Die Zeit des billigen Öls
geht bald zu Ende
von
Jörg Schindler und Werner Zittel

ÖKOmedialogo

Das Problem der Begrenztheit der fossilen Energievorräte hat augenblicklich in der Öffentlichkeit keine Konjunktur. Politik, Industrie, Presse und Umweltgruppen sind sich erstaunlich einig, daß es zwar prinzipiell ein Ressourcenproblem gibt, daß dieses aber für die nächsten Jahrzehnte und möglicherweise auch Generationen kein wirklich reales Problem darstelle. Obwohl der Club of Rome die Öffentlichkeit Anfang der 70er Jahre für das Thema sensibilisiert hatte und die Welt dann zwei Ölkrisen erlebte, die jedoch innerhalb weniger Jahre überwunden werden konnten, ist heute fast überall das Gefühl verbreitet, daß das Problem nicht aktuell sei und keine große Aufmerksamkeit verdiene.

Die Gesellschaft pflegt einen sehr kurzfristigen Umgang mit langfristigen Entwicklungen. Der Schluß, daß das Problem der Reserven eigentlich keine Beachtung verdiene, weil in den vergangenen 25 Jahren die Katastrophe nicht eingetreten ist, ist jedoch aberwitzig. Er gleicht der Meinung eines Menschen, der, nachdem er eine schwere Krankheit überstanden und dann viele Jahre überlebt hat, nun zu dem Schluß kommt, daß das Problem des eigenen Todes wohl doch nicht existiere.

Ressourcenschonung - Vermeidung des Verbrauchs begrenzter natürlicher Vorräte - und „Senkenschonung" - also Vermeidung der Folgen ungezügelter Ressourcennutzung - stellen die beiden wesentlichen Komponenten einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise dar. Im Sinne der Nachhaltigkeit verdienen beide Argumente gleiche Beachtung. Heute findet in der energiepolitischen Debatte wenigstens der zweite Aspekt gebührende Aufmerksamkeit. Die Folgen des ungezügelten Energieverbrauchs sind Gegenstand internationaler Konferenzen und bereits heute für jeden sichtbar, der sie sehen will. Dagegen verläuft die Verknappung der Ressourcen schleichend und unsichtbar. Demgemäß wird der Ruf nach einer nachhaltigen Wirtschaftsweise fast ausschließlich mit der Emissionsproblematik begründet.

Tatsächlich aber hat sich von einer breiten Öffentlichkeit unbemerkt die langfristige Versorgungslage insbesondere beim Erdöl dramatisch zugespitzt. Wir vertreten hier die These, daß die Ressourcenfrage innerhalb weniger Jahre die Energiediskussion wieder dominieren oder zumindest gleichrangig beeinflussen wird.

Wir wollen mit diesem Beitrag die Vorstellung erschüttern, daß in Sachen Ölversorgung alles „in Ordnung" sei. Es sind sehr wohl bereits in den nächsten zehn Jahren auch chaotische Umbrüche denkbar. Wir wissen sicher nicht, wie die Zukunft sein wird, aber es gibt gute Gründe, zu glauben, daß das am wenigsten wahrscheinliche Szenario dasjenige ist, das davon ausgeht, daß die nächsten 20 Jahre so sein werden wie die vergangenen 20 Jahre.

Wir wollen zeigen, daß eine große Diskrepanz zwischen den grundlegenden Fakten und den tatsächlichen Handlungen der wichtigen Akteure auf der einen Seite und der öffentlichen Wahrnehmung auf der anderen Seite besteht. In der Presse finden sich isolierte Meldungen über „Fakten" wie neue Ölfunde, gestiegene Weltölreserven etc., die nicht in einen interpretierenden Zusammenhang gestellt werden. Wir wollen den Blick schärfen für das „Spiel", das unserer Meinung nach eigentlich gespielt wird, und für die dahinterstehenden Interessen. Erst dann werden die langfristigen Strukturen klarer sichtbar.

Erdöl ist auch heute noch mit fast 40% Anteil der wichtigste Energieträger. Die jährlich veröffentlichten statischen Reichweiten (eine Kennzahl, die besagt, wieviele Jahre das verbleibende Öl bei heutigem Verbrauch noch reichen würde), aber auch niedrige Preise suggerieren eine problemlose Ölversorgung für die kommenden Jahrzehnte. Die kritische Analyse dieser Veröffentlichungen jedoch läßt auch eine ganz andere Betrachtungsweise zu, die auf eine baldige Änderung auf den Ölmärkten schließen läßt.

Wenn man über die Rolle des Öls in unserer Energieversorgung spricht, so muß man auch über andere als nur die technischen und wirtschaftlichen Dimensionen sprechen: insbesondere auch über die Verteilungsgerechtigkeit (wer auf der Welt benutzt das Öl heute wofür?) und über die Gerechtigkeit zwischen den Generationen. Diese Fragen betreffen natürlich nicht nur die endliche Ressource Öl, sondern genauso Gas, Uran und Kohle.

Eine stärkere Berücksichtigung der Endlichkeit der Rohstoffe wird auch den Ruf nach einer grundsätzlichen Änderung unseres Umgangs mit Energie stärker werden lassen. Wir sind der Meinung, daß, gerade weil das beginnende Versiegen der Erdölquellen bald sichtbar werden wird, auch eine gewisse Hoffnung angebracht ist. Diese Erkenntnis wird einen heilsamen Einfluß auf unsere Vorstellungen und schließlich auf unseren Umgang mit Energie ausüben. In dem Maße, wie sich eine Änderung der Ölversorgungslage abzeichnet, wird sich das System ökonomisch in eine neue Richtung bewegen. Dann werden zum ersten Mal die Märkte auch die langfristigen Knappheiten ansatzweise widerspiegeln. Dann wird es aus wirtschaftlichen Gründen ebenso aussichtsreich sein, das neue Geschäft eines zukunftsfähigen Umgangs mit Energie zu erschließen, wie das verbleibende Erdöl zu fördern.

Was sind die Alternativen zum Öl?

Wenn die Ölförderung ihr Maximum überschreitet, entsteht eine zunehmende Lücke zwischen Energienachfrage und Energieversorgung, die nach Deckung ruft. Was sind die wahrscheinlichen Alternativen zum Öl?

Zunächst scheint es naheliegend, einfach zum dann nächstgünstigsten Energieträger überzuwechseln. Genau das haben wir weltweit in den letzten Jahren ja mit der verstärkten Nutzung von Erdgas bereits gemacht. Jedoch kann ein solcher Übergang allenfalls eine kurze Verschnaufpause gewähren, er bringt uns einer langfristig tragfähigen Energieversorgung nicht näher. Sicher wird die zu beobachtende Entwicklung, Gas als relativ sauberen und leicht zu handhabenden Energieträger in möglichst viele Anwendungen zu bringen, sich noch einige Zeit fortsetzen. Doch es ist klar absehbar, daß, je mehr man versuchen wird, Erdöl durch Erdgas zu ersetzen, sich dies in sehr kurzer Zeit als nicht realisierbar herausstellen wird. Erdöl und Erdgas werden dann ungefähr gleichzeitig zur Neige gehen.

Kann die Kernkraft eine Alternative sein? Neben allen anderen Problemen der Kernkraft haben wir auch hier eine begrenzte Verfügbarkeit der natürlichen Ressource Uran. Gängige Zahlen besagen, daß der heutige Kraftwerkspark auf der Welt mit den bekannten Uranvorkommen noch etwa 80 Jahre betrieben werden kann. Heute hat Kernkraft einen Anteil von weit unter 10 % am Primärenergieverbrauch der Welt. Wollte man diesen Anteil auf etwa 20 % steigern - was längst noch nicht reicht, um das ausfallende Erdöl zu ersetzen -, so würde sich die Reichweite des Rohstoffes Uran auf 20 Jahre verkürzen - keine sehr überzeugende Perspektive. Die Kernkraft bietet keinen gangbaren Ausweg aus dem Dilemma. Die Vorstellung, über die Nutzung der Kernkraft unseren bisherigen Lebensstil in den industrialisierten Ländern unverändert fortsetzen zu können, ist daher eine Illusion. Die verbleibenden 20 Jahre in unserem Beispiel reichen noch nicht einmal aus, die Wirtschaftlichkeit der dann neu zu bauenden Reaktoren sicherzustellen. Es funktioniert also weder von den Ressourcen her, noch ökologisch, noch ökonomisch. Wir meinen, daß die Visionäre der Kernkraft das Ressourcenproblem vor einigen Jahrzehnten genauso gesehen haben und die Brütertechnologie als eine Voraussetzung für eine bedeutende und langfristige Rolle der Kernkraft verstanden haben. An die schnellen Brüter aber glaubt heute niemand mehr. Schon damit ist das Urteil gesprochen, selbst wenn man davon absieht, daß es ja schon einiger Unverfrorenheit bedarf, für ein Schließen der Energielücke für wenige Jahrzehnte die Nachkommen über Jahrtausende mit den Folgen zu belasten.

Liegt also die Zukunft der fossilen Energien bei der Kohle? Die Nutzung fossiler Energien durch den Menschen begann mit ihr. Trotzdem sind die Kohlevorräte immer noch größer als die aller anderen fossilen Energieträger und reichen bei heutigem Verbrauch in der Tat noch für 200 bis 300 Jahre. Da gerade die oberflächennahen Vorkommen relativ billig erschlossen werden können, ist hier sicherlich die zukünftige Förderung in den nächsten 50 Jahren eher von Umweltaspekten geprägt als von der Begrenztheit der Ressourcen. Jedoch zeigen alle Erfahrungen, daß bei zunehmendem Einsatz der Kohle die lokalen Emissionsprobleme enorm zunehmen.

Ein historischer Überblick über die Nutzung fossiler Energien zeigt, daß die Kohle, die älteste in großem Stile genutzte Ressource, über mehrere Jahrhunderte den Aufbau und die Beschleunigung der Industrialisierung antreiben konnte. Erdöl begann dann für fast ein Jahrhundert, diesen Aufstieg zu unterstützen. Auf dem mittlerweile erreichten hohen Niveau des Energieumsatzes erscheint jedoch jeder neue endliche Energieträger in seiner Langfristperspektive zunehmend lächerlich. Erdgas wird gerade mal ein halbes Jahrhundert einen bedeutenden Anteil an der Weltenergieversorgung erreichen. Die Kernenergie wird niemals einen bedeutenden Anteil im zweistelligen Prozentbereich erreichen können. Je höher unser Energieverbrauch liegt, um so deutlicher sichtbar wird die Sackgasse der fossilen und nuklearen Energieträger. Es ist höchste Zeit, wieder grundsätzlich über unseren Umgang mit Energie nachzudenken. Die bisherigen Ausführungen haben sich nur mit der Verfügbarkeit von Erdöl befaßt. Diese Sichtweise ist wichtig, muß aber um einige grundsätzliche Überlegungen erweitert werden. Welche moralischen Fragen wirft die Nutzung endlicher Energien auf? Und wie sieht ein nachhaltiger oder zukunftsfähiger Umgang mit Energie aus?

Die Nutzung von endlichen Energieressourcen wie Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran unterscheidet sich prinzipiell von der Nutzung erneuerbarer Energien, die sich aus dem ständigen Energiefluß der Sonne speisen. Die Nutzung nichterneuerbarer Energien ist allein schon deswegen nicht nachhaltig, weil sie eben nicht auf Dauer aufrechterhalten werden kann. Das klingt trivial und ist es auch, und eigentlich weiß es auch jeder - aber die sich aus dieser Tatsache ergebenden Schlußfolgerungen sind sehr grundsätzlich und sehr weitreichend und werden vielleicht gerade deswegen meist nicht gezogen.

Verteilungsgerechtigkeit

Beim Verbrauch einer endlichen Ressource stellt sich in besonderem Maße die Frage ihrer gerechten Nutzung: der gerechten Verteilung in Hinblick auf die gerade lebenden Menschen wie auch auf künftige Generationen.

Wir wissen, daß es um die Verteilungsgerechtigkeit beim Öl ganz schlecht bestellt ist: Heute nutzen ungefähr 20 % der Menschen (die Bevölkerung der industrialisierten Länder) 80 % des geförderten Öls. Wir beruhigen uns gern mit dem Gedanken, daß dies zwar bedauerlich, aber im Augenblick unvermeidlich und überhaupt nur vorübergehend sei. Mit zunehmender wirtschaftlicher Entwicklung der Entwicklungs- und Schwellenländer (die wir selbstverständlich für wünschenswert und machbar halten) lassen sich die Dinge dann in Zukunft immer mehr angleichen. Nur leider: So ist es mit Sicherheit genau nicht! Dummerweise ist fast die Hälfte des Erdöls schon verbraucht. Wenn wir also (erst einmal unabhängig von ökonomischen Verteilungsmechanismen) ab morgen eine gerechte, die Ungleichheiten der Vergangenheit korrigierende Verteilung vornehmen wollten, so könnte jeder der bisherigen Habenichtse höchstens mit einem Viertel dessen bedacht werden, was die Reichen sich in der Vergangenheit genehmigt haben - mehr ist einfach nicht da. Die Schieflage in Bezug auf die Verteilungsgerechtigkeit kann prinzipiell nie mehr ausgeglichen oder geheilt werden. Wo ist die moralische Rechtfertigung dafür?

Letztlich heißt das, daß unser Modell für die Entwicklung der Entwicklungsländer eine Farce ist: Nie und nimmer kann es das Ziel sein, den Lebensstil der Industrieländer auf die gesamte Welt zu übertragen. Das ist, wie wir am Beispiel Öl gezeigt haben, schlicht nicht möglich und würde außerdem innerhalb weniger Jahre zum Kollaps führen. Die Meinung, die nichtindustrialisierten Länder brauchten nur endlich so „tüchtig" zu werden wie wir, und dann würde es schon gerecht zugehen, entbehrt jeder Grundlage. Erst wenn wir verinnerlicht haben, daß wir uns auf Basis des „Verzichtes" der Entwicklungsländer ein angenehmes Leben leisten, werden wir offen sein, hier ein Problem zu akzeptieren.

Noch drastischer ist die Benachteiligung in Bezug auf künftige Generationen. So nutzen heute einige wenige Generationen die in Jahrmillionen angesammelten Bodenschätze. Mit welchem Recht beuten wir heute die nicht erneuerbaren Vorräte der Erde aus? Die Rechtfertigung kann sicher nicht über die Berufung auf den „Markt" erfolgen. Der Markt spiegelt keine langfristigen Knappheiten, allein schon deswegen nicht, weil künftige Generationen nicht ihre Preisgebote auf dem Markt für Öl abgeben können - vielleicht wären sie bereit, mehr zu bezahlen als wir... Sie werden, so wie die Dinge stehen, aus den fossilen Energien nur noch wenig Nutzen ziehen können, und müssen trotzdem die Folgen unserer Lebensweise tragen. Diese Problematik der Verteilungsgerechtigkeit wird heute am Beispiel des Erdöls konkret erlebbar, gilt aber in zeitlich nur geringfügig geändertem Rahmen ebenso für Erdgas, Kohle und nukleare Brennstoffe.

Nachhaltiger oder zukunftsfähiger Umgang mit Energie

In einer endlichen Welt kann nichts unendlich wachsen. Das gilt für den Rohstoffverbrauch ebenso wie für die Produktion materieller Güter. Ein langfristig verträglicher Umgang mit der Natur kann nur im Gleichgewicht von Verbrauch und Erzeugung stattfinden. Wir können unseren Energieverbrauch auf Dauer nicht durch Vorratsenergie, also durch Bodenschätze, decken, sondern nur über einen uns ständig zugeführten Energiefluß, also die Sonne.

Was dies tatsächlich bedeutet, sei im folgenden Vergleich zweier erd- und menschheitsgeschichtlicher Entwicklungssprünge - eines natürlichen mit einem anthropogenen - skizziert:

In der weiteren Vergangenheit vor etwa 2 Mrd. Jahren war die Entdeckung der Photosynthese durch Pflanzen die Voraussetzung für die weitere Entwicklungsgeschichte der Erde: Erst der Übergang von der Methanogenese - also der Energiegewinnung der Mikroorganismen durch den Umsatz von Wasserstoff und Kohlendioxid zu Methan und Wasser - zur wesentlich effizienteren Photosynthese - also der Energiegewinnung der Mikroorganismen durch Sonnenlicht - erlaubte in relativ kurzer Zeit die Entwicklung einer derartigen Artenvielfalt, wie wir sie bis vor kurzem noch erlebten. Daß wir heute von einer drastischen Dezimierung dieser Vielfalt innerhalb weniger Jahrzehnte sprechen müssen, sei hier nur angemerkt.

Bei diesem Entwicklungssprung wurde die Kreislaufwirtschaft in die Natur „eingeführt": Ausgangs- und Endprodukte der Photosynthese werden immer wieder ineinander umgewandelt, wobei die treibende Kraft die Sonnenenergie ist. Dies bildete den Schlüssel für die Beschleunigung der Evolution. Die Autotrophen mit der Methanogenese hingegen verbrauchten das Reservoir an vorhandenem Wasserstoff. Damit war ihre Entwicklungsfähigkeit durch das Angebot an Wasserstoff, der fast ausschließlich durch vulkanische Aktivitäten nachgeliefert wurde, begrenzt.

Anders hingegen in der jüngeren menschlichen Vergangenheit: Bis vor etwa 200 Jahren wurden fast alle menschlichen Energieumsätze durch die Sonne angetrieben:

- Die direkte Sonnenstrahlung diente der Erzeugung von Niedertemperaturwärme, z.B. zum Wäschetrocknen oder dem Erwärmen von Wohnraum,

- Biomasse diente zum Feuermachen und damit der Erzeugung von Prozeßwärme,

- Wind- und Wasserkraft wurden zur Verrichtung von Arbeit eingesetzt, und

- letztlich wurde wesentliche Arbeit durch Muskelkraft von Mensch und Tier verrichtet.

Erst die durch die Nutzung von Kohle, Öl und Gas möglichen hohen Energieumsätze ermöglichten die Industrialisierung in dem bekannten Ausmaß - mit einer nie dagewesenen Änderungsgeschwindigkeit vieler Entwicklungen wie Bevölkerungswachstum, mechanisch angetriebene Verkehrsmittel, Verschwendung von Ressourcen, Beeinträchtigung der Umwelt.

Die Nutzung des unbegrenzten Energieflusses der Sonne, der auf niedrigem Niveau mit einer geringen Energiedichte erfolgte, wurde gegen die Nutzung eines Vorratsenergieträgers eingetauscht. Damit aber stimmen die Voraussetzungen für ein langfristiges Wachstum nicht mehr. Es wird ein ungesundes Wachstum, das zwar kurzfristig höhere Energieumsätze erlaubt, dessen zeitliche Grenze aber absehbar wird. Wir leben sozusagen „über unsere Verhältnisse". Früher, als die Belastungsgrenzen des Ökosystems der Erde zumindest global unerreichbar erschienen, wurde die Frage nach der Lebensfähigkeit eines Systems nie gestellt. Es wurde a priori unterstellt, daß das kurzfristig erfolgreiche System auch das langfristig richtige ist. Es ist zwangsläufig, daß wir uns nach Ausbeutung dieser Ressourcen durch wenige Generationen wieder auf einen langfristig verträglichen Weg begeben müssen.

Wie hätte wohl eine Entwicklung ausgesehen, die - aus welchen Gründen auch immer - auf dieses „Zwischenhoch der Energievorräte" verzichtet hätte und statt dessen kontinuierlich ihren Energiebedarf dem durch effizientere Techniken möglichen Energieangebot der Sonne angepaßt hätte. Zweifelsohne wäre diese Entwicklung wesentlich langsamer vor sich gegangen. Aber vermutlich wäre auch viel mehr Zeit gewesen, Irrwege und Sackgassen bereits auf lokaler Ebene zu erkennen und ohne globale Auswirkungen zu korrigieren. Unstrittig ist, daß das heutige Lebensniveau auch mit einer rein auf Sonnenenergie basierenden Energiewirtschaft erreicht werden kann.

Tragfähigkeit (Wieviel Energieumsatz verträgt die Erde?)

Das Ökosystem der Erde verträgt nicht jeden beliebig hohen vom Menschen verursachten Umsatz von Energie. Dieser wenig beachtete Umstand fordert eine weitere Begrenzung, die unter dem Begriff Suffizienz zusammengefaßt wird. Nachhaltige Wirtschaftsweise bedeutet auch, Energieumsätze zu begrenzen. Dies mag zunächst verwirren, da wir uns doch viel mehr darum sorgen, möglichst hohe Energiedichten zu erreichen. Doch mit grundsätzlichen Überlegungen läßt sich zeigen, daß eine Wirtschaftsweise, die jedem Menschen einen höheren Dauer-Energieumsatz als etwa 1-2 kW zubilligt, dauerhaft nicht verträglich ist. Und wer mit dem Begriff Suffizienz eine eingeschränkte, asketische oder freudlose Lebensweise verbindet, der mag sich vor Augen halten, daß eben dieser geforderte Energieumsatz dem Wohlstand der Schweiz zu Ende der 60er Jahre zugrunde lag, sofern man gegenüber damals um den Faktor zwei effizientere Technologien unterstellt. Ist dies eine unzumutbare Einschränkung, daß man derartigen Wohlstand der ganzen Welt zumutet?

In unserem Zusammenhang möchten wir diesen Aspekt aber nur anreißen und auf die Ausführungen von anderen Autoren verweisen [7]. Die nächsten Jahre bis zum Erreichen des weltweiten Fördermaximums wird es wahrscheinlich noch eine Serie von heftigen Preisausschlägen nach oben und nach unten geben. Erst nach dem Überschreiten des Fördermaximums wird die Instabilität der Ölpreise wohl beendet sein. Der Markt spiegelt dann die langfristigen Knappheiten wider. Das Ölpreis-Niveau wird deutlich höher sein als heute. Damit entsteht für Verbraucher und Investoren ein langfristiges Signal, und man wird versuchen, Öl systematisch durch andere Energieträger zu ersetzen. Wie schnell diese Anpassungsprozesse sein werden, und welchen Effekt sie auf das Preisniveau haben werden, ist im Detail nicht vorherzusagen. Wir glauben, daß die Einsparpotentiale sehr viel größer sind als man gemeinhin annimmt. Man denke nur an das Beispiel Auto. Es ist kaum mehr als eine Frage der Gewohnheit und der gesellschaftlichen Wertschätzung, ob man etwa große Autos durch kleine ersetzt. Der eigentliche Gebrauchsnutzen ist wenig beeinflußt.

Langfristig wird Öl als Energieträger immer weniger wichtig werden. Die Reichweite von Öl wird keine praktisch relevante Bedeutung mehr besitzen. Vermutlich wird man irgendwann aufhören, Öl in größerem Umfang zu fördern, so wie man auch in Deutschland dabei ist, mit der Kohleförderung aufzuhören, obwohl noch reichlich Kohle in der Erde liegt.

Es ist ganz wichtig, daß die Endlichkeit des Öls als ein aktuelles Problem wahrgenommen wird und nicht als eines, das man erst in einigen Jahrzehnten ernsthaft angehen muß. Erst dann kommt in die Köpfe, daß wir mit einem grundlegenden Umbau unserer Energieversorgung jetzt beginnen müssen, schnell beginnnen müssen, und daß es dazu keine Alternativen gibt.

Für uns erklären die geschilderten Zusammenhänge auch hinreichend, warum z.B. eine so große und mächtige Firma wie Shell eben nicht in Kernenergie, sondern zunehmend gleich in erneuerbare Energien investiert. Wir können gerade beobachten, wie einige der großen Öl- und Gaskonzerne dabei sind, die Weichen für eine regenerative Energiezukunft zu stellen. Man kann diesen Firmen nicht vorwerfen, daß sie die Öffentlichkeit nicht mit der Nase darauf stoßen, daß bald ein neues Spiel gespielt werden wird. Natürlich möchte man parallel dazu die zeitliche Lücke - bis die Erneuerbaren einen Großteil der Energieversorgung übernehmen können, das Ende der Verfügbarkeit von Erdöl aber bereits deutlich wird - durch einen kräftigen Beitrag des Erdgases nutzen. Die entsprechenden Investitionen sind schnell abgeschrieben, daher lohnt aus der Sicht der Firmen auch ein Engagement für relativ kurze Zeitspannen.

Die große gesellschaftliche Aufgabe, die gangbaren Alternativen zu finden und zu entwickeln, bedarf der Anstrengung aller. Wir brauchen möglichst viele Optionen im Bereich der Nutzung erneuerbarer Energieträger. Da wir ja wissen, daß dieser Weg unausweichlich ist, andererseits die Marktsignale uns noch einige Jahre in der Illusion wiegen, daß es nicht so sei, ist es eine Aufgabe der Politik, durch eine Besteuerung der fossilen Energien den Strukturwandel zu beschleunigen und weitere Investitionen in die Sackgassen zu verhindern. Doch auch den großen Umweltbewegungen kommt hier die wichtige Aufgabe zu, den Boden für die notwendige Politik zu bereiten.