Aus den USA kommen nicht nur die kräftigsten Impulse für den globalen "TurboKapitalismus". In den letzten Jahren hat es dortzulande eine Entwicklung auf dem Energiesektor gegeben, die nahezu märchenhaft erscheint: Energieversorgungskonzerne versuchen sich gegenseitig darin zu überbieten, Energie auf möglichst ökologische Weise zu gewinnen... Der Berliner Journalist Johannes Kaiser hat für das Wissenschaftsjournal von Radio Brandenburg die Hintergründe und möglichen Konsequenzen dieser Entwicklung recherchiert und zu einer Sendung zusammengestellt, die wir im Folgenden gekürzt wiedergeben.
"Es ist richtig kafkaesk: Dieselben Stromversorgungsunternehmen, die vor 1973 nichts anderes im Sinn hatten als Wachstum, richten jetzt ihren ganzen Ehrgeiz darauf Maßnahmen zum Energiesparen zu verkaufen und dabei sinken die Preise ständig. Sie werden buchstäblich lügen, betrügen und stehlen, um Energie zu sparen. Wirklich!"

Physikprofessor Arthur Rosenfeld, Direktor des Center for Building Science am Lawrence Berkeley Laboratorium, dem kalifornischen Energieforschungszentrum, gehört zu denjenigen, die in den letzten 15 Jahren nicht nur die Energieszene an der Westküste der USA völlig umgekrempelt haben, sondern auch in ganz Nordamerika eine Abkehr von der Philosophie des Wachstums einleiteten. Negawatt heißt ihre Idee, die auf den Physiker Amory Lovins zurückgeht: Ein Negawatt steht für ein gespartes Stromwatt. Lovins hatte vorgerechnet, daß es sich für Stromversorger lohnen könnte, statt neue Kraftwerke zu bauen, um die wachsende Stromnachfrage abzudecken, Strom dort zu gewinnen, wo er bislang verschwendet wurde, nämlich bei den Kunden. Die Rechnung ist so schlicht wie überzeugend. Beim Neubau von Kraftwerken konventioneller Art, also Erdöl, Kohle oder Atomenergie müssen die amerikanischen Stromversorger pro Kilowattstunde 5-8 Cents aufwenden. Stromsparmaßnahmen kosten dagegen im Schnitt nur 1-3 Cent pro Kilowattstunde, sind also zwei- bis dreimal billiger. Die US-Versorger nennen diese Idee denn auch Least cost planning, also Planung zu den geringsten Kosten. Auf die neue Kostenrechnung kamen sie allerdings nicht allein, denn so wie die deutschen Stromkonzerne hatten auch sie bis in die 80iger Jahre ihre größten Gewinnaussichten in ständiger Absatzsteigerung und im Neubau von Kraftwerken gesehen, eine umweltpolitische Absurdität für den Energieexperten Peter Hennicke vom Wuppertal-Institut für Klima-Umwelt-Energie:
"Die einfachste Form, heute viel Geld zu machen, ist nach wie vor die, daß sich ein Unternehmen unter unseren Regulierungsbedingungen ein Kraftwerk genehmigen läßt, dann eine bestimmte Prognose über den erwarteten Absatz mit der Preisaufsicht aushandelt sich darauf einen Durchschnittsgewinn garantieren läßt und dann mehr absetzt, als vorher ausgehandelt worden ist. Jede mehr abgesetzte kWh bringt zusätzlichen Gewinn. Insofern haben wir eine perverse Anreizstruktur im jetzigen Regulierungssystem in der Bundesrepublik, wo der Mehrverbrauch honoriert wird, statt die Anreizstruktur umzudrehen und das Einsparen zu honorieren und für die Unternehmen nun auch attraktiv zu machen."
Bis Anfang der 80iger Jahre hatten auch die amerikanischen Stromversorger ähnlich kassiert, bis der kalifornische Gouverneur Jerry Brown, ein ausgewiesener Atomkraftgegner, dem Spiel ein Ende setzte. Die von ihm bestimmten Mitglieder der öffentlichen Tarifkommission verweigerten plötzlich die bislang routineartig ausgesprochene Genehmigung höherer Preise und neuer Kraftwerksbauten, verlangten zuvor, Sparmaßnahmen zu sehen. Die Stromversorger fielen aus allen Wolken. Es begannen heftige Verhandlungen. 1989 schließlich einigte man sich auf einen Kompromiß: für alle Investitionen in Energiesparmaßnahmen dürfen die Unternehmen eine höhere Verzinsung berechnen als dies bei Kraftwerksneubauten der Fall ist. Sie verdienen also mit Sparen mehr als mit Bauen. Das scheint ein glänzendes Geschäft zu sein, denn seitdem hat z.B. das größte Unternehmen, die Pacific Gas & Electric, ihre Kraftwerkshauptabteilung aufgelöst und ist in ganz Kalifornien kein einziger konventioneller Kraftwerksneubau beantragt worden. Dafür erprobt man Windfarmen, Photovoltaik- und andere regenerative Energiegewinnungsanlagen. Das Energiesparen hatte für Amerikas Kraftwerksbauer katastrophale Folgen. Ihre teuren Anlagen galten plötzlich nicht mehr als sichere Investition. Zahlreiche Projekte wurden aufgegeben. Am schlimmsten hat es die Kernenergie getroffen. Seit den Unfällen von Three Miles Island sowie Tschernobyl gilt diese Technologie in den Augen der meisten Amerikaner als zu riskant. Für die Stromversorger ist sie teuer. Bleibt nur noch der Staat, der nicht von ihr lassen kann. So hat die Regierung CIinton die Mittel für die Atomforschung nicht wie versprochen um gut die Hälfte gesenkt, sondern um 10% erhöht. Doch das Zeitalter der Atomenergie in den USA ist vorbei. Die letzte Betriebsgenehmigung läuft im Jahr 2020 aus. Neue sind nicht beantragt. Dennoch werden die Lichter in den USA nicht ausgehen, wie hierzulande unsere großen Stromversorger wider besseres Wissen weiterhin behaupten, falls wir von der Atomkraft lassen. Das Geheimnis heißt Stromsparen. Das bestätigt auch David Freeman, der Chef des kalifornischen Stromversorgungsunternehmen SMUD:

"Sie sprechen, glaube ich, mit dem Generaldirektor des einzigen Stromversorgungsunternehmens  der Welt, das auf das Votum der Bürger hin ein funktionierendes Atomkraftwerk freiwillig stillgelegt hat und ich kann allen in Deutschland versichern, daß es ein Leben nach dem Atomstrom gibt und es ist sehr gutes Leben, sogar ein besseres. Unsere Stromtarife sind stabil geblieben. Seit wir das Atomkraftwerk stillgelegt haben, gab keine Preiserhöhungen. Uns geht es noch besser als die Gegner der Atomkraftwerke vorausgesagt haben."
Der ehemalige Umweltschützer, heutige Chef des Stromversorgungsunternehmens der Landeshauptstadt Kaliforniens, lächelt bei diesen Worten. Immerhin ist ihm gelungen, was hierzulande konservative Energiepolitiker als Rückfall in die Steinzeit beschwören. Dabei massiv geholfen hat ihm sein radikales Stromsparkonzept. David Freeman und seine Mitarbeiter haben sich ein ganzes Bündel an Maßnahmen einfallen lassen, um Strom zu sparen und den prognostizierten Mehrbedarf der boomenden Landeshauptstadt abzudecken. Stolz zeigt der Generaldirektor auf ein Bild auf seinem Schreibtisch, das ihn inmitten eines Berges alter Kühlschränke zeigt:

"Im Rahmen unseres Kühlschrankprogramms haben wir über 50.000 Kühlschränke ausgetauscht. Wir zahlen den Leuten 100$ für ihre alten Kühlschränke, schaffen sie fort und schreddern sie, weil wir die alten Geräte aus unserem System raushaben wollen. Wir haben also die Leute veranlaßt sich einen wirklich neuen effizienten Kühlschrank anzuschaffen, doppelt so effizient wie die alten."

Daß die neuen Kühlschränke weniger Energie verbrauchen als die alten, ist allerdings kein Zufall. Obwohl in den USA im Unterschied zu Deutschland kein einziger Kühlschrank auf dem Markt zugelassen wird, der nicht den staatlich festgelegten Verbrauchswerten entspricht, reichte dies den auf Stromsparen versessenen Energieunternehmen bei weitem nicht. Um sparsamere Kühl- und Gefrierschränke zu bekommen, dachte man sich ein lukratives Lockmittel für die Produzenten aus, das unter dem Namen Goldene Karotte Furore gemacht hat, wie Energieforscher Arthur Rosenfeld vom Lawrence Berkley Laboratorium der University of California erzählt:

"Die kalifornischen Versorger haben einen Pool von 30 Mio. $ eingerichtet Das entspricht etwa den Kosten der Produktlinie eines Kühlschrankprogramms Dann kündigten sie an, daß sie dieses Geld dem ersten Produzenten zahlen würden, der mit einem Kühlschrank ankäme, der die Standards um 20% unterbieten würde. Zwei Unternehmen meldeten sich. Whirlpool gewann und bekam die 30 Mio. $. General Electrics schnitt zwar nur als Zweitbester ab, sagte aber: Da wir die Ingenieursleistungen bereits erbracht haben, werden wir ebenfalls produzieren. Also gibt es zwei Produzenten in den USA, die Kühlschränke anbieten, die 2o % besser sind als die augenblicklichen Standards Jetzt wollen die Versorger denselben Anreiz bei Fenstern, Lichtanlagen, Wäschetrocknern, Frontlader-Waschmaschinen anwenden."

Manche Stromversorger wie die SMUD in Sacramento bieten ihren Kunden ein gesamtes Umbauprogramm an. David Freemans Mitarbeitern mangelt es nicht an Ideen:

"Wir bauen Häuser um, installieren ganze Klimaanlagen, denn wir haben hier einen großen Verbrauch für Aircondition. In einem anderen Programm geben wir im Jahr 50000 Bäume ab, die am richtigen Platz direkt neben die Häusern gepflanzt Schatten spenden und so Aircondition einsparen helfen. Wir kümmern uns um die Hausdächer damit sie im Sommer die Sonne reflektieren und Aircondition verringern. Dächer sind im Hinblick auf die Hitze sehr wichtig denn es kostet eine Menge Energie, sie kühl zu halten. Wir zahlen Architekten Extrageld um super-effizient zu planen und dann leihen wir den Bauherren die Extrasumme, um supereffizient zu bauen. Wir haben eine gesamtes Neu-Bauprogramm. Wir führen ständig Innovationen ein und wollen versuchen, noch in diesem Jahrzehnt in dieser eine Million Einwohner zählenden Stadt etwa 600 - 700 Megawatt einzusparen."

Der Wiederverkauf des eingesparten Stroms ist ein gutes Geschäft. Der Nettogewinn des Unternehmens hat sich seit 1989 vervierfacht. Das glänzende Betriebsergebnis erlaubt zum einen die Preise seit vier Jahren stabil zu halten und zum anderen massiv in Stromsparmaßnahmen zu investieren. Kleinere Verbesserungen zahlt SMUD aus der eigenen Tasche, größere Investitionen finanziert es vor: Der Kunde bekommt einen billigen Kredit, den er mit den Stromeinsparungen abzahlt. Ihn kostet der neue Eisschrank, die neue Klimaanlage also real keinen Pfennig. Kein Wunder, daß Handel und Handwerk das Stromsparen inzwischen sogar in Fernsehspots propagieren. Sie profitieren ganz unmittelbar von SMUDs Effizienz-Programm. 280 Megawatt, etwa 13% des Strombedarfs zu Spitzenzeiten, hat das Unternehmen in den letzten drei Jahren eingespart und gleich wieder verkauft. Bis zum Jahr sollen es 800 Megawatt werden. Das entspricht in etwa dem vorausberechneten Anstieg des Bedarfs.
Ein besonderes Problem aller Stromversorger sind die Spitzenbelastungen. Man hält für solche Fälle im Prinzip überschüssige Kraftwerkskapazität bereit. Meistens werden alte, besonders schmutzige Anlagen dazugeschaltet, wenn der Stromverbrauch überdurchschnittlich in die Höhe schnellt. SMUD hat sich hier, so Generaldirektor Freeman, einen Trick einfallen lassen:

"Wir können an einem heißen Sommertag einen Knopf drücken und ein Radiosignal an alle aussenden. Damit schalten wir die Klimaanlagen für drei bis vier Stunden aus. Die gesparten 175 Megawatt können wir anderweitig einsetzen. Wir geben den Verbrauchern für diese Genehmigung einen Rabatt auf ihre Stromrechnung. Da ihre Häuser gut isoliert sind, werden sie es kaum merken."

Das Stromsparen soll nach dem Willen vieler Energierationalisierer durch neue Anreize noch weiter ausgedehnt werden. Energieforscher wie der Physiker Arthur Rosenfeld propagieren ein Gesetz für variable Anschlußgebühren an das Stromnetz, das Gebäudebesitzern einen finanziellen Vorteil gewährt, wenn sie Energie sparen. Bisher zahlen alle die gleichen Anschlußgebühren, unabhängig davon, wieviel Strom die einzelnen Geräte im Gebäude verbrauchen. Energiefressende Klimaanlagen, verschwenderische Lichtsysteme kosten dieselbe Grundgebühr wie sparsame Anlagen:

"Das durchschnittliche Gebäude würde wie üblich angeschlossen, nur senken wir wenn Sie weniger Energie als das Durchschnittsgebäude verbrauchen, ihre Anschlußgebühr um 1000 $ pro zusätzlich gespartem Kilowatt. Wenn Sie aber überdurchschnittlich viel verbrauchen, dann berechnen wir Ihnen pro Kilowatt 1000$ zusätzlich. Das Gesetz ist also gewinnneutral. Tatsächlich werden diese effizienten Gebäude trotz der hohen Anfangsinvestitionen langfristig sogar die besseren sein, weil sie billiger werden. Kein einziger Architekt würde mehr die  falschen Fenster oder Glühbirnen einplanen, denn wenn die variable Anschlußgebühr kommt, dann kostet bei 1000 $ pro Kilowatt jedes zusätzlich installierte Watt einen Dollar. Jedesmal wenn eine 60-Watt-Glühbirne geplant ist würde sie 50$ zusätzlich kosten, weil eine Energiesparlampe nur 11 Watt verbraucht. Das macht dann keiner mehr."

In den USA jedenfalls sind bislang ungefähr 9 Gigawatt Strom, das entspricht der leistung von 9 Kernkraftwerken, eingespart worden. Das Konzept hat sich bewährt, erfreut Stromversorger und Kunden ebenso wie Umweltschützer, denn es verringert die Kohlendioxid- und Stickoxidemissionen und trägt so dazu bei, den Treibhauseffekt abzumildern. Das Negawatt-Modell läßt sich aber auch auf die Bundesrepublik übertragen. Zwar liegt unser Stromverbrauch insgesamt niedriger als in den USA und arbeiten viele Geräte energieeffizienter als ihre amerikanischen Pendants, aber dennoch ist das Stromsparpotential groß, wie Peter Hennicke vom Wuppertal-Institut errechnet hat:

"Wir haben in der BRD ein Einsparpotential von fast 10%. Das sind fast 100 Mrd. Einsparung. Das ist eine Größenordnung, die durch überhaupt keinen anderen Faktor, schon gar nicht bei den Löhnen, erreicht wird. Man muß nur aktiv daraufhinarbeiten."

Erste Ansätze finden sich allerorten. Selbst in Brandenburg beginnen einige Kommunen auf Anregung der BEA, der brandenburgischen Energiesparagentur Strom einzusparen, so BEA-Mitarbeiter Georg Wagner Lohse:

"In Schulräumen braucht man 360 Lux und wir stellen leider fest daß es neugeplante Schulräume gibt, in denen 1000 Lux installiert lied sind. Man braucht eine gewaltige Menge Strom, um 1000 Lux zu erzeugen und der Unterricht funktioniert mit 360 Lux perfekt nach DIN. Wir sorgen dafür, daß die Beleuchtung so eingerichtet wird, daß man 360 Lux erzeugt. Ein anderes Beispiel ist die Straßenbeleuchtung: Iin einem kleinen Planungsbeispiel konnte man zeigen, daß man von 56 geplanten Bogenlampen in einer Straße auf 44 reduzieren konnte und so liegen schlechte Stromverbraucher bei der Straßenbeleuchtung bei 20 Mark pro Einwohner und effiziente liegen bei 8 Mark pro Einwohner"

Von Least-Cost-Planning ist man in Brandenburg allerdings noch weit entfernt, obwohl gerade der Neubau von Versorgungseinrichtungen sowie die Sanierung vieler maroder Stromnetze es sinnvoll erscheinen ließe, gleich in Stromspartechnologien zu investieren. Lediglich die Stadtwerke in Frankfurt/Oder untersuchen derzeit ihr Einsparpotential. Das wird wahrscheinlich nicht weniger hoch liegen als in anderen bundesdeutschen Städten, die solche Studien bereits vorliegen haben und daran sind, sie zu verwirklichen. Ganz klein und dennoch ausgesprochen erfolgreich hat hier Saarbrücken begonnen. Dank einer pfiffigen Werbekampagne wechselten die Bürger dort 40-50 000 normale Glühbirnen gegen Energiesparlampen aus. Allein damit sparte man rund 5 Megawatt ein und zwar zu Kosten zwischen 6 und 8 Pfennig pro Kilowattstunde. Genauer und umfassender wollten es die Stadtwerke von Hannover wissen. Das Ergebnis beweist, daß die US-Erfahrungen durchaus auf Deutschland übertragbar sind. Dazu noch einmal Peter Hennicke:

"Die Stadtwerke Hannover haben mit dem Wuppertal-Institut, dem Öko-Institut, in vierjähriger Zusammenarbeit einen Prototyp eines Einsparkraftwerks entwickelt. Der Gesamteffekt wird sein, daß innerhalb von 30 Jahren ungefähr 2-4 Mrd. kwh Strom eingespart werden. In der Spitze wäre das ein Leistungsverzicht von etwa 40 Megawatt Das ist anteilig an der Spitzenlast der Stadtwerke ungefähr 6% und dies mit beträchtlichem volkswirtschaftlichem Gewinn für die Kunden."

Die Studie, die erste in Deutschland für eine Großstadt, weist nach, daß man den derzeitigen Stromverbrauch um mehr als 30% senken kann. Dazu bedarf es keineswegs neuer revolutionärer Technologien. So reicht im Haushaltsbereich der konsequente Einsatz stromsparender Geräte, um den Verbrauch um 34% zu senken. Auch im Kleinverbrauchsbereich, wozu sowohl kleine Gewerbetreibende als auch der gesamte öffentliche Dienstleistungsbereich zählt, ließen sich ebenfalls rund 34% des derzeitigen Stromverbrauchs vor allem durch effizientere Beleuchtungssysteme und Kühlaggregate sowie Wärmepumpen einsparen. Bei den Recherchen in Hannover stieß man, so Koautor Peter Hennicke immer wieder auf enorme Energieverschwendung:

"Ein besonders eindrucksvolles Beispiel war die Untersuchung einer Gesamtschule, ein sehr großer Gebäudekomplex, bei dem wir gefunden haben, daß 67% des Strombedarfs eingespart werden können. Dies ist eine typische Bausünde aus den 70er Jahren. Man findet jede Menge Wärmebrücken. Es gab undichte Mauerstellen, aus denen die Raumheizung direkt nach außen entwichen ist Die Beleuchtung war auf dem Stand der 70er Jahre; so daß bei ohnehin anstehenden Sanierung dieses Gebäudes mit einer Amortisationszeit von einem Jahr dieses Potential erschlossen werden könnte."

Bleibt als dritter Sektor die Industrie. Hier birgt neben dem Einsatz besserer Beleuchtungssysteme vor allem die Umrüstung auf effizientere Motoren ein erhebliches Sparpotential. Um die Unternehmen dazu zu bringen, neue Motoren anzuschaffen, wollen die Hannoverschen Stadtwerke das sogenannte Contracting einführen, d.h. das Energieunternehmen zahlt die Umrüstung aus eigener Tasche. Dafür berechnet es dem Betrieb weiterhin die alten hohen Gebühren, obwohl dessen Stromverbrauch massiv gesunken ist. Aus der Differenz werden die Investitionskosten allmählich abgetragen. Sind sie getilgt, zahlt der Betrieb nur noch die tatsächlichen Stromkosten. Ein Geschäft für beide Seiten.
Um beurteilen zu können, wieviel Energie man wo einsparen kann, braucht man natürlich konkrete Zahlen über den bundesdeutschen Verbrauch. Nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen fraß der Verkehr 1993 mit knapp 29% die meiste Energie. Ihm unmittelbar folgten die Privathaushalte mit fast 28%. An dritter Stelle erst kam die Industrie mit etwas über 26%. Sie hat in den letzten zehn Jahren ihre Energiesucht drastisch verringert. An letzter Stelle mit 18 % standen die Kleinverbraucher, also kleine Gewerbetreibende sowie der öffentliche Dienstleistungsbereich. Übersetzt heißt das, der Bürger, also jeder einzelne von uns, geht mit Energie verschwenderisch um. Wenn es uns gelingt, Energie zu sparen, läßt sich viel gewinnen. Wir müssen damit aber nicht unbedingt warten, bis uns ein Stromversorgungsunternehmen Hilfe anbietet.
Wir können auch schon selbst etwas tun. Es ist gar nicht so schwer, wie Klaus Michael, der Energiebeauftragte der Stadt Detmold vorgemacht hat:

"Wir sind ein Drei-Personen-Haushalt. Wir verbrauchen nur 55 kWh im Monat Das ist sehr wenig. Der normale Haushalt dieser Größe braucht zwischen 200 und 300 kWh. Wir haben das geschafft, indem wir keine Elektroheizung haben, kein Elektrowarmwasser haben. Wir haben eine Ölzentralheizung mit Warmwasserversorgung. Unsere Waschmaschine wird mit Warmwasser gespeist, unsere Spülmaschine ebenfalls. Wir haben gut 30% unserer Leuchten mit Energiesparlampen ausgestattet Wir haben überhaupt kein einziges Standby-Gerät in unserer Wohnung. Das einzige, was wir noch nicht saniert haben, ist unsere Umwälzpumpe. Wir haben den absolut sparsamsten Kühlschrank Europas; ein dänisches Modell und der steht noch in einer kühlen Speisekammer und braucht also nur 0,1 kWh pro Tag ist also das ideale Gerät für unseren Haushalt"

Das Umrüsten lohnt sich, wie Maus Michaels Stromrechnung beweist. Er zahlt 16 Mark im Monat. Sein Beispiel ist überzeugend und keineswegs exotisch. Raumwärme stellt mit rund 77% überhaupt den größten Brocken unser häuslichen Energieverbrauchs dar. Hier läßt sich mit Wärmedämmung, Solararchitektur, d.h. vor allem Ausnutzung der Sonnenwärme, Heizungsanlagen mit besserem Wirkungsgrad, sehr viel einsparen. Doch das scheint vielen wenig attraktiv, wie Sylvia Hladky vom Deutschen Museum in München, zuständig für Energiebereich, beobachtet hat:

"Die Leute haben 20 Jahre ihre alte Heizungsanlage im Keller, die geht ja noch. Fragt kein Mensch, was die für einen Wirkungsgrad hat, für einen Schadstoffausstoß Die wird erst ausgewechselt, wenn sie kaputt ist - kostet zehn- bis fünfzehntausend Mark. Aber alle fünf Jahre mindestens 10.000 oder 20.000 Mark in ein neues Auto zu investieren, das ist eigentlich ganz normal, das ist Lebensqualität. Wenn dieser Wertewandel mal stattgefunden hat, daß es mindestens so interessant sein kann zu sagen, ich habe eine Heizung, die hat einen Wirkungsgrad von 98% und ein anderer sagt, ich habe aber einen Brennwertkessel, der hat einen Wirkungsgrad von 103% - dann ist schon sehr viel passiert."

Das Denken ändern, dauert lange. Das Verhalten allerdings läßt sich mit ein bißchen Willen relativ rasch ändern. Die Standby-Schaltung, also die Betriebsbereitschaft rund um die Uhr bei Fernseher, Hifi-Anlagen, Videogeräten, die ein Ein- und Ausschalten per Fernbedienung  erlaubt, verschlingt in der Republik jährlich 5 Milliarden Kilowatt. Das ist mehr, als im Jahr insgesamt an regenerativer Energie gewonnen wird, d.h. wir verschleudern unsere umweltfreundlich erzeugte Sonnen-, Wind- und Wasserkraft für durchaus verzichtbare Bequemlichkeit.
Wichtig ist immer wieder Aufklärung. So ist uns oft nicht bewußt, daß unsere Geräte nicht nur im täglichen Gebrauch Strom verbrauchen, sondern bereits bei ihrer Herstellung. Auch in unseren Lebensmitteln steckt bereits eine große Portion Energie, bevor wir sie verzehren, wie die Münchner Energieexpertin aufzählt:

"Etwa 60% der Energie, die wir verbrauchen, steckt in Produkten, daß heißt, sie wird zur Herstellung, zum Transport, letztendlich zur Entsorgung dieser Produkte verbraucht. Das heißt also ganz eindeutig, daß wir mit der Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Produkt ganz stark den Energieverbrauch beeinflussen. Das geht bei der Verpackung an. Nehmen Sie Tiefkühlkost, die zugegebenermaßen auch für berufstätige Mütter sehr praktisch ist. Aber Tiefkühlkost gehört zu den energieintensiven Produkten schlechthin:
Von dem Moment an, an dem sie hergestellt wird, brauchen Sie Energie, um sie kühl zu halten. Und das Kühlen hat einen großen Anteil beim Stromverbrauch im Privathaushalt. Unsere bequeme Lebensform, die ja auch ständig propagiert wird, müssen wir uns erkaufen dadurch, daß wir ständig Energie zuführen. Es gibt auch dieses schöne Beispiel eines Schinkens von einem bayrischen Schwein, der erst nach Italien transportiert und dort geräuchert wird und dann noch in ein anderes Land geschickt wird zum Verpacken und so eine Unmenge an Energie bereits verbraucht hat, bevor es bei uns auf dem Frühstücksteller liegt. Wären wir dagegen zum nächstgelegenen Bauern gefahren, um dort das Geräucherte zu kaufen, hätten wir diese Unmenge an Energie eingespart."

Wer auf seinem Wochenmarkt oder in seinem Supermarkt darauf achtet, Produkte aus der näheren Umgebung zu kaufen, der trägt dazu bei, daß Energie eingespart wird. Übrigens ist auch der Flug in den Urlaub eine ziemlich große Energiesünde. Fliegt z.B. eine vierköpfige Familie auf die Malediven, kostet das etwa genau soviel Energie, wie sie das ganze Jahr über im eigenen Haushalt verbraucht.
An Plänen, Vorschlägen, Ideen, Strom einzusparen, fehlt es in der Bundesrepublik also nicht. Die Energieversorgungsunternehmen könnten auch hier die Hemmschwelle der Unternehmen senken, indem sie ihnen das für die Einspartechniken notwendige Kapital vorstrecken. Doch die deutschen Stromkonzerne, die dafür genügend Geld hätten, zeigen wenig Interesse. Ihre Monopolsituation schützt sie vor Konkurrenz. Mancher setzt nun auf die geplante Freigabe des Marktes. Dann, so die Hoffnung, werden sich die Stromversorger gegenseitig Konkurrenz machen und sich mehr um den Kunden kümmern, d.h. ihm Möglichkeiten anbieten, Strom zu sparen. Doch angesichts der Größe der bundesdeutschen Stromkonzerne wird es, so Stephan Ramesohl vom Wuppertal-Institut, gar keinen echten Wettbewerb geben:

"Wir haben nun mal die Situation, daß 9 überörtliche Energieversorgungsunternehmen, angeführt von RWE über 90% des Stroms erzeugen und bereitstellen. Ihnen gehören die Netze. Und diese Unternehmen haben in den vergangenen Jahren eine derartige Kapitalstärke erwerben können, zum Teil auch über die Rückstellung für Kernkraftwerke, daß die einfach gefüllte Kriegskassen im Milliardenbereich haben. Das führt dazu, daß sie sich nach und nach wichtige Infrastrukturbereiche einverleiben können. In der Versorgungswirtschaft dominieren sie ebenfalls und sie beginnen jetzt auch den lukrativen Markt der Telekommunikation zu erschließen. Daher denke ich, es ist außerordentlich naiv anzunehmen, daß auf einem Markt, in dem keine gesetzlichen Regelungen mehr vorhanden sind, vor diesen Elefanten irgendeine Form des Wettbewerbs noch Bestand hätte. Das wird also dazu führen, daß dieses Oligopol sich nur unter anderem Vorzeichen durchsetzen wird und jede andere innovative Form, auch ökologisch und ökonomisch effiziente Form der Energieversorgung damit unmöglich würde. Das heißt wenn Wettbewerb, dann auch richtig Wettbewerb -und die erste Voraussetzung dafür ist die Zerschlagung derartiger konzentrierter Monopole."

Die Deregulierung wird also nicht helfen, Strom zu sparen und den Kohlendioxidausstoß zu mindern. Unter solchen Umständen sollte man annehmen, der Staat würde hier fördernd oder zumindest fordernd einschreiten. Immerhin sitzen Vertreter der Landesregierungen in den Entscheidungsgremien der Konzerne. Doch die öffentliche Kontrolle funktioniert nicht, so Peter Hennicke:

"Bei uns ist das Problem, daß wir viele öffentlich gebundene Unternehmen haben. Wir haben eine Verschmelzung von öffentlicher Aufsicht und ökonomischen Interessen. Viele Wirtschaftsminister sitzen in den Landesunternehmen direkt in der Spitze im Aufsichtsrat und sie genehmigen sozusagen das Kraftwerk, das sie gerade beschlossen haben, nachher als oberste Aufsicht des Staates in ihrer Funktion als Energieaufsichtsbehörde. Also diese unheilvolle Verquickung zwischen staatlichen und ökonomischen Funktionen verhindert bisher in der Bundesrepublik, daß wirklich eine effektive öffentliche Kontrolle stattfindet über Versorgungsunternehmen."

Es ließe sich noch viel darüber erzählen, wie die bundesdeutschen Stromkonzerne alles abblocken, was die Stromverschwendung hierzulande stoppen könnte. Doch halten wir ersteinmal fest: Das "Einsparkraftwerk" ist keine fixe Idee einiger Umweltspinner. Es läßt sich bauen. Man muß es nur wollen.
 
Johannes Kaiser, Berlin