung sind sie besser. Sie sind wesentlich weniger krank als die Kinder aus dem Kindergarten Malmö/Lekatten. Die schwedische Untersuchung bestätigt, dass die Gestaltung der Außenbereiche von Kindergärten eine wesentliche Rolle für die Entwicklung der Kinder spielt, sowohl im physischen als auch im intellektuellen Bereich. In dem Bericht der Zeitschrift "Ute pä dagis“ ist die Untersuchung zusammengefasst. Die Verfasser weisen daraufhin, dass heutzutage viel zu wenig auf die Umgebung in Kindergärten sowie deren Einfluss auf die Entwicklung der Kinder geachtet wird:

"Kinder brauchen ihren Freiraum und müssen sich austoben können, sie brauchen ebenso Spielräume, wo sie klettern, experimentieren, ungestört spielen und sich verstecken können. Sie sollen Gelegenheit bekommen gemeinsam in der Gruppe zu spielen oder auch für sich allein zu sein. Es gilt den Kindern Raum zur Gestaltung der eigenen Phantasie sowie Möglichkeiten für die Entwicklung der körperlichen Entfaltung, Selbständigkeit und Individualismus zu geben."
 

Das Geld entscheidet


Sowohl die Politiker als auch die Pädagogen sind sich über die Dringlichkeit dieser Erkenntnisse einig. Jedoch erkennen die Verfasser, dass in der Realität oft nur kleine Bewilligungen und Sparmaßnahmen vorhanden sind, welche über die Gestaltung der Kindergärten entscheiden. Dies gilt insbesondere in hohem Maße auch in Dänemark, stellt der Umweltberater  Gert Olsen von BUPL, Verband für Pädagogen und Clubleute, fest:
"Es ist natürlich eine sehr gute Idee, Möglichkeiten in Kindergartenaußenbereichen dafür zu schaffen, dass die Kinder all ihre Phantasie und Kreativität entwickeln können. Doch wenn es darum geht, die Kindergartenplanung zu erstellen (Gemeinde), entscheidet das Geld und es entstehen lediglich "armselige“ Spielräume. Das ist traurig für die Kinder“, sagt er.
 

Konzentrationsschwierigkeiten


Die Grundstücksflächen der beiden schwedischen Kindergärten betragen jeweils ca.2500 qm mit 15 Kindern. Im Vergleich dazu befinden sich in vielen dänischen Kindergärten 60 Kinder, wo ihnen eine Grundstücksfläche von 600 qm zur Verfügung steht, sagt Gert Olsen. Gert Olsen weist auf die fehlenden Möglichkeiten in Kindergärten für eine gute physische Entwicklung der Kinder hin. Dies hat natürlich auch Konsequenzen für die spätere Entwicklung der Kinder:
Die Grobmotorik, die Kinder auf dem Spielplatz entwickeln, indem sie z.B. auf Bäume klettern, ist später von Bedeutung für die Entwicklung der Feinmotorik, u.a. um einen Stift in der Schule gut halten zu können, sagt Gert Olsen.
Solange die Kinder dies nicht können, sind sie gezwungen sich darauf zu konzentrieren. Diese Konzentration führt dazu, dass die Kinder unaufmerksam in der Klasse wirken.
Es wird immer wieder darüber gesprochen, dass viele Schulkinder heutzutage unkonzentriert sind. Dies ist aber falsch, weil sie sich bloß auf das konzentrieren, was sie bereits im Kindergarten hätten lernen können, sagt Gert Olsen.
 
 

Waldkinder können sich sehr gut konzentrieren


In zwei schwedischen Kindergärten haben Pädagogen ein Jahr lang die Konzentrationsfähigkeit der Kinder beobachtet. Die Beobachtungen sind nach einer anerkannten amerikanischen Testmethode, dem ADDES-Test ausgeführt worden. Diese zeigten, dass die Kinder aus dem Naturkindergarten von 27 beobachteten Bereichen in 23 die beste Konzentrationsfähigkeit besaßen. Einige Aussagen aus den 27 Bereichen geben eine zusammenfassende Darstellung über die Konzentrationsfähigkeit der Kinder. Die Zahlen geben Fehler pro Woche pro Kind als Mittelwert an. Je höher der Wert, desto unkonzentrierter ist das Kind:

                                                                Allg.KiGa  Natur KiGa
Leicht ablenkbar                                              17,3       9,3
Schwierigkeiten beim Zuhören                           12,4      2,8
Anweisungen müssen wiederholt werden            60,7      7,3
Schwierigkeiten sich zu konzentrieren               9,3         2,1
Unordnung mit den Sachen                                4,4       5,2
Folgt keiner Anweisung/Regel                           13,1       5,7
Wechselt oft das Spiel                                     4,0         6,1
Vergisst Routineordnung zu halten                    0,3         1,0
Macht nicht, was gesagt wird                          13,8         8,6
Nimmt Sachen von anderen weg                       8,2         4,6
Spricht rein, wenn andere reden                      19,6         9,2
Wird leicht frustriert                                        36,0         5,8
Macht Sachen in falscher Reihenfolge               3,7         1,5
Akzeptiert keine Konsequenz                         13,4         3,3
Neigt zu Unfällen                                             2,3         0,6
Wirkt rastlos                                                 77,3         6,8
 
 



Aus Zeitschrift „Unsere Jugend“ Ausgabe 6/2000

Aus- und Fortbildung:
Elementarbereich

Der Waldkindergarten ein aktuelles Konzept kompensatorischer Erziehung

Von Roland Gorges
 
 

Seit wenigen Jahren macht ein neues Konzept in der Kindergartenpädagogik von sich reden:
Der Waldkindergarten. Die Idee, mit Kindern Tag für Tag auf Entdeckungsreise in den Wald zu gehen, auf ein Kindergarten-Gebäude zu verzichten, wurde bereits vor knapp 50 Jahren in Dänemark geboren. Dort gibt es inzwischen über 60 dieser Einrichtungen. In Deurschland begab sich 1968 Ursula Sube in Wiesbaden mit  ihrer Wandergruppe in diese Richtung der Naturpädagogik. Seit der Gründung des ersten Waldkindergartens in Flensburg im Jahr l993 wächst die Anzahl der Kindergärten „ohne Dach und Wände" ständig. Inzwischen sind über 100 Wald- und Naturkindergärten in Deutschland eingerichtet worden, weitere sind in der Gründungsphase (vgl. Naturschutzzentrum Hessen: Verzeichnis der Natur- und Waldkindergärten in Deutsch- Land  1993).
Die bisher vorliegenden Veröffentlichungen beschränken sich weitgehend Praxisberichte und Anregungen für die praktische Arbeit mit den Kindern, Bezüge zur Theorie der Kindagartenpädagogik finden sich meist nur am Rande. Nachdem ich mich im Rahmen eines kleineren Forschungsvorhabens mit dem speziellen Problem der Schulfähigkeit von Waldkindergarten-Kindern befaßt habe (vgl. Gorges 1999), möchte ich in diesem Beitrag die Frage der pädagogischen Begründung des Waldkindergarten-Konzepts in den Mittelpunkt stellen. Als Grundlage dienen mir neben den wenigen Veröffentlichungen zur Thematik der Waldkindergärten die Analyse von rund 40 Konzeptionen sowie eine von mir durchgeführte Fragebogenerhebung.
Nach einer kurzen Beschreibung des Waldkindergartens und seiner verschiedenen Erscheinungsformen soll der Frage nachgegangen werden, welche Begründungen für dieses Konzept angeführt werden bzw. sich ergänzend heranziehen lassen. Ziel dieser Ausführungen ist weniger eine vertiefte Auseinandersetzung mit den einzelnen Argumenten und ihren wissenschaftlichen Hintergründen, sondern eine kurzgefaßte Darstellung der Begründungszusammenhänge mit dem Ziel eines Einstiegs in eine systematische Aufarbeitung der Waldkindergarten-Pädagogik.
 

Waldkindergärten und ähnliche Einrichtungen


Eine gelungene Beschreibung findet sich in der kürzlich vom Hessischen Umweltministerium herausgegebenen Broschüre mit dem Titel „Waldkindergärten - Wo Kinder mit den Bäumen wachsen“:

„Reine Wald- bzw. Naturkindergärten unterscheiden sich von Regelkindergärten darin, daß sie kein eigenes Gebäude besitzen, sondern unter freiem Himmel „zu Hause“ sind; im Wald oder am Strand, zu jeder Jahreszeit, an jedem Vormittag der Arbeitswoche, bei jedem Wetter (abgesehen von extremen Witterungslagen), vier Stunden im Sommer, drei bis dreieinhalb Stunden im Winter, also Kindergarten „ohne Türen und Wände“. In der Regel verfügen die Waldkindergärten jedoch über einen Stützpunkt, in dem die Gruppe bei plötzlichem Wetterumschwung Schutz finden kann und wo auch Materialien oder Geräte gelagert werden können . .." (Hessisches Ministerium für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit 1998, S. 8)

Anstatt "Waldkindergarten“ findet sich auch häufig die Bezeichnung "Naturkindergarten“, insbesondere dort, wo kein Wald vorhanden ist, die Kinder sich aber dennoch in der freien Natur, z.B. am Strand, aufhalten. Neben dem Waldkindergarten in seiner reinen Form gibt es auch verschiedene verwandte Formen:

• die feste Waldgruppe: eine dem Regelkindergarten angegliederte geschlossene Gruppe ist vormittags ständig im Wald unterwegs; nachmittags steht bei Bedarf die Betreuung im Regelkindergarten zur Verfügung;
• die flexible Wald- oder Wandergruppe: in einern Regelkindergarten wird täglich eine Gruppe zusammengestellt, die sich auf den Weg in den Wald begibt;
• Waldprojekte, Waldwochen oder -tage: Regelkindergärten beziehen immer häufiger den Wald in ihre pädagogische Arbeit ein.

Detaillierte Informationen über die Ziele und Methoden der pädagogischen Arbeit sowie Beispiele für Tagesabläufe finden sich u. a. in: Hessisches Ministerium für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit 1998, Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern, Landesjugendamt 1997, Köllner/Leinert 1998 (siehe Literaturverzeichnis).
 

Begründungen für das Konzept des Waldkindergartens


Aus den mir vorliegenden Konzeptionen und den Publikationen lassen sich folgende Argumente als Begründung für diese neue Form der Kindergartenpädagogik erkennen:

a) die veränderte Lebenswelt der Kinder (soziologisches bzw. sozialökologisches Argument)
b) die Bedeutung der Psychomotorik für die Entwicklung der Kinder (psychomotorisches Argument)
C) die Bedeutung von Naturerfahrung und Naturschutz für die Entwicklung der Kinder (ökopädagogisches Argument)
d) die Bedeutung des Waldes für die körperliche und seelische Gesundheit der Kinder (sozialmedizinisches Argument)
e) die Bedeutung des Waldes für das Sozialverhalten der Kinder (sozialpädagogisches Argument)
f) die Bedeutung des Waldes als Anlaß für vielfältige Erlebnisse der Kinder (erlebnispädagogisches Argument)

zu a)
In der pädagogischen Diskussion der letzten Jahre haben die Erkenntnisse der Soziologie hinsichtlich der veränderten Lebensbedingungen der Kinder am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts unter dem Stichwort "Kindheit heute" hinreichend Beachtung gefunden. Es ist die Rede von »Medienkindheit", „verinselter Kindheit", „Konsumkindheit“, um nur einige der aktuellen Schlagworte zu nennen. An dieser Stelle soll nicht ausführlich auf die Argumentationsstränge und Details eingegangen werden, zumal die wesentlichen Gedankengänge zu dieser Thematik inzwischen bereits zum Allgemeingut gehören. Kurz zusammengefaßt läßt sich folgendes festhalten:

Kinder haben heute weniger Gelegenheit,

- sich im Freien zu bewegen,
- ihre räumliche Umgebung in konzentrischen Kreisen von der elterlichen Wohnung ausgehend zu erkunden;
- natürliche Lebensräume wie Wald, Felder, Wiesen und Bachufer kennenzulernen;
- die Lebewesen und Gegenstände ihrer Umwelt mit allen Sinnen zu erfassen;
- die Grenzen ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit zu erfahren;
- sich mit einfachen Materialien Spielzeuge herzustellen;
- Eigeninitiative zu entwickeln, sich als Urheber ihrer Handlungen zu erfahren;
- Stille zu erfahren

Statt dessen sind sie häufiger damit beschäftigt,

- sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten;
- vor dem Fernseher zu sitzen;
- die Wirklichkeir über Medien zu erfahren;
- technische und elektronische Geräte zu bedienen;
- mit perfektioniertem Spielzeug umzugehen;
- in pädagogisch angeleiteten Situationen zu spielen oder zu lernen;
- mit den Eitern im Pkw zu fahren,

Dies sind nur einige aus einer Fülle von Veränderungen der kindlichen Sozialisations- und Lebensbedingungen in unserem Kulturkreis, die als Tendenzen zu verstehen sind. Selbstverständlich gibt es auch viele Kinder, die anders aufwachsen, vor allem dann, wenn Eltern oder andere Erziehungspersonen bewußt gegen diese Bedingungen agieren. Die hier kurz skizzierten zivilisatorisch und sozialökologisch determinierten Umstände, unter welchen unsere Kinder heute in die Gesellschaft hineinwachsen, werden als eine der Hauptursachen für die immer häufiger zu beobachtenden Verhaltensauffälligkeiten oder
-störungen wie hyperkinetisches Syndrom, Konzentrationsschwächen, Tendenz zu aggressivem Verhalten angesehen..

zu b)
In zahlreichen Konzeptionen von Waldkindergärten wird auf die Bedeutung der psychomotorischen Lernerfahrungen für die gesunde Entwicklung der Kinder verwiesen.
Die Aneignung von Wirklichkeit über Körper- und Bewegungserfahrung, die Auseinandersetzung mit der eigenen Leistungsfähigkeit und ihren Grenzen auf diesem Gebiet sind für die ldentitätsentwicklung der Kinder eine wichtige Hilfe. Unbestritten ist auch der Zusammenhang zwischen psychomotorischen Erfahrungen und kognitiver Entwicklung.
Da Kinder aufgrund der Lebensbedingungen (vgl. Argumentation a)) häufig Defizite in dieser Hinsicht aufweisen, kommt den natürlichen Bewegungserfahrungen im Wald eine wichtige ausgleichende Funktion zu. Die Möglichkeit, durch Bewegungsanlässe im Wald wie klettern, laufen, über Hindernisse springen, Hänge hinabrutschen, einen Zuwachs an Bewegungskompetenz zu erwerben, dürfte wesentlich motivierender und effektiver für die Kinder sein als gezielte Programme der Bewegungsförderung in geschlossenen Räumen mit speziell hierfür entwickelten Spielen und didaktischen Materialien.

zu c)
Aus der ökologischen Bewegung und den daraus entwickelten pädagogischen Ansätzen kommt das dritte Argument für die Einrichtung von Waldkindergärten. Unsere technisierte und mediatisierte Welt hat neben der Zerstörung von natürlichem Lebensraum auch zu einem Verlust von Naturerfahrung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene geführt. Als Ausgleich hierfür wird eine gezielte Umwelterziehung gefordert. die über mehr Kontakte zur Natur zu einer entsprechenden Verantwortung gegenüber der Natur führen soll, "Über das Erleben und Beobachten von Tieren und Pflanzen gelangen die Kinder zu einem behutsamen, respektvollen Umgang mit Lebewesen." Solche oder ähnliche Formulierungen finden sich in mehreren Konzeptionen von Waldkindergärten, Naturschützer, Förster und Waldpädagogen gehören mit zu den Befürwortern und teilweise auch zu den Gründern von Waldkindergarten. Bezeichnend ist, daß zwei Waldpädagoginnen, die von ihrer Ausbildung her keine Pädagoginnen sondern Forstwirtinnen sind, das erste Buch über Waldkindergärten (Köllner/Leinert 1998) veröffentlicht haben. Gerade zum Thema Natur- und Umwelterziehung im Kindergarten liegen inzwischen eine beachtliche Anzahl von Buchveröffentlichungen vor. In den Konzeptionen wird besonders häufig auf die Publikationen von Joseph Cornell (vgl. Literaturverzeichnis) verwiesen.
 

zu d)
Erfahrungsberichte belegen, daß die Kinder sehr selten an Erkältungskrankheiten leiden, da der Aufenthalt im Wald bei den unterschiedlichsten Witterungsbedingungen zur Stärkung des Immunsystems beiträgt. Die vielfältigen Bewegungsanreize unterstützen zudem generell eine gesunde körperliche Entwicklung. Als Beispiel kann die Vorbeugung von Haltungsschäden herangezogen werden. Während bei Kindern, die sich häufig in geschlossenen RÄumen aufhalten und sich dabei überwiegend im Sitzen beschäftigen, zunehmend mehr Fehlentwicklungen an der Wirbelsäule und der Rückenmuskulatur diagnostiziert werden, sind die Voraussetzungen für Waldkindergarten-Kinder, solche Schäden zu vermeiden, erheblich günstiger.
Bezüglich der seelischen Gesundheit zeigt sich folgende Tendenz: Die Kinder sind meist emotional sehr ausgeglichen, sie zeigen weniger die ansonsten häufig beklagten Verhaltensauffälligkeiten wie geringe Konzentrationsfähigkeit oder hyperkinetisches Syndrom.
Da der Aufenthalt im Wald offenbar den elementaren Bedürfnissen der Kinder nach Bewegungsrnöglichkeit, nach Gelegenheit, die Umwelt zu erkunden, nach autonomer Gestaltung von Spiel- und Handlungssituationen entgegenkommt, wird der Besuch von Waldkindergärten in einigen Fällen auch als Beitrag zur Suchtprävention bewertet.

zu e)

Bei Spielen und Erkundungen im Wald ergeben sich immer wieder Gelegenheiten, bei welchen Kinder auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Solche natürlichen Anlässe zur gemeinsamen Lösung von Aufgaben erweisen sich als günstige Voraussetzung zum Erlernen kooperativer Verhaltensmuster. Die Vielfalt an Möglichkeiten, Entdeckungen wie Tierspuren, krabbelnde Käfer oder unbekannte Pflanzen zu machen, bieten ebenso wie die gemeinsamen Bau- oder Spielvorhaben hinreichend Gesprächsanlässe, die zur Förderung der kommunikativen Kompetenz beitragen.
Einige Berichte belegen auch, daß im Wald weniger Konflikte zwischen Kindern entstehen bzw. diese eher konstruktiv gelöst werden. Schließlich wird auch die für die Sozialerziehung bedeutsame Orientierung an Regeln erleichtert, da den Kindern der Sinn ,von Regeln leichter vermittelt werden kann. Wenn beispielsweise im Gespräch herausgearbeitet wird, daß das Essen von Beeren, insbesondere, wenn sie nahe am Boden wachsen, wegen der Gefahr, sich dabei mit einem Fuchsbandwurm zu infizieren. streng verboten ist, dann dürfte den Kindern das Einhalten dieser Regel nicht schwerfallen.

zu f)
Der Bezug zur Erlebnispädagogik wird in einigen Konzeptionen hergestellt, ein Kindergarten trägt im übrigen die Bezeichnung "Erlebniskindergarten". Der Lebensraum "Wald“ oder andere in der natürlichen Umwelt vorfindbare Bereiche wie ein Bach, ein Bauernhof oder ein Schafstall bieten eher Gelegenheit für ganzheitliche, erlebnisbetonte Erfahrungen als pädagogisch strukturierte Räume im Regelkindergarten. Dabei werden intensive emotionale Eindrücke gesammelt, welche die Motivation zur kognitiven Verarbeitung und zur kreativen Gestaltung fördern. Die Primärerfahrung der Geburt eines Schafes besitzt für die Kinder eine völlig andere Erlebnisqualität als der gleiche Vorgang, auf einem Videofilm betrachtet.

Die hier getrennt aufgeführten Argumentationen stehen in einem engen Zusammenhang zueinander bzw. überschneiden sich zum Teil. Sie müssen als Hervorhebung jeweils eines Aspekts im Rahmen einer analytisch- theoretischen Betrachtung verstanden werden. So ergibt sich beispielsweise die Forderung nach mehr psychomotorischer Förderung aus der Analyse der Sozialisationsbedingungen von Kindern. Auch der Zusammenhang zwischen der Bedeutung des Waldes als Anlaß für vielfältige Erlebnisse und die intensive Naturerfahrung stehen im Zusammenhang mit dem Argument, der Aufenthalt im Wald fördere die körperliche und seelische Gesundheit der Kinder. Aus den vorliegenden Konzeptionen geht jedenfaIls hervor, daß eine Reihe von gewichtigen Argumenten für das Modell des Wald- oder Naturkindergartens spricht. Den vorliegenden Begründungen liegt ein gemeinsames Merknal zugrunde:
Die unter a) aufgeführten Lebensbedingungen von Kindern und die daraus resultierenden Nachteile für ein gesundes Heranwachsen verlangen nach einem pädagogisch fundierten Ausgleich, einer neuen Form kompensatorischer Erziehung. Während in den siebzigerjahren kompensatorische Erziehung als Ausgleich sozialer Benachteiligung gefordert und praktiziert wurde, machen die gegenwärtigen Lebensumstände eine Kompensation zivilisatorischer Benachteiligung erforderlich. Die vielfältigen Möglichkeiten, welche der tägliche Aufenthalt im Wald bietet, können zwar nicht die oben beklagten Zivilisationsmängel und ihre Folgen für die kindliche Entwicklung aufheben, sie können aber den Kindern eine Reihe von alternativen Erfahrungen ermöglichen und positive Wachstumsanreize liefern.
Ergänzend zu den bisher vorgetragenen Argumenten möchte ich eine weitere Begründung für die pädagogische Bedeutung des Waldkindergartens anfügen. Im Mittelpunkt steht dabei die Bedeutung des Waldes für die Bildungsprozesse im Kindesalter (bildungstheoretisches Argument). Ich beziehe mich in meiner Argumentation insbesondere auf die Ausführungen von Rumpf(1981), Schäfer (1995) und Mertens (1998).
Bereits 1981 hat Horst Rumpf in seinem Buch "Die übergangene Sinnlichkeit“ sehr eindrucksvoll darauf hingewiesen, daß in unseren Bildungsinstitutionen Kinder zuwenig Gelegenheit haben  Primärerfahrungen, also Erfahrungen mit konkreten Gegenständen oder Lebewesen zu machen. Statt dessen werden sie mit Texten, Abbildungen, Modellen und weiteren Formen der medialen Repräsentation der Wirklichkeit konfrontiert. Ich möchte im folgenden die einleitenden Sätze zu seinem Buch wörtlich wiedergeben, da sie das Problem plastisch beschreiben:

"Unsere Zivilisation schickt die Nachwachsenden
- immer mehr von ihnen für längere Zeitspannen
- in Schulen, in Hochschulen.
 Und dort verweilen sie ihre besten Tageszeiten in speziellen Lehr-Räumen, vom übrigen Leben physisch isoliert; sie sitzen die meiste Lernzeit an Tischen, haben mit Worten und anderen Zeichen zu tun, bewegen bedrucktes oder beschriebenes Papier, sie hören, sprechen, schreiben und lesen; bei allem sind sie angeleitet von hauptberuflichen Lehrpersonen, welche die Lerngänge in den symbolischen Welten anbahnen, steuern, kontrollieren, beurteilen. Lehrkörper wie Lernkörper sind infolgedessen in ihren Tätigkeiten ziemlich eingeschränkt - pointiert könnte man diese Körper als Prothesen für redende Münder, hörende Ohren, lesende Augen, schreibende Hände bezeichnen.....“   (Rumpf 1981, S.7).

Auch wenn hier von Schulen und Hochschulen die Rede ist, können wir festhalten, daß auch im Kindergarten Tendenzen in dieser Richtung zu erkennen sind. Der verstärkte Einbezug von Arbeitsblättern und -mappen in die Kindergartenarbeit, wie es in den 70er Jahren üblich war und auch heute noch von vielen Eltern erwartet wird, kann als Beispiel hierfür herangezogen werden. Aber nicht nur in Bildungseinrichtungen, auch im Alltag der Kinder dominieren die Sekundärerfahrungen in Form von Fernsehen, Computerspielen und anderen Medien. Bildungsarbeit im Kindergarten müßte als Kompensation hierzu verstärkt für die Bereitstellung von Primärerfahrungen in Form des Beobachtens von und Handelns mit konkreten Lebewesen und Gegenständen sorgen.
Speziell mit den Bildungsprozessen im Kleinkindalter setzt sich Gerd E. Schäfer sehr gründlich auseinander. Aus seinen komplexen Ausführungen, die neben anderen Ansätzen neurobiologische, wahrnehmungspsychologische, psychoanalytische Erkenntnisse einbeziehen, greife ich einige, für unsere Thematik relevante Gedankengänge heraus. Aus Erkenntnissen der Neurobiologie kann abgeleitet werden, daß der Wahrnehmung von Objekten oder Vorgängen in der umgebenden Wirklichkeit eine Schlüsselrolle im Prozeß des kindlichen Lernens zukommt. Als pädagogische Folgerung daraus fordert der Autor:

„Wahrnehmung braucht einerseits vielfältige Anregung, damit sie zu „plastischen“ Bildern führt; und sie braucht andererseits Zeit, um all die Denk- und Verarbeitungswege auch gehen zu können, die nötig sind, um einen Wahrnehmungsvorgang im Sinne einer komplexen Musterbildung auch abzuschließen“ (Schäfer 1995,S.109).

In diesem Zusammenhang geht er auch auf die Bedeutung der psychomotorischen Entwicklungsanregungen ein, kritisiert aber die häufig vertretene Tendenz zur Verkürzung der pädagogischen Förderung in Form von sensumotorischen Trainingsprogrammen (vgl. Schäfer 1995, S. 110). Ein weiterer Argumentationsstrang bezieht sich auf die Rolle der ästhetischen Erfahrung im Bildungsprozeß von Kindern. Hier nimmt Schäfer in ähnlicher Form wie Rumpf eine kritische Position gegenüber der Mediatisierung des kindlichen Lernens ein. Er deutet dabei den verstärkten Hang zum Fernsehkonsum bei Kindern und Erwachsenen als eine Form der Kompensation fehlender sinnlicher Erfahrungen im Alltag:

"Das Streben nach ästhetischer Anregung und Entspannung - und ich zähle dazu auch den alltäglichen Fernsehkonsum - scheint etwas aufzuwiegen, was unserem Alltag entgeht: sinnliche Erfahrung unserer Wirklichkeit und ihre individuelle Gestaltung( (Schäfer 1995,S.249).

Die ästhetische Wahrnehmung der Qualität von Gegenständen wie Farbe, Form, Geruch rückt in unserem Bildungswesen meist in den Hintergrund, geschult wird eher ein logisch- abstrakter Umgang mit der Wirklichkeit. Kinder sollen beispielsweise auf einem Bild die Anzahl verschiedener Tiere feststellen oder sie nach Kategorien wie Haustiere oder Wildtiere einteilen. Die Erfahrung der lebendigen Tiere in ihrer natürlichen Umgebung, ihre Größe, Färbung oder ihr Bewegungsablauf; wie sie in Waldkindergärten täglich ermöglicht wird, hätte aber eine intensivere Bildungswirkung und käme der kindlichen Wahrnehmung eher entgegen.
Aus einer anderen fachlichen Richtung kommt der pädagogische Ansatz von Gerhard Mertens. Er entwickelt eine „humanökologische Pädagogik“, die Bildung und Identitätsentwicklung auf dem Hintergrund der Umwelten untersucht, in welchen die Lernprozesse stattfinden. Unter dem Begriff "humanökologisch“ ,versteht er in erster Linie die Wechselbeziehungen (Interaktionen) zwischen Menschen und Umwelt, wobei nicht nur die natürliche, sondern auch die soziokulturell geprägte Umwelt gemeint ist (vgl. Mertens 1998. S. 102 ff.). Aus seiner Sicht sind weit mehr als bisher üblich "auch die Umweltkontexte der sich bildenden Personen zu thematisieren, auf ihre Qualität als Lernumwelten zu erforschen und entsprechend bildungsfördernde Umwelten anzustreben“
(Mertens 1998, S.128).
Bereits aus dieser allgemeinen bildungstheoretischen Position läßt sich ableiten, daß die Bereitstellung einer anregungsreichen Lernumwelt, wie sie der Wald bietet, dem Konzept einer humanökologischen Bildung entspricht. An anderer Stelle erörtert Mertens auch speziell das Thema "Umwelterziehung“ im weiteren Sinne. Hier sollen die sehr gründlichen und lesenswerten Ausführungen zu unterschiedlichen Richtungen wie Umwelt- erziehung; Ökopädagogik und analytische Umweltpädagogik nicht näher beleuchtet werden. Für unsere Belange relevant sind die Schlußfolgerungen des Autors wie etwa die folgende:
„Entsprechend müßte ökologisch ausgerichtete Pädagogik dazu anregen, Natur in ihrer Gesamtheit wie in ihren lebendigen und unbelebten Teilgebilden sittlich zu begegnen, d.h. mit Wertschätzung, Rücksichtnahme und Respekt  auch um ihrer selbst willen" (Mertens 1998,S.198)

Eine solche ethische Einstellung gegenüber der Natur basiert nach Mertens auf dem "sinnlich-ästhetischen Umgang mit der Natur“, also dem konkreten Erleben, Beobachten und Handeln in natürlichen Lebensräumen, und dem „religiös- kontemplativen Naturbezug“, dem Staunen über die Wunder der Natur, ihre Unergründlichkeit jenseits von naturwissenschaftlichen Erklärungsmustern.
Bezogen auf die Konzeption und den pädagogischen Alltag in Waldkindergärten ergibt sich aus den hier nur kurz wiedergegebenen Ausführungen, daß diese Einrichtungen eine bildungswirksame Lernumwelt für die Kinder bereitstellen. Diese Bewertung bezieht sich nicht nur auf den speziellen Bereich von Umwelterziehung, sondern prinzipiell auf Bildung im Kindesalter. Dabei sollte allerdings nicht vergessen werden, daß neben der natürlichen Umwelt auch die soziale und zivilisatorische Umwelt den Kindern als Lern- und Erfahrungsraurn zur Verfügung stehen muß. Teile dieser Art von Umweltbegegnung werden sicherlich durch das Elternhaus ermöglicht, der Waldkindergarten sollte aber auch solche Lernerfahrungen ermöglichen. Dies geschieht bereits in vielen Einrichtungen, indem Besuche z.B, der Feuerwehr, der Polizeistation, der Stadtbücherei, des Wochenmarktes mit den Kindern arrangiert werden. Abschließend läßt sich festhalten:

1. Aus der Analyse der Konzeptionen von Waldkindergärten ergeben sich eine Reihe von Argumenten, welche die pädagogische Bedeutung dieser Einrichtung belegen. Diene Argumente stehen weitgehend in einem wechselseitigen Zusammenhang zueinander. Ein gemeinsames Merkmal ist die kompensatorische Wirkung von Waldkindergärten im Sinne eines Ausgleichs zivilisatorischer Benachteiligung.

2.Ergänzend zu dieser Argumentation hat sich unter Berücksichtigung aktueller pädagogischer Konzepte die Bedeutung des Waldes als besonders geeignetes Umfeld für Bildungsprozesse im Kleinkindalter heraus- kristallisiert.

Literatur

Cornell,J.:Mit Freude die Natur erleben. Mülheim 1991
Cornell, J; Mit Kindern die Natur erleben Mülheim 1991
Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): Was für Kinder. Aufwachsen in Deutschland. Ein Handbuch  München
1993
Gorges, R.: Vernachlässigt der Waldkindergarten die Schulfähigkeit?In: kita aktuell (Ausgabe Baden-württemberg) Mai 1999
Hessisches Ministerium für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit  (Hrsg):
Waldkindergärten  Wo Kinder mit den Bäumen wachsen. Wiesbaden 1998
Mertens G.: Umwelten: Eine humanökologische Pädagogik, Paderborn - München- Wien Zürich 1998
Köllner/Leinert: Waldkindergärten, Augsburg 1998
Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern/ Landesjugendamt (Hrsg): Informationen und Materialien zum Waldkindergarten, Stuttgart 1997
Naturschutzzentrum Hessen (Hrsg): Verzeichnis der Natur- und Waldkindergärten in Deutschland. Wetzlar 1999
Rumpf H.: Die übergangene Sinnlichkeit. München 1981
Schäfer G.E.: Bildungsprozesse im Kindesalter. Weinheim-München 1995