Es gibt möglicherweise kein Handarbeitsgerät, das sich so entspannt und angenehm führen läßt wie eine gute Sense. Der Amerikaner David Tresemer präsentiert hier eine kleine Kostprobe seiner Ergebnisse jahrelanger Forschung .
 

Das Mähen soll eine angenehme, bequeme Tätigkeit sein, nicht allzu anstrengend und nicht ermüdend, zumindest nicht von Anfang an. Wenn es erschöpft, wird etwas falsch gemacht. Deshalb sollte man zum Mähen auch bequeme Sachen tragen, am besten eine weite Hose und ein lockeres Hemd. Die Schuhe können leicht sein, denn die Füße sind nicht in Gefahr, und früher wurde oft barfuß gemäht. Ein Sonnenhut ist nicht schlecht. Ein Halstuch wärmt am frühen Morgen den Nacken, am Nachmittag wischt man sich damit die Stirn. Vor jedem Mähen erinnert mich eine bestimmte Übung an die Form der Bewegung.. Ich stehe aufrecht da, weder nachlässig noch starr und angespannt. Ich denke an die Schwerkraft, als die fundamentale Kraft der Erde, die sich auf meinen ganzen Körper und auf jede Bewegung auswirkt. Nun verstärkt sich die Schwerkraft mehr und mehr, sie bleibt nicht ständig gleich: sie ist eine Kraft, die sich stetig erneuert und mich immer schneller nach unten zieht. Ich reagiere mit einer verstärkten Aufwärtsbewegung, einer Gegenbewegung, die sich ebenfalls stetig erneuert, mit Anti-Schwerkraft. Lieber als das Wort Anti-Schwerkraft verwende ich die Begriffe Energie oder Sprießkraft, um diese Gegenbewegung zu bezeichnen; es ist jedenfalls keine Anti-Erde-Kraft, kein Abstoßen. Die Erde ist das Wesen, dem wir entspringen. Wir sind die Sprößlinge der Erde. Im Englischen heißt Sprießkraft spring, was auch Frühling bedeutet, Quelle und Sprungfeder, mit vielen Beiklängen, die alle passend sind. Ich werde nicht zurück in die Umarmung der Quelle gezogen, noch fliege ich unkontrolliert flüchtend nach oben, sondern stehe aufrecht fest geerdet und doch auf dem Sprung gen Himmel. Die Haltung allein ist bereits ein kreativer Akt Diese Interaktion zwischen mir und der Schwerkraft findet zwar immer statt, sie bleibt jedoch meist unbewußt Das Mähen erinnert mich an diese Beziehung, denn es stellt die Balance zwischen Schwerkraft und Sprießkraft wieder her. Ich befinde mich zwischen den beiden stetig stärker werdenden Strömungen von Schwerkraft und Sprießkraft und bin entspannt; meine Schultern sind nicht hochgezogen, mein Nacken ist nicht steif, ich kann nun im Geist von einem Teil meines Körpers zum anderen wandern und unnötige Spannungen lösen. Dann drehe ich meinen Oberkörper von einer Seite zur anderen, erst nach rechts, dann nach links und lasse dabei die Arme frei schwingen. Die rechte Hand schlenkert und berührt die linke Hüfte, und nach einer ganzen Sekunde berührt die linke Hand die rechte Hüfte. Fußknöchel, Knie, Hüften und das ganze Rückgrad kommen in eine Drehbewegung. Diese Übung erinnert mich an drei Dinge:
1. Mähen ist eine Drehbewegung, die von der rechten Seite meines Körpers ausgeht und vorn am Körper vorbei zur linken Seite führt,
2. Arme und Schultern müssen nicht angespannt sein, sondern können locker bleiben; und
3.mein ganzer Körper ist von der Drehung erfaßt

Man kann sich den menschlichen Körper als zwei Spulen vorstellen, die sich diagonal in entgegengesetzter Richtung in dynamischem Gleichgewicht durch den Körper drehen.. Beim Mähen wird dieses dynamische Gleichgewicht zu einem Rhythmus zwischen der einen und der anderen Seite. Die Energie, die in der Mähbewegung zum Ausdruck kommt, liegt in unseren Sehnen und Muskeln gespeichert.. Mehr noch als das Eibenholz der Bögen für die Jagd, können Sehnen Energie unter Anspannung speichern.. Sie sind sogar den modernen Stahlfedem überlegen. Zu Zeiten der alten Griechen und Römer wurden Tiersehnen zu Kordeln gedreht und äußerst effektive Katapulte damit ausgestattet, die 165 Kilogramm schwere Steine etwa 400 Meter weit schleudern konnten. Wenn ich mich am einen Ende der Körperdrehung befinde, speichern meine Sehnen Energie, wie ein aufgedrehtes Gummiband es tut Diese Energie wird freigegeben, um die Muskelkontraklion zu unterstützen, wenn ich mich zur anderen Seite drehe. Der beste Sensenschwung bedient sich aller Sehnen und aller Gelenke.

Wenn ich von der Übung zum Mähen übergehe, lasse ich den rechten Arm seitlich locker herabhängen. Dort hatte ich ihn am Anfang des Sensenschlags. Die Spitze des Sensenblatts ist auf einer Linie mit den beiden Füßen . Mein linker Ellbogen ist so gebeugt daß sich die Schneide in der gewünschten Höhe befindet.Ich stehe aufrecht. Das stereotype Bild eines Mannes mit einer Sense zeigt ihn vornüber gebeugt in einer Haltung, in der er bereits nach einer Stunde erschöpft und verkrümmt wäre. Die billigen Sensen, die man heute im Baumarkt bekommt, ziehen den Körper auch in eine gebückte, ermüdende Haltung. Ein gutes Handwerkszeug sollte man täglich benutzen können, ohne daß der Körper schmerzt oder überanstrengt wird. Die Sense mit dem langen Sensenbaum im römischen Gallien stellte gegenüber der kurzen Sense oder Sichel der frühen Römerzeit eine große Verbesserung dar, weil der Benutzer aufrecht und entspannt stehen und so mehr Arbeit bewältigen konnte.
Mein ganzer Körper dreht sich links herum, der linke Ellbogen wird gebeugt und ganz hinter den Körper geführt.  Der Schwung endet, wenn das Sensenblatt die Linie durchschneidet, die von meinen beiden Füßen gebildet wird . Jetzt berührt der linke Ellbogen beinahe das Rückgrat. Mein Brustkorb ist nach links gedreht. Jedes Gelenk ist angespannt, wenn das Pendel der Bewegung am äußersten Punkt angelangt ist. Im besten Fall muß der Schwung nicht unterbrochen werden.. Er wurde mit genau so viel Energie begonnen, daß das letzte Gras geschnitten ist und sich in die Reihe wirft, wenn die Schlagbewegung zum Stillstand kommt; die übrig gebliebene Energie ist gut in den Sehnen gespeichert und zieht kräftig nach rechts, zurück in die Ausgangsstellung.
Während ich zum nächsten Schwung aushole, setze ich beide Füße einen Schritt vor. Hamme und Sensenspitze befinden sich die ganze Zeit über parallel zum Boden und knapp darüber. Der geschnittene Bereich hat die Form eines Halbmonds.
Das Gras wird von der Sense meist nach links geworfen; deshalb mache ich weiter als ginge ich am Rand des ungeschnittenen Grases entlang. Viele verwechseln die Sense mit einem Besen oder einem Golfschläger. Sie gehen das Feld direkt an, anstatt es abzuschreiten, und versuchen auf das Gras einzuschlagen. Die Hamme steht am Anfang des Schlags immer nutzlos über dem Boden hoch. Trotz des kräftigen Schwungs wird wenig geschnitten. Das geschnittene Gras wird auf den nächsten Streifen geworfen..
Um es richtig zu machen, schreite ich am Rand der Fläche entlang, drehe meinen Körper und halte die Hamme immer nahe über dem Boden . Beim Golf oder Krocket gibt es nur einen Berührungspunkt.Beirm Mähen gibt es hunderte Berührungspunkte und alle müssen an der richtigen Stelle getroffen werden. Rudyard Kipling lieferte eine gute Metapher für die ausholende Bewegung des Sensenschlags: »Das Vorsegel schwang wie ein Sensenschlag vor und zurück gegen den blauen Himmel.« Der Mäher, die Mäherin ist der Segelmast, die Sense der Baum.
Ich übe auf einem Rasen und ziehe das Sensenblatt hin und zurück. Beim engen Mähen gleitet das konvexe Sensenblatt dahin, ohne sich in die Erde zu graben, wie es ein anderes Blatt tun würde. Bei dieser Übung wird der Rasen gemäht und ich lerne, das Sensenblatt parallel zum und knapp über dem Boden zu halten.
Wenn ich einen breiteren Streifen mähen möchte, stecke ich am Anfang des Schlags die rechte und die linke Hand weiter nach rechts aus. Die Hände sind während des Schwungs weiter vom Körper entfernt. Der Mäher neigt sich dem Gras entgegen ohne das Gleichgewicht zu verlieren und ohne sich zu bücken.

Eine geübte Person kann in gutem Gras mit einem Siebzigzentimeterblatt einen zwei Meter breiten, oder noch breiteren Streifen mähen.
Ein durchschnittlicher Streifen ist ein Meter dreißig breit, und das war in England auch das Maß für die Heufelder. Unerfahrene tun gut daran, schmalere Streifen zu mähen, indem sie sich ein wenig links halten, oder sogar im geschnittenen Gras der vorherigen Reihe gehen. Es ist auch keine Schande, einen siebzig Zentimeter breiten Streifen zu mähen. Das Punktesystem bei den Mähwettbewerben zeigt, daß es wichtiger ist sauber zu schneiden als breit zu schneiden. In dem 1830 erschienen Buch »Librarv of tseftil Knowledge« wurde besonders auf einen sauberen Schnitt hingewiesen: »Das Mähen soll so ausgeführt werden, daß weder die Schnitte der Sense noch die Ränder der einzelnen Streifen zu sehen sind.«
Ein breiterer Streifen ist meist nicht eine Sache der Kraft, sondern der richtigen Drehbewegung, mit der Energie in den Sehnen gespeichert wird. Die Länge und Breite des Schwades ist auch von der jeweiligen Frucht abhängig, ihrer Beschaffenheit und ob der Boden eben ist. Dürftiges Gras, das kurz und braun im August auf welligem, steinigem Boden wächst, ist zweifellos schwerer zu mähen als hohes, taubedecktes Grün im Mai auf ebenem Grund.
 

DAVID TRESEMER
 
 

Aus DEM AMERIKANISCHEN VON ELISABETH BROCK.
TEXTAUSZUG AUS: =>»DAS SENSENBUCH - NEUE WEGE ZU EINEM ALTEN WERKZEUG: DIE KUNST DES MÄHENS MIT DER
SENSE«, 168 SEITEN, GEBUNDEN, 46,00 DM. Zu BEZIEHEN VOM NATÜRLICH GÄRTNERN-MEDIENLADEN