Es war einmal eine wunderschöne
Frau. Eine Frau, so rein wie der Morgentau, eine Elfenkönigin,
mit Haar, wie aus Sonnenstrahlen gesponnen und einer Haut, so weiß,
wie Schnee. Gott schuf sie an einem zauberhaften Morgen und hauchte ihr
das Rosa der aufgehenden Sonne auf die bleichen Wangen.
Ihre Stimme klang wie der
Morgengesang der Vögel und ihre Augen glichen einem unberührten
See. Sie konnte schweben wie ein Schmetterling und war doch für die
meisten Wesen unsichtbar. Nur die mit einer reinen Seele konnten ihren
Zauber entdecken. Gott nannte sie Morgenrot. Morgenrot wußte, Gott
hatte sie erschaffen, damit sie den Menschen die Hoffnung jeden Tag zurückbringt,
selbst nach mondlosen dunklen Nächten.
Jeden Tag ließ Morgenrot
die Sonne sanft hinter den Hügeln aufsteigen, und das goldene Licht
hüllte die Bäume und Wiesen in märchenhaften Glanz. Jedoch
niemand achtete auf die Schönheit, die der Morgen mit sich brachte.
Nein die Menschen haßten den Morgen, und den Sonnenstrahl, der sie
aus ihren Betten wachküssen wollte. Sie kannten nur ihre Arbeit und
ihre kleine enge Welt. Nie hoben sie den Blick, um die Dinge zu sehen,
wie sie wirklich waren.
Morgenrot wurde sehr traurig
darüber, denn niemand dachte darüber nach, wer ihnen das Licht
des Tages brachte. Nun war sie eine traurige Elfenkönigin und ihr
weißes Kleid war beschmutzt mit dunklen Wolken ihrer Traurigkeit.
Sie schritt davon und der Morgen war kein Morgen mehr. Er wurde grau und
trostlos, so trostlos, wie nur Wintermorgen sein können, an denen
man sich am liebsten noch einmal im Bett herumdreht und vergißt,
daß man aufstehen muß.
Morgenrot lief durch den
Wald und gelangte an einen Teich, bückte sich, um ein bißchen
Wasser zu trinken und sah in der glatten Wasseroberfläche ihr Spiegelbild.
Sie entdeckte ihr menschliches Antlitz.
Bisher hatte sie nicht gewußt,
daß sie wie ein Mensch aussah, sie fühlte sich von Licht umgeben,
nein sie war Licht, niemals hätte sie über ihre Erscheinung nachgedacht.
Doch nun sah sie, daß sie schön war, viel schöner, als
die andern Menschen mit ihren höhnischen, verachtenden Zügen,
ihrer unterschwelligen Bosheit, ihren egoistischen Launen, und ihrer Ignoranz,
das Schöne zu sehen und es zu lieben.
Zum ersten Mal, seit ihrer
Geburt fühlte sich Morgenrot hoffnungslos. Einst brachte sie den Menschen
die Hoffnung und nun war sie selber hoffnungslos. „Sie sehen mich nicht
und sie sehen sich selbst nicht, sonst wären sie nicht so.“, dachte
sie „Ich weiß, was sie brauchen, sie brauchen einen Spiegel.“
Und Morgenrot tauchte ihre
blassen Hände in das Wasser und von der Traurigkeit, die durch sie
hindurchfloß, erstarrte das Wasser zu einem Spiegel.
sangen die Elfen ihr trauriges
Lied und nahmen den Zauber und das Licht von ihr fort. Von nun an waren
sie unsichtbar für Morgenrot, nichts als ein blasser Kindertraum.
Morgenrot war nun ein Mensch, wie all die andern Menschen, ihre Erscheinung
war schön wie zuvor, aber das rosa-goldene Licht, das sie umgeben
hatte, war fort. Für die Menschen möge sie noch immer eine Schönheit
sein, denn sie konnten das Licht aus einer anderen Welt schon lang nicht
mehr sehen. So ging Morgenrot in die Stadt zu den Menschen, um ihren Plan
auszuführen. Mögen die Elfen sie entkrönt haben, für
die Mächtigen und Könige dieser Welt, wäre sie immer noch
eine begehrenswerte Frau.
Es fiel ihr nicht schwer,
die Menschen in ihren Bann zu ziehen, denn sie strahlte einen unwiderstehlichen
Zauber aus, daß selbst der König davon Gehör bekam. Schon
lange suchte er eine Gemahlin, schon viele Feste hatte er gegeben, mit
vielen Burgtöchtern getanzt, doch keine war schön genug, um an
seiner Seite zu regieren.
Schön sollte sie sein
und klug, aber es gab so wenige Frauen, die klug waren und auch noch schön
anzusehen waren.
"Bringt mir diese Frau,
die Eure Herzen verdreht ins Schloß" befahl er seinen Dienern.
Nun war für Morgenrot
die Zeit gekommen ihren Namen zu ändern. Sie nannte sich Elaine. Der
König lud Elaine zu sich ein und er war entzückt über ihren
Scharfsinn und ihre Schönheit.
Und Elaine wußte nur
eins, sie wollte Macht, denn nur wer Macht hatte, konnte etwas verändern.
Niemand durfte erfahren, wer Elaine wirklich war. Es war ein Geheimnis,
das ihr Herz so schwer machte, daß sie beschloß es zu vergessen.
Der König nahm Elaine
zur Frau und das Volk jubelte. Es gab ein rauschendes Fest, als der König
bekanntmachte, daß von nun an eine Königin an seiner Seite stehe.
Ein Volk zu regieren war keine leichte Sache und so war der König
dankbar darüber, daß Elaine ihm mit Rat und Tat zur Seite stand.
Und Elaine wußte, daß der Tag immer näher kam, an dem
sie ihren Plan verwirklichen konnte.
Als der König wieder einmal jammerte darüber, wie schwer
es sei solch ein Volk zu fuhren sprach Elaine "Ich gebe dir einen guten
Rat, wie du dein Volk besser beherrschen kannst. Verteile Spiegel im ganzen
Land, damit die Menschen sich selbst ansehen können. Belehre die Rechtschaffenden
und sie werden bald wissen, welchesder rechte Weg ist. Nur so werden sie
sich ändern."
Der König dachte nach. Dieser Vorschlag war zugegebenermaßen
recht ungewöhnlich und beruhte auf einer sehr weiblichen Strategie.
Aber es hatte etwas für sich und bis jetzt hatte ihn seine Frau noch
nie enttäuscht.
"Nun gut",sagte er "möge dein Plan weise sein" und er befahl seinen
Gefolgsleuten den Anweisungen ihrer Königin Folge zu leisten. "Ich
befehle Euch zu jedem Haus, in dem ein Mensch wohnt, einen Spiegel zu bringen"
sprach Elaine, nachdem sie ihre Ritter um sich versammelt hatte. Und so
kamen die Spiegel ins Land und mit ihnen das Unglück. Und so kam es,
daß der Spiegel im Leben der Menschen seinen Platz bekam und nicht
nur das....
Die Menschen waren erstaunt. Sie waren einfache Bauern und bisher hatte
sich niemand Gedanken über sein Aussehen gemacht, wenn auch sie allem,
was schön war zugetan waren. Sie konnten sich selbst nicht sehen,
noch sich mit jemand anderes vergleichen, denn sie waren, wie sie waren.
Nun hatten sie diesen Spiegel und das veränderte ihr Leben mit einem
Schlag. Die einen sahen in den Spiegel und stellten fest, daß sie
schön waren, andere stellten gequält fest, daß sie nicht
so schön waren, und wanden sich im Neid, während die besser aussehenden
hochmütig auf die anderen herabsahen. Alle wollten sich mit ihrer
Königin messen, ganz wie Elaine es geplant hatte und so entstand etwas,
was die Menschen bislang nicht gekannt hatten, Stolz und Eitelkeit.
Schneider schossen wie Pilze aus dem Boden, der Handel blühte
mit allem, was den Menschen schöner machte, mit edelsten Steffen,
Kämmen, und Bürsten. Es wurde geschminkt, gepudert und frisiert.
"Kleidet Euch mit dieser Robe", schrien die Marktleute den Frauen zu "dieses
macht Euch So schön, wie eine Blume", logen sie und die Frauen scharten
sich um die Stände, wie die Hühner um ein Korn.
Wenn sie bisher mit einer gewissen Intuition gesegnet waren, so wurden
sie von dem Neid und den Intrigen, die sie gegeneinander spannen dümmer
als je zuvor.
Auch die Männer veränderten sich. Der Mann, der eine schöne
Frau besitzen konnte, war mehr wert, als ein anderer und so fingen sie
an gegeneinander zu duellieren und kleine Kriege zu führen. Ein großes
Durcheinander entstand im Land. Der Spiegel hatte den Menschen alles mögliche
gebracht, aber Glück und Zufriedenheit war es nicht.
Der König war böse, als er die Zustände sah. Wie konnte
es so weit mit ihm kommen, daß er auf den Rat eines Weibes hörte!
Hatte er nicht immer versucht ein gerechter weiser König für
sein Volk zu sein?
"Ich jage dich fort von hier“, sprach er zu Elaine, "du bist es nicht
wert, eine Königin zu sein, schau, was du angerichtet hast. Der Unfriede
ist noch größer, als zuvor. Geh zurück wo du hergekommen
bist, mögen die Wölfe deine Brüder sein, denn sie sind deiner
ebenbürtig." Und es geschah, daß Elaine floh, in der Dunkelheit
der Nacht. Tagelang wanderte sie durch die Wälder, aus denen sie einst
gekommen war. Niemand erkannte sie, denn ihr Gewand war aus dem groben
Tuch der armen Leute gesponnen und ihr Gesicht verhüllt, wie das eines
Bettelweibes. Schwach und müde kam sie an einem kleinen See vorbei
und bückte sich, um ihren Durst zu stillen.
Beschämt sah sie in der spiegelklaren Oberfläche des Wassers
ihr Gesicht. Wie hatte es sich verändert, nichts erinnerte daran,
wie sie einst war, es war das Gesicht einer armen alten Frau, durch viele
Falten zerfurcht. Wie schnell war sie gealtert und hatte es nicht gemerkt.
Elaine weinte viele bittere Tränen, war sie doch im Innern immer noch
dieselbe.
Und leise sangen die Elfen ihr trauriges Lied
"Gebt mir meine Jugend zurück" rief sie in die Nacht "laßt
mich nicht eine von den Sterblichen sein, nicht mehr bin ich als der Staub
zu meinen Fußen" und sie fiel nieder und bedeckte sich mit Schmutz.
"Habe ich dir nicht deinen Namen gegeben" hörte sie eine mächtige
Stimme sprechen "war ich es nicht, der dir deine Schönheit schenkte?“
Und es donnerte und die Erde wurde erschüttert,"Hast du je an
mich deinen Erschaffer gedacht, als du das Licht des Tages brachtest? Wie
klein warst du im Herzen, als du uns verlassen hast, nur um auf einem weltlichen
Thron zu sitzen. Alle Königreiche deiner Welt werden eines Tages zu
Staub zerfallen; denn sie sind vergänglich. Nur der Thron aus Liebe
gebaut ist für die Ewigkeit." Und es donnerte wieder und zornige Blitze
schossen vom Himmel." Und die arme alte Frau, die Elaine nun war, hob ihre
Arme zum Himmel und flehte "laß mich zurückkehren, gib mir einen
neuen Namen und laß mich dir dienen, denn ohne dich bin ich nichts."
Da wurde es still und die wütenden Winde legten sich. Es wurde
so still, daß eine fallende Nadel zu hören wäre.
Und die Stimme war sanft, die nun wieder sprach.
"Kehre zurück und ich will dir einen neuen Namen geben." sagte
sie "Dein Name sei Nebel. Von nun an sei dein Angesicht verhüllt und
niemand wird dich als das erkennen, was du mal warst. Aber du wirst
wieder mit uns sein, ein Teil des Zaubers einer ewigen Welt. Hülle
die Festungen der Menschen ein in weißen Dunst, verwirre die reitenden
Krieger, damit sie ihr Ziel nicht erreichen, und hindere die Suchenden
daran zu weit zu gehen, statt bei sich selbst das zu finden, was sie in
der vergänglichen Welt der Dinge suchen. So kannst du das wieder gut
machen, was du angerichtet hast." Und als die Stimme verschwand, verschwand
auch die Erinnerung an ihren alten Namen, den sie sich selbst gegeben hatte,
und auch verschwand der Hunger und der Schmerz der altem Knochen. Sie löste
sich auf, wie ein Wassertropfen in der Sonne und spürte doch die heitere
Freude wieder zu Hause zu sein und konnte das heitere Lachen der Elfen
vernehmen und das zufriedene Glucksen der Wassergeister.
Sie wurde unsichtbar und doch hüllte ihr weißes Kleid die
Burgen und Häuser der Menschen, die Auen und Wälder geheimnisvoll
ein, wie es im Märchen geschieht. Die Krieger zu Pferde kamen von
ihrem Weg ab, und niemand wurde überfallen oder getötet, die
Jäger verirrten sich im Nebel und der Hirsch, der König des Waldes
konnte ungestört auf seiner Lichtung grasen.
Und die Elfen sangen ihr fröhliches Lied
Sie war zurückgekehrt, unsichtbar und geheimnisvoll und doch können
die, die reinen Herzens sind, sie heute noch sehen, nämlich dann,
wenn in früher Morgenstund der Nebel aus den Wiesen steigt und die
Sonne mit ihren goldenen Strahlen alles verzaubert.
Dann tanzt sie mit den Elfen und sie halten sich an den Händen
und singen ihre fröhlichen Lieder.