Das Mähen soll eine angenehme, bequeme Tätigkeit sein, nicht
allzu anstrengend und nicht ermüdend, zumindest nicht von Anfang an.
Wenn es erschöpft, wird etwas falsch gemacht. Deshalb sollte man zum
Mähen auch bequeme Sachen tragen, am besten eine weite Hose und ein
lockeres Hemd. Die Schuhe können leicht sein, denn die Füße
sind nicht in Gefahr, und früher wurde oft barfuß gemäht.
Ein Sonnenhut ist nicht schlecht. Ein Halstuch wärmt am frühen
Morgen den Nacken, am Nachmittag wischt man sich damit die Stirn. Vor jedem
Mähen erinnert mich eine bestimmte Übung an die Form der Bewegung..
Ich stehe aufrecht da, weder nachlässig noch starr und angespannt.
Ich denke an die Schwerkraft, als die fundamentale Kraft der Erde, die
sich auf meinen ganzen Körper und auf jede Bewegung auswirkt. Nun
verstärkt sich die Schwerkraft mehr und mehr, sie bleibt nicht ständig
gleich: sie ist eine Kraft, die sich stetig erneuert und mich immer schneller
nach unten zieht. Ich reagiere mit einer verstärkten Aufwärtsbewegung,
einer Gegenbewegung, die sich ebenfalls stetig erneuert, mit Anti-Schwerkraft.
Lieber als das Wort Anti-Schwerkraft verwende ich die Begriffe Energie
oder Sprießkraft, um diese Gegenbewegung zu bezeichnen; es ist jedenfalls
keine Anti-Erde-Kraft, kein Abstoßen. Die Erde ist das Wesen, dem
wir entspringen. Wir sind die Sprößlinge der Erde. Im Englischen
heißt Sprießkraft spring, was auch Frühling bedeutet,
Quelle und Sprungfeder, mit vielen Beiklängen, die alle passend sind.
Ich werde nicht zurück in die Umarmung der Quelle gezogen, noch fliege
ich unkontrolliert flüchtend nach oben, sondern stehe aufrecht fest
geerdet und doch auf dem Sprung gen Himmel. Die Haltung allein ist bereits
ein kreativer Akt Diese Interaktion zwischen mir und der Schwerkraft findet
zwar immer statt, sie bleibt jedoch meist unbewußt Das Mähen
erinnert mich an diese Beziehung, denn es stellt die Balance zwischen Schwerkraft
und Sprießkraft wieder her. Ich befinde mich zwischen den beiden
stetig stärker werdenden Strömungen von Schwerkraft und Sprießkraft
und bin entspannt; meine Schultern sind nicht hochgezogen, mein Nacken
ist nicht steif, ich kann nun im Geist von einem Teil meines Körpers
zum anderen wandern und unnötige Spannungen lösen. Dann drehe
ich meinen Oberkörper von einer Seite zur anderen, erst nach rechts,
dann nach links und lasse dabei die Arme frei schwingen. Die rechte Hand
schlenkert und berührt die linke Hüfte, und nach einer ganzen
Sekunde berührt die linke Hand die rechte Hüfte. Fußknöchel,
Knie, Hüften und das ganze Rückgrad kommen in eine Drehbewegung.
Diese Übung erinnert mich an drei Dinge:
1. Mähen ist eine Drehbewegung, die von der rechten Seite meines
Körpers ausgeht und vorn am Körper vorbei zur linken Seite führt,
2. Arme und Schultern müssen nicht angespannt sein, sondern können
locker bleiben; und
3.mein ganzer Körper ist von der Drehung erfaßt
Man kann sich den menschlichen Körper als zwei Spulen vorstellen, die sich diagonal in entgegengesetzter Richtung in dynamischem Gleichgewicht durch den Körper drehen.. Beim Mähen wird dieses dynamische Gleichgewicht zu einem Rhythmus zwischen der einen und der anderen Seite. Die Energie, die in der Mähbewegung zum Ausdruck kommt, liegt in unseren Sehnen und Muskeln gespeichert.. Mehr noch als das Eibenholz der Bögen für die Jagd, können Sehnen Energie unter Anspannung speichern.. Sie sind sogar den modernen Stahlfedem überlegen. Zu Zeiten der alten Griechen und Römer wurden Tiersehnen zu Kordeln gedreht und äußerst effektive Katapulte damit ausgestattet, die 165 Kilogramm schwere Steine etwa 400 Meter weit schleudern konnten. Wenn ich mich am einen Ende der Körperdrehung befinde, speichern meine Sehnen Energie, wie ein aufgedrehtes Gummiband es tut Diese Energie wird freigegeben, um die Muskelkontraklion zu unterstützen, wenn ich mich zur anderen Seite drehe. Der beste Sensenschwung bedient sich aller Sehnen und aller Gelenke.
Wenn ich von der Übung zum Mähen übergehe, lasse ich
den rechten Arm seitlich locker herabhängen. Dort hatte ich ihn am
Anfang des Sensenschlags. Die Spitze des Sensenblatts ist auf einer Linie
mit den beiden Füßen . Mein linker Ellbogen ist so gebeugt daß
sich die Schneide in der gewünschten Höhe befindet.Ich stehe
aufrecht. Das stereotype Bild eines Mannes mit einer Sense zeigt ihn vornüber
gebeugt in einer Haltung, in der er bereits nach einer Stunde erschöpft
und verkrümmt wäre. Die billigen Sensen, die man heute im Baumarkt
bekommt, ziehen den Körper auch in eine gebückte, ermüdende
Haltung. Ein gutes Handwerkszeug sollte man täglich benutzen können,
ohne daß der Körper schmerzt oder überanstrengt wird. Die
Sense mit dem langen Sensenbaum im römischen Gallien stellte gegenüber
der kurzen Sense oder Sichel der frühen Römerzeit eine große
Verbesserung dar, weil der Benutzer aufrecht und entspannt stehen und so
mehr Arbeit bewältigen konnte.
Mein ganzer Körper dreht sich links herum, der linke Ellbogen
wird gebeugt und ganz hinter den Körper geführt. Der Schwung
endet, wenn das Sensenblatt die Linie durchschneidet, die von meinen beiden
Füßen gebildet wird . Jetzt berührt der linke Ellbogen
beinahe das Rückgrat. Mein Brustkorb ist nach links gedreht. Jedes
Gelenk ist angespannt, wenn das Pendel der Bewegung am äußersten
Punkt angelangt ist. Im besten Fall muß der Schwung nicht unterbrochen
werden.. Er wurde mit genau so viel Energie begonnen, daß das letzte
Gras geschnitten ist und sich in die Reihe wirft, wenn die Schlagbewegung
zum Stillstand kommt; die übrig gebliebene Energie ist gut in den
Sehnen gespeichert und zieht kräftig nach rechts, zurück in die
Ausgangsstellung.
Während ich zum nächsten Schwung aushole, setze ich beide
Füße einen Schritt vor. Hamme und Sensenspitze befinden sich
die ganze Zeit über parallel zum Boden und knapp darüber. Der
geschnittene Bereich hat die Form eines Halbmonds.
Das Gras wird von der Sense meist nach links geworfen; deshalb mache
ich weiter als ginge ich am Rand des ungeschnittenen Grases entlang. Viele
verwechseln die Sense mit einem Besen oder einem Golfschläger. Sie
gehen das Feld direkt an, anstatt es abzuschreiten, und versuchen auf das
Gras einzuschlagen. Die Hamme steht am Anfang des Schlags immer nutzlos
über dem Boden hoch. Trotz des kräftigen Schwungs wird wenig
geschnitten. Das geschnittene Gras wird auf den nächsten Streifen
geworfen..
Um es richtig zu machen, schreite ich am Rand der Fläche entlang,
drehe meinen Körper und halte die Hamme immer nahe über dem Boden
. Beim Golf oder Krocket gibt es nur einen Berührungspunkt.Beirm Mähen
gibt es hunderte Berührungspunkte und alle müssen an der richtigen
Stelle getroffen werden. Rudyard Kipling lieferte eine gute Metapher für
die ausholende Bewegung des Sensenschlags: »Das Vorsegel schwang
wie ein Sensenschlag vor und zurück gegen den blauen Himmel.«
Der Mäher, die Mäherin ist der Segelmast, die Sense der Baum.
Ich übe auf einem Rasen und ziehe das Sensenblatt hin und zurück.
Beim engen Mähen gleitet das konvexe Sensenblatt dahin, ohne sich
in die Erde zu graben, wie es ein anderes Blatt tun würde. Bei dieser
Übung wird der Rasen gemäht und ich lerne, das Sensenblatt parallel
zum und knapp über dem Boden zu halten.
Wenn ich einen breiteren Streifen mähen möchte, stecke ich
am Anfang des Schlags die rechte und die linke Hand weiter nach rechts
aus. Die Hände sind während des Schwungs weiter vom Körper
entfernt. Der Mäher neigt sich dem Gras entgegen ohne das Gleichgewicht
zu verlieren und ohne sich zu bücken.
Eine geübte Person kann in gutem Gras mit einem Siebzigzentimeterblatt
einen zwei Meter breiten, oder noch breiteren Streifen mähen.
Ein durchschnittlicher Streifen ist ein Meter dreißig breit,
und das war in England auch das Maß für die Heufelder. Unerfahrene
tun gut daran, schmalere Streifen zu mähen, indem sie sich ein wenig
links halten, oder sogar im geschnittenen Gras der vorherigen Reihe gehen.
Es ist auch keine Schande, einen siebzig Zentimeter breiten Streifen zu
mähen. Das Punktesystem bei den Mähwettbewerben zeigt, daß
es wichtiger ist sauber zu schneiden als breit zu schneiden. In dem 1830
erschienen Buch »Librarv of tseftil Knowledge« wurde besonders
auf einen sauberen Schnitt hingewiesen: »Das Mähen soll so ausgeführt
werden, daß weder die Schnitte der Sense noch die Ränder der
einzelnen Streifen zu sehen sind.«
Ein breiterer Streifen ist meist nicht eine Sache der Kraft, sondern
der richtigen Drehbewegung, mit der Energie in den Sehnen gespeichert wird.
Die Länge und Breite des Schwades ist auch von der jeweiligen Frucht
abhängig, ihrer Beschaffenheit und ob der Boden eben ist. Dürftiges
Gras, das kurz und braun im August auf welligem, steinigem Boden wächst,
ist zweifellos schwerer zu mähen als hohes, taubedecktes Grün
im Mai auf ebenem Grund.
DAVID TRESEMER
Aus DEM AMERIKANISCHEN VON ELISABETH BROCK.
TEXTAUSZUG AUS: =>»DAS
SENSENBUCH - NEUE WEGE ZU EINEM ALTEN WERKZEUG: DIE KUNST DES MÄHENS
MIT DER
SENSE«,
168 SEITEN, GEBUNDEN, 46,00 DM. Zu BEZIEHEN VOM NATÜRLICH GÄRTNERN-MEDIENLADEN