Aus dem Buch => Krankheit als Sprache der Seele  von Rüdiger Dahlke und Thorwald Dethlefsen

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Die Schilddrüse


Wie der Name verrät, bildet die Schilddrüse einen Schild. Einem Schmetterling vergleichbar, legt sie ihren schmalen Körper knapp unterhalb des Schildknorpels über den Kehlkopf, während die Flügel des Schmetterlings, die beiden Lappen der Schilddrüse, seitlich der Luftröhre zu liegen kommen. Ihre Aufgabe ist die Bildung von Stoffwechselhormon, das in zwei Formen vorkommt. L-Thyroxin und das noch wirksamere Trijodthyronin bestehen wesentlich aus Jod und haben stoffwechselmobilisierende Funktion. Sie steigern die Vitalität längerfristiger und nachhaltiger als die schnellwirkenden Hormone der Nebenniere, Adrenalin und Noradrenalin. Neben dem Kreislauf mit Blutdruck und Herzfrequenz werden Atem- und Darmfunktion angeregt, die Temperatur wird ebenso erhöht wie der Grundumsatz, Nervenleistung und muskuläre Erregbarkeit nehmen zu; während die Reaktionszeit abnimmt, steigern sich Wachhielt und Denkgeschwindigkeit.
Darüber hinaus spielt die Schilddrüse eine entscheidende Rolle bei Wachstumsprozessen. Franz Alexander weist darauf hin, daß sie in der Evolution den Schritt vom Wasser aufs Land ermöglichte. Erst ab den Amphibien verfügen Lebewesen über Schilddrüsen. Bei der mexikanischen Molchart Axolottl veranlassen experimentelle Thyroxingaben die Umstellung von Kiemen- auf Lungenatmung, so daß sich die Tiere von Wasser- zu Landbewohnern wandeln. W.L. Brown bezeichnete die Schilddrüse als »Drüse der Schöpfung«. Bis heute hält die Schilddrüse den Bezug zum Meer über das Jod aufrecht, das hauptsächlich im Meer vorkommt und aus dem allein sie ihre Hormone bilden kann. Wenn sich Menschen zu weit vom Meer entfernen und sich etwa auf die Höhen abgelegener Gebirge versteigen, bekommen sie leicht Schilddrüsenprobleme.
Die Bedeutung der Schilddrüsenhormone für die menschliche Reifung zeigt ihr Mangel bei Kretinismus und Myxödem, wo geistige und körperliche Entwicklung zurückbleiben. Die Wachstumsfugen der langen Extremitätenknochen schließen sich z.B. nur verzögert, die Intelligenzentwicklung ist behindert. In der Entwicklungsphase hat Thyroxin analoge Wirkungen wie das Wachstumshormon der Hypophyse.
 
 

Der Kropf


Vergrößert sich die Produktionsstätte der jodhaltigen Antriebsstoffe, muß man von erhöhtem »Treibstoffbedarf« ausgehen. Der Organismus signalisiert den Betroffenen mit der Expansion der Fabrikationsanlage am Hals, daß sie sich ihren erhöhten Antriebsbedarf nicht eingestehen. Der Hunger nach Energie, Aktivität und Wechsel ist in den Schatten gesunken. Dieser Hunger nach mehr Stoffwechsel bezieht sich zuerst auf die Energie des Wechselns, danach erst auf den dazu notwendigen Stoff. Der häufigste Kropf geht auf Jodmangel in der Nahrung zurück. Die Betroffenen, zumeist eingebunden in feste Traditionen, leben in einer Umwelt, die ihnen zuwenig Energie und Abwechslung bietet. Der Kropf verrät den diesbezüglichen Hunger. Er entwickelt sich auf dem Boden eines Hormonmangels wie bei der Unterfunktion. Durch den kropfigen Ausbau der Schilddrüse gelingt es aber schließlich unter Nutzung jeden Jodatoms den Stoffwechselbedarf zu decken.
Bei der Unterfunktion zeigt der Kropf ebenfalls den erhöhten Treibstoffbedarf. Die Situation ist insofern weiter eskaliert, als er trotz fortschreitenden Ausbaus der Produktionsstätte nicht zu decken ist. Die Patienten werden träger und dicker, es tut sich (energetisch) nichts mehr in ihrem Leben. Sogar der Hunger hört auf, da die Energie fehlt, um mit der Nahrung etwas anzufangen.
Bei Schilddrüsenüberfunktion spüren die Betroffenen den Hunger nach Stoffwechsel in richtiggehendem Heißhunger. Sie können pausenlos essen, ohne dick zu werden, weil ihr Körper den Stoff sofort verbrennt. Ihr Untergewicht verrät, daß sie den energetischen Ansprüchen des Körpers, trotz kropfartigem Ausbau der Schilddrüse, nicht nachkommen. Sie hamstern und hamstern, und es reicht nicht.
Entsprechend den Kropfarten lassen sich die Probleme in drei große Gruppen unterteilen, die Über- und die Unterfunktion und die
Kropfbildung ohne Stoffwechselabweichung. Dieser Kropf mit normalen Drüsenfunktionswerten war bis vor einigen Jahrzehnten in Gegenden, die von jodarmem Salz lebten, weit verbreitet. Als harmloseste Variante macht er keine Symptome von seiten des Stoffwechsels, sondern nur durch sein Ausmaß in ästhetischer oder mechanischer Hinsicht. Jodmangel in der Nahrung veranlaßt die Schilddrüse soweit anzuwachsen, daß sie jedes anfallende Quentchen des kostbaren Stoffes ausnutzen kann. Der entstandene Kropf bewirkt mit Schwerpunkt nach außen kosmetische Probleme, mit Schwerpunkt nach innen u.U. auch Schluckbeschwerden, Atemnot und Stimmprobleme.
Der dicke Hals vermittelt den Eindruck von Plumpheit und Erdbezogenheit, das Gegenteil von Eleganz, wie man sie mit dem schlanken Schwanenhals verbindet. Wenn jemandem der Hals schwillt, betont er damit den Bereich des Einverleibens und Besitzens. Der Volksmund spricht vom »Blähhals« und meint damit einen Wichtigtuer. Wer aber viel einverleibt, hat viel und ist damit wichtig oder zumindest gewichtig. Ausdrücke wie »Gierhals« betonen das Einverleiben, wogegen »Geizhals« oder »Geizkragen« den Schwerpunkt auf den Besitz legen. Offenbar handelt es sich um Menschen, die den Hals nicht voll genug kriegen und zum Hamstern neigen. Ihnen ist das nicht bewußt, ihre Umwelt sieht es um so deutlicher. Es kann allerdings sein, daß die Besitzgier so verdrängt ist, daß sie auch Außenstehenden nicht mehr auffällt. Zum Thema »Einverleiben« gehört nicht nur die materielle Dimension, wie sie sich etwa auch im Doppelkinn andeutet. Kropfpatienten neigen auch im Übertragenen dazu, einiges einzustecken. Schließlich signalisiert der dicke Hals auch mangelnde Beweglichkeit in diesem Bereich bis hin zur Halsstarrigkeit, was sich wiederum negativ auf den Überblick und geistigen Horizont auswirkt.
In manchen Gegenden war der Kropf etwas so Normales, daß er zum Bild der ländlichen Bevölkerung geradezu gehörte. Zum Dirndl trug die Bäuerin selbstverständlich das schmucke Kropfband. Wie beim Pelikan symbolisierte der gut gefüllte Kropf den vollen Beutel und reichen Ertrag. Bei den Betroffenen handelte es sich meist um bäuerliche, vom eigenen Land lebende Leute, zu denen der vom Kropf unterstrichene bodenständig robuste Eindruck paßte. Es waren Menschen, die ihren Kopf stabil auf den Schultern trugen, ihre zum Teil bis ins Mittelalter reichende Tradition strikt bewahrten und keinen gesteigerten Wert auf die Erweiterung ihres geistigen Horizontes oder gar Veränderung ihrer Lebensart legten. Das Ausmaß ihrer konservativen Unbeweglichkeit und ihres bewahrenden Besitzstrebens war meist unbewußt und hinter Frömmigkeit verborgen. Wie groß die Bedeutung von Besitz aber war und was für eine herausragende Rolle überkommene Werte spielten, zeigen die entsprechenden Theaterstücke, die fast ausnahmslos darum kreisen. Es geht nicht nur um die Tochter, sondern immer auch um die Mitgift, die nicht selten neben ihrem Geschenk- auch den Giftcharakter enthüllt. Darüber hinaus dreht sich das meiste um das Prinzip »Das war schon immer so«. Hinzu kam die Abgeschiedenheit der betroffenen Gegenden, die dem Mangel an Aktivität und Wechsel Vorschub leistete.
Mit der Einführung jodierten Speisesalzes und Jodbeigaben ins Trinkwasser ist diese Art von Kröpfen weitgehend rückläufig, obwohl sich das Thema dadurch natürlich nicht beseitigen ließ. Es muß sich nun andere (Ausdrucks-)Wege suchen. Allerdings ist durch die zeitlich parallel verlaufende Öffnung zur Stadtkultur in die ursprüngliche Abgeschiedenheit und abwechslungslose Monotonie bäuerlicher Gegenden Bewegung gekommen, und so ist auch die Dominanz der zugrundeliegenden seelischen Haltung in den nachrückenden Generationen zunehmend verlorengegangen.
Der äußere Kropf symbolisiert den nicht eingestandenen Besitz- und Machtanspruch sehr offen. Die Betroffenen lassen »heraushängen«, was sie haben, wie es der Volksmund weiß. Versteckter und damit problematischer ist der nach innen getragene Kropf. Die Thematik ist natürlich grundsätzlich ähnlich, nur wird hier alles in sich hineingefressen und vor der Umwelt versteckt. Nach außen macht das einen besseren Eindruck, der Eindruck nach innen ist dafür um so gefährlicher.
Das Thema Gier ist hier noch tiefer ins Unbewußte abgedrängt und schafft entsprechend tiefere Probleme. Solch uneingestandene Art zu horten und zu raffen kann die Atemluft und damit Austausch und Kommunikation behindern. Häufig erschwert der nach innen wachsende Kropf auch das Schlucken und zeigt damit, wie schmerzhaft und bedrückend weiteres Runterschlucken ist. Greift die Bedrückung auf den Kehlkopf über, kann die Stimme in Mitleidenschaft gezogen werden und einen heiser krächzenden Klang annehmen. Die Betroffenen tönen einerseits wie Geier, andererseits als seien sie am Ersticken, und in gewissem Sinne stimmt es. Sie drohen an der Gier zu ersticken.
Ein märchenhaftes Bild im weiteren Zusammenhang gibt Aschenputtel bzw. die ihr zu Hilfe eilenden Tauben. Sie kehren das bisher Gesagte ins Gegenteil um. Nach dem Motto »Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen« wird sorgfältig unterschieden, was der Welt zuzumuten und was lieber für sich zu behalten ist. Auf die Dauer kann es natürlich nicht gesund sein, alles Gute, Bekömmliche hinauszugeben, alles Schlechte, Unbekömmliche aber für sich zu behalten und ein Stück weit hinunterzuschlucken.
In der Einführung zum Hals hatte sich dieser als Heimat der Angst zu erkennen gegeben. Dieses Thema wird natürlich von einem Kropf angesprochen, der droht, einem die Gurgel zuzudrücken. Als einer der beiden wichtigsten Blockadepunkte des Körpers ist der Hals eine Stelle, an der man dazu neigt, einen Riegel vorzuschieben. Sich einen Kropf wachsen zu lassen, wird so auch zur Möglichkeit, den Kopf vom Körper abzuriegeln.

Fragen
1. Lebe ich in einer Umwelt, die meiner Lebendigkeit zu wenig Anreize liefert?
2. Übertreibe ich das Thema »Besitz«? Lasse ich meinen Besitz heraushängen? Hängt mir mein Besitz bereits zum Hals raus?
3. Mache ich mir Dinge zu eigen, die mich aufblähen und mich hindern, an der wechselhaften Lebendigkeit des Lebens teilzunehmen?
4. Wie steht es mit dem Thema Gewicht(igkeit)? Fühle ich mich wichtig, oder muß ich mich wichtig machen?
5. Steck ich zuviel weg? Wertvolles? Werte? Unangenehmes?
6. Hamstere ich, ohne andere davon etwas merken zu lassen (innerer Kropf)? Mache ich es, um nichts abgeben zu müssen oder aus Scham?
7. Drückt mir das Gehamsterte das Leben ab?
8. Riegle ich mich am Hals ab und trenne meinen Kopf vom Körper, meine Gedanken von meinen Gefühlen?
 
 

Schilddrüsenüberfunktion


Die Hyperthyreose wird häufig, muß aber nicht mit einem Kropf einhergehen. Dieser wird oft knotige Form aufweisen, wobei kalte Knoten, die nur wenig oder gar kein Jod speichern, von heißen, stark speichernden unterschieden werden. Die kalte Variante ist gewebemäßig so degeneriert, daß sie ihre Aufgabe der Hormonbereitung nicht mehr erfüllt und dazu neigt, bösartig zu entarten. Sie trägt aber nicht zur Überfunktion bei.
Heiße Knoten, hinter denen sich medizinisch sogenannte autonome Adenome verbergen, werden schnell zu heißen Eisen im Leben, an die man nicht gerne rührt. Im Konkreten wird nichts Enges mehr am Hals gelitten. Die Kragenweite nimmt rapide zu, das Beengungsgefühl bleibt trotzdem. Seelisch entsprechen dem klaustrophobe Tendenzen, d.h., alle beengenden Situationen werden ängstlich gemieden. Der Hals schwillt und macht den in den Körper gesunkenen, kaum zu bremsenden Wachstumsdrang deutlich. Das Herz schlägt schneller, Blutdruck und Körpertemperatur steigen, und Schweiß und Nervosität brechen aus. Motorische Unruhe macht sich in Fahrigkeit, Zitterneigung und Getriebenheit Luft. Schlaflosigkeit raubt die körperlich dringend benötigte Ruhe. Die Augen zittern vor Aufregung, sind weit aufgerissen und können sogar deutlich hervortreten.
Den Patienten steht der blanke Schrecken ins Gesicht geschrieben wie einem Strangulierten. dem die schreckgeweiteten Augen aus den Höhlen zu springen drohen. Franz Alexander spricht vom »Schock-Basedow«.  Solche Augen sind nicht nur angstgeweitet, sie sind überwach. In höchster Alarmbereitschaft sehen sie einem Kampf auf Leben und Tod entgegen, auf den sich offensichtlich auch der übrige Körper vorbereitet. Die Verbindung zum Schrecken ergibt sich nicht nur aus dem Gesichtsausdruck, sondern wurde sogar im Tierexperiment bestätigt. Mit Raubmardern konfrontierte Kaninchen, denen der Fluchtweg abgeschnitten war, entwickelten alle Anzeichen der Hyperthyreose einschließlich des Exophthalmus genannten Heraustretens der Augäpfel. In menschlichen Krankengeschichten findet sich häufiger als ein akutes Schreckereignis die Aussicht auf schreckliche Zeiten mit entsprechender seelischer Langzeitbelastung. Allerdings gibt es meist auch frühe Begegnungen mit dem Tod und Erfahrungen mit dem Verlust einer Bezugsperson. Todesangst und Schrecken werden aber nicht konfrontiert, sondern durch Verleugnung und Verdrängung abgewehrt und malen sich so ins Gesicht. Häufig geht die Leugnung soweit, daß die Patienten gerade Situationen aufsuchen, die sie am meisten fürchten. Neben dem Gesichtsausdruck manifestiert sich die Angst auch noch im Schiß, der die Patienten plagt, sie haben die Hosen voll, wie der Volksmund weiß. Statt im übertragenen Sinne durchzumarschieren, leben sie den »Durchmarsch« im Darm. Bei der Schweißneigung kann neben dem Angstschweiß auch die übertriebene Anstrengung und Anspannung Pate stehen.
Die Patienten scheuen tatsächlich weder Mühen noch Anstrengungen. Im Schwellen des Halses und Heraustreten der Augen liegt neben der Panik auch das Bild totaler Überanstrengung, vergleichbar einem Gewichtheber, der sich übernimmt. Die Tendenz, sich zu übernehmen, findet sich in den meisten Lebensgeschichten Betroffener. Sie neigen zu Frühreife und verfrühter Verantwortungsübernahme etwa für jüngere Geschwister. Das Übermaß an Wachstums- und Reifungshormon in ihrem Blut signalisiert später die entsprechenden in den Körper gesunkenen Ansprüche. Selbst häufig von der Mutter getrennt, enttäuscht oder abgewiesen, versuchen sie die sich daraus ergebende Angst und Unsicherheit zu bekämpfen, indem sie sich selbst mit der Mutterrolle identifizieren. (»Wenn ich sie nicht haben kann, muß ich werden wie sie, so daß ich sie entbehren kann.«) Das führt bei den betroffenen Frauen häufig zu einer annähernd inzestuösen Bindung an den Vater, bei Männern zu einer Fixierung auf eine weibliche Rolle, die bis zur Homosexualität reichen kann. Der sie überfordernden Aufgabe der Mutterrolle bleiben die Patienten bis zur Selbstaufopferung treu. Das Scheitern solch eines Kompensationsversuches kann die Symptomatik auslösen.
In ihren weit aufgerissenen Augen können sich aber auch Kampfbegierde und sogar Neugierde spiegeln. Dieser scheinbare Widerspruch wird uns noch häufiger begegnen. Bedroht und gehetzt scheinen sich die Patienten auf große Taten vorzubereiten, die all ihre Kräfte erfordern. Die Zeichen stehen auf Sturm, als stünde der heißeste Überlebenskampf unmittelbar bevor. Sie selbst wissen allerdings nichts davon, im Gegenteil betrachten sie ihre Symptome häufig mit großer innerer Distanz und melden sich erfahrungsgemäß spät beim Arzt. Sie neigen nicht dazu, sich krankschreiben zu lassen, sondern halten so lange wie irgend möglich durch. Ihr Kampfesmut ist in den Schatten gesunken und ihnen vollkommen unbewußt. Im Körper demonstrieren sie dagegen in aller Ehrlichkeit in heißen Knoten und schwellendem Hals, wie heiß sie auf Ausweitung und Entwicklung sind und welche Anstrengungen sie dafür in Kauf nehmen. Sie wollen nicht nur weiter werden, sondern vor allem weiterkommen, ihr Hunger ist unstillbar und verrät einen ebensolchen Appetit auf Leben. Sie können den Hals nicht voll genug kriegen und verzehren sich häufig in brennendem Ehrgeiz. Diese Form des Geizes steht weit im Vordergrund. Manchmal wird die Unruhe in einem richtiggehenden Schwirren oder Pulsieren des Kropfes deutlich. Der Zustand hat etwas Zehrendes, der Grundumsatz ist so hoch, daß die Betroffenen abmagern und der gehetzte Eindruck noch unterstrichen wird. Sie verzehren sich vor Ehrgeiz und Leistungswillen.
Der Ort des heißen Kampfes im Zusammenhang mit der besonderen Geizform, die nach Ehre giert, läßt neben dem Schrecken und der wachen Abwehrbereitschaft ein weiteres Thema durchscheinen. Der Hals ist als Übergang vom Körper zum Kopf Zugang zur obersten Instanz. An dieser Stelle ist durch den Kropf nicht nur ein vergrößerter Schutzschild vor eine der empfindlichsten Körperzonen gebaut, sondern auch ein Riegel vorgeschoben, der alle lebenswichtigen Versorgungsstraßen beengt. Um diese Blockade wird eine heiße Auseinandersetzung geführt, die man als Kampf um den Zugang zur höchsten Stelle interpretieren kann. Häufig steckt dahinter die Verkörperung eines vehementen Autoritätskonfliktes, der für die Betroffenen etwas Lebensentscheidendes hat. Vom Körper wird vorgeführt, wie aufreibend und kräftezehrend dieser Kampf ist und wie sich der Zugang nach oben immer mehr verengt. In ihrem Zittern verdeutlichen sich Angst und Unruhe. In beständiger Panik, daß es ihnen an den Kragen geht, noch bevor sie etwas geschafft haben, läßt sie jede weitere Einengung außer sich geraten. Nicht selten sind sie im Beisein einer entsprechenden Autoritätsperson vor Zittern nicht in der Lage, eine Kaffeetasse erfolgreich zum Munde zu führen. Im Hals sitzt ein dicker Kloß und demonstriert, daß nichts mehr hochkommen kann, obwohl ihnen im Übertragenen alles hochkommen will. Lebensgier gepaart mit der (Todes-)Angst, das Wesentliche im Leben zu versäumen, spielt hier zusätzlich herein.
Falls in dieser Situation überhaupt noch ein Wort über ihre Lippen kommt, verdanken sie es ihrer großen Fähigkeit, sich zusammenzureißen und Sachlichkeit über alles zu stellen. Emotionale Regungen, besonders feindliche, und Gefühle aller Art halten sie unterhalb der Kropfbarriere zurück. Ihren Gegnern helfen sie sogar gern auf Grund vernünftiger Überlegungen, wie sie auch Geschwistern, mit denen sie rivalisieren, am liebsten mütterlich unterstützend zur Seite stehen. Nur wenn der Damm am Hals hin und wieder bricht, öffnen sich die Schleusen, und scheinbar unmotivierte Tränenbäche suchen den Weg in die Freiheit. Manchmal verrät sie auch die krächzende, heisere, hörbar bedrängte Stimme und zeigt, wie sehr ihnen die Situation zu schaffen macht. Sie spricht offen von dem Druck, unter dem sie stehen, und von der bedrückten Stimmung, die sie erfüllt. Notgedrungen leise, läßt die Stimme in ihrer Angestrengtheit den eigentlichen Anspruch durchklingen. Hier möchte sich jemand mehr und lauter äußern, schafft es aber nicht.
Die Wachstumskomponente der Schilddrüsenhormone untermauert die Deutungen, zeigt doch der Überfluß an Hormon den in den Körper gesunkenen Wachstumsanspruch. Bis zur Adoleszenz gehört er hierher, danach aber ausschließlich auf geistig-seelisches Niveau. So ist es nicht erstaunlich, daß es kaum Hyperthyreosen im Kindesalter gibt und ihre Zahl erst nach der Pubertät zunimmt. Bei Erwachsenen verrät das überschüssige Hormon eine Regression, ein Zurückweichen auf eine nun nicht mehr angemessene Ebene. Die Patienten gestehen sich weder ihre Wachstums- noch Kampfbestrebungen ein. Ihr Anspruch, besonders schnell zu reifen und zu wachsen und möglichst viel zu erleben, wird in den Körper gedrängt, wo er sich in erhöhten Hormonspiegeln austobt. Der Überfluß an Stoffwechsel- und Wachstumshormon macht sie übertrieben empfindlich, wechselhaft, wirbelig und viel zu lebendig und fördert die Todesangst. Sie sind so wach, daß sie kein Auge mehr zu bekommen. Tagsüber zittern die Lider, nachts meidet sie der Schlaf. Die Vermeidung des Schlafes, des kleinen Bruders des Todes, schließt den Kreis zur Todesangst. Einige Krankengeschichten erlauben den Verdacht, daß es sich um die Angst handelt, das Leben zu beenden, bevor es noch gelebt wurde.
Auffallend ist, daß Frauen etwa fünf mal häufiger als Männer betroffen sind. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, daß die gesellschaftlichen Wachstums- und Durchsetzungsmöglichkeiten für sie deutlich schlechter sind und so die Wahrscheinlichkeit größer ist, daß sie verdrängt werden. Zudem wird der Wunsch auffällig vieler Patienten, ihre Wachstumsbestrebungen mit Schwangerschaften zu befriedigen und darüber hinaus die Familie durch Adoptionen und Pflegekinder wachsen zu lassen, in einer relativ kinderfeindlichen Umwelt auf Probleme stoßen. Alexander spricht von »Empfängnissucht trotz Schwangerschaftsfurcht«. Dieser Widerspruch spiegelt den Versuch der Betroffenen, die eigene Todesangst dadurch abzuwehren, daß sie auf anderer Ebene Leben schenken.
Die Beziehung zwischen Schwangerschaft und Schilddrüse ist verschiedentlich belegbar. Während der Schwangerschaft ist sie z.B. leicht vergrößert und arbeitet verstärkt. Bei mangelnder Drüsentätigkeit kommt es häufig zu Sterilität oder Aborten. Auch bei Männern hat Schilddrüsenhormon positiven Einfluß auf die Fruchtbarkeit. So erhöht es den Ausstoß an Samenzellen und seine Transportgeschwindigkeit. Es gibt Hinweise, daß die Schilddrüse entwicklungsgeschichtlich aus dem uterinen Bereich stammt.
»Durch Kinder weiterkommen« ist eine häufige Variante des allgemein bei Hyperthyreose anzutreffenden Ehrgeizes, um jeden Preis weiterzukommen. Ansonsten lebt sich dieses Bestreben in einem bis zur Erschöpfung gehenden Arbeitspensum und sich selbst und die Umgebung überfordernden Leistungsansprüchen aus. Auch dabei sind Frauen gesellschaftlich engere Grenzen gesetzt, die sich bei der Hyperthyreose schmerzhaft verkörpern. Werden Schwangerschafts- oder Leistungswünsche in Frage gestellt, kann das zum Ausbruch der Symptomatik führen.
Ein weiterer Grund für die größere Häufigkeit bei Frauen mag darin liegen, daß die Thematik des Leistens, Kämpfens und Sich-
Durchsetzens mehr zum archetypisch männlichen Pol gehört und deshalb Frauen grundsätzlich schwerer fällt. Auf den urweiblichen Bereich des Kinderbekommens läßt sie sich z.B. nur schwer übertragen. Abgesehen davon, daß Leistungswille diesem Bereich kaum entspricht, wird von der Gesellschaft eine hohe Kinderzahl eher bestraft. Das Kindergeld widerspricht dem nicht, sondern unterstreicht dies im Gegenteil, ist es doch Ausdruck des schlechten Gewissens gegenüber durch Kinderreichtum Benachteiligten.
Schließlich ist die Autoritätsthematik zwischen Mutter und Tochter für die Tochter viel schwieriger zu lösen als für den Sohn. Nach Alexander kranken alle Betroffenen an der Schwierigkeit, den Rollenwechsel vom Pflegling zur Pflegenden zu bewältigen.
Die Lernaufgabe besteht darin, sich den Schrecken und die Panik bezüglich des eigenen Lebens und die dazu kontrastierenden hohen Ansprüche an Entwicklung, Leistung, Wachstum und Erleben einzugestehen. Die enormen Anstrengungen und Bemühungen, Anerkennung vor der meist selbst gewählten Autorität zu finden, sind in Beziehung zur eigenen Geschichte zu bringen. Um das Muster zu erlösen, ist es notwendig, den eigenen Anteil an der widersprüchlichen Lage anzuerkennen: Angst und Schrecken, die im Gesicht stehen, sind meist bis zu früh(kindlich)en Enttäuschungen der eigenen Abhängigkeitswünsche zurückzuverfolgen. Darauffolgende Versuche, die bedrohte Geborgenheit dadurch zu ersetzen, daß man sie anderen gibt, beleuchten die Überforderung. Denn wie soll man etwas geben, das man selbst nicht hat, aber dringend bräuchte? Der hohe Anspruch und die enorme Leistungs- und Leidensbereitschaft machen das Widersprüchliche, fast Unmögliche zeitweilig doch möglich. Die Auslösesituation der Krankheitssymptomatik, die das Gebäude aus Angst, Anstrengung und Selbstverleugnung zum Einsturz bringt, treibt die entsprechenden Impulse in den Körper, der sich nun seinerseits unter höchsten Anspruch setzt und in einen nichtgewinnbaren Kampf peitscht. Die Auslöser, die von Beziehungskrisen bis zum Verlust durch Tod reichen, sind, gespeist von der Grundangst, meist schon in Gedanken vorweggenommen worden und umgeben sich so auch noch mit dem Schrecken einer selbsterfüllenden Prophezeiung.
Wenn die eigenen seelischen Hintergründe bearbeitet sind, wozu oft eine Psychotherapie nicht zu umgehen sein wird, gilt es, die in den Körper gedrängten Impulse wieder bewußt zu leben. Im bis zum Hals klopfenden Herzen liegen das Aufstreben und der von Kampfeslust beflügelte Ehrgeiz. Nach dem Eingeständnis, wie heiß sie auf das Leben und alles Erleben, auf Aufstieg und Anerkennung sind und wie gerne sie in Wirklichkeit die »heiße Frau (der heiße Typ)« wären, die bisher nur im verborgenen lebt, haben die hochfliegenden Träume eine echte Chance, sich an der Realität zu messen. Wenn der Block im Halsbereich anerkannt ist, der den Kopf von der Wirklichkeit des Körpers scheidet und z.B. auch die eigene Stimme von ihrem Resonanzboden im Körper, dann erst kann die ganze Angst bewußt werden, die im Engpaß des Halses steckt und in den hervortretenden Augen gefangen ist. Die Betroffenen haben nicht nur konkret einen Knoten am Hals, der seelische Knoten, die Barriere zwischen oben und unten ist ihr Problem. Sind sie dieser Angst, die sie bisher hinunter(in den Kropf)geschluckt haben, begegnet, hat der Kampf in der äußeren Welt eine Chance. Möglicherweise erübrigt er sich aber auch, wenn sich die Wachstumskräfte andere befriedigendere Richtungen suchen.
Das Prinzip des Lebens ist in den Schatten gesunken und will auf bewußte Ebenen zurückkehren. Die Hyperthyreose symbolisiert eine unglaubliche Fülle von Leben und Wachstum, zuviel für den Körper. Diesen Überfluß des Lebens gilt es, in geistig-seelische Kanäle zu lenken, und da stehen beliebig viele, ja alle Richtungen offen.

Fragen

Bei kalten Knoten
1. Habe ich Knoten (=ungelöste Probleme) am Hals, die mich in ihrer kalten Lebensfeindlichkeit umbringen könnten?
2. Was könnte bei mir durch weiteres Ignorieren böse ausgehen?
3. Wo gibt es einen wesentlichen Lebensbereich, dem ich alle Energie entzogen habe, den ich versuche kaltzustellen?

Bei Hyperthyreose und heißen Knoten:
1. Welches heiße Eisen will ich nicht anfassen?
2. Welcher brennende Ehrgeiz und hohe Anspruch treiben mich? Worauf zielt mein ungestillter Hunger?
3. Was bringt mich so übertrieben auf Touren, was auf die Palme?
4. Welcher Kloß, welche Angst steckt mir seit langem im Hals?
5. Wer könnte mir an den Kragen gehen? Wem möchte ich an den Kragen gehen? Um welche Autorität kreist mein Kampf?
6. Inwiefern schwanke ich zwischen Todesangst und Lebensgier?
7. Warum schlucke ich feindselige Regungen hinunter?
8. Wie komme ich dazu, Sachlichkeit über Emotionen zu stellen? Warum dränge ich heiße Auseinandersetzungen in den Körper?
9. Was verbirgt sich hinter meiner übergroßen Hilfsbereitschaft? Was hinter meinem (übertriebenen?) Kinderwunsch?
10. Was steckt hinter meiner Hilflosigkeit, wenn es um mich und die Verteidigung meiner eigenen Interessen geht?
11. Worauf drängt meine hohe Stoffwechselrate? Welchen Stoff meines Lebens gilt es zu wechseln? Welcher Wechsel ist überfällig?
12. Wo will ich hin mit dem Überfluß an Leben in mir?
 
 

Schilddrüsenunterfunktion


Umgekehrt wie bei der Überfunktion gelangen bei der Hypothyreose zu wenig Schilddrüsenhormone ins Blut. Die Folgen sind geringer Grundumsatz und mangelnde Energie. Der Blutdruck fällt ebenso wie der Blutzuckerspiegel, Anämie tritt auf, und der Stoffwechsel funktioniert nur noch auf kleinster Flamme, was sich in Müdigkeit, Schlappheit, allgemeiner Antriebslosigkeit und zunehmendem Gewicht niederschlägt. Appetitmangel und Verstopfung kommen hinzu, die Haare werden trocken und struppig und können ausfallen. Die Haut ist schlecht durchblutet, folglich kalt und neigt dazu, sich zu verdicken. Das Unterhautgewebe nimmt schwammig-derbe Konsistenz an, weshalb Mediziner vom Myxödem sprechen. Die Stimmung ist mutlos-depressiv, der Gesichtsausdruck ist stumpf und anteilnahmslos. Die verlangsamte, intellektuell verschlafen bis zurückgeblieben wirkende lethargische Persönlichkeit ist der größte Gegensatz zum quicklebendig wachen, übererregt angsterfüllten Hyperthyreotiker.
Die Myxödem-Patienten haben sich ein dickes Fell zur Abschottung gegen die Außenwelt zugelegt. Der teigig-aufgedunsenen Haut entziehen sie mit der Durchblutung auch noch die Lebenskraft, d.h., sie wollen mit der Welt draußen in keinerlei lebendigen Kontakt treten. So bleibt die Haut als Grenze nach draußen kühl und leblos. Die kalten Hände verraten, falls sie sie überhaupt jemandem zur Begrüßung reichen, daß sie keinen herzlichen oder warmen Kontakt aufnehmen. Die kalten Füße enthüllen, daß ihre Verwurzelung auf der Erde eine eher unlebendige und mangelhafte ist. Wenn man kalte Füße bekommt, schwingt Angst mit. Ein Mensch, der seinen Platz zum Wurzelnschlagen noch nicht gefunden hat, lebt natürlich mit einer grundlegenden Angst.
Diese teilen die Patienten mit ihren Leidensgenossen auf dem Gegenpol der Überfunktion. Wie alle Gegensätze liegen auch diese beiden konträr gegenüber, aber auf derselben Achse. Wo Überfunktions-Patienten dem Leben mit Todesangst begegnen und panisch ums Überleben ringen, verhalten sich Unterfunktions-Patienten ihm gegenüber gleichgültig, als ginge es sie nichts an. Wie alles übrige läßt es sie völlig kalt. Es scheint, als stellten sie sich tot. Im Thema Tod aber liegt wieder die Gemeinsamkeit mit den Hyperthyreotikern. Die einen fürchten, die anderen imitieren den Tod, beide aber beschäftigen sich ständig damit.
Es ist wenig erstaunlich, daß sich die Patienten in ihrer kalten, schwammigen Haut nicht wohl fühlen. Die niedergeschlagene Stimmung und der stumpfe Gesichtsausdruck, der jede Anteilnahme vermissen läßt, machen es deutlich. Das Herz klopft einen müden, schwachen Rhythmus und bewegt Blut, dem die Substanz fehlt. Es handelt sich um einen recht dünnen Lebenssaft mit zu wenig Energieträgern (roten Blutkörperchen) und Brennstoff (Zucker). Der erniedrigte Zuckerspiegel deutet nebenbei an, daß diesem Leben die Süße fehlt. Kein Wunder, daß die Patienten auch äußerlich auf der ganzen Linie ein Bild der Abwendung vom Leben bieten. Bedingungsloser Rückzug von allen Fronten des Lebens ist hier in den Schatten gesunken und verkörpert sich. Der Charakter dieses Krankheitsbildes zeigt sich in seinem Extrem, dem Myxödemkoma, mit Scheintodzuständen und Untertemperaturen bis zu 23 Grad. Das Leben ist hier annähernd eingefroren, die Lebensfunktionen praktisch zum Erliegen gekommen. Lebenszeichen geben die Patienten in ihrer tiefen Bewußtlosigkeit schon lange nicht mehr von sich. Sie können sich nicht mehr fürs Leben erwärmen, das ist nur noch durch fremde Hilfe von außen möglich. Tatsächlich können sie zurück ins Leben geholt werden. Solch extreme Situationen stecken meist hinter den makabren Berichten über lebendig Beerdigte.
Unterfunktionspatienten zeigen keinerlei Bereitschaft, den Lebenskampf aufzunehmen, sie interessieren sich nicht einmal für ihr Leben. Müde, in tiefen Höhlen versteckte Augen kontrastieren zu den glänzenden, aus den Höhlen heraustretenden der Gegenspieler mit Überfunktion. Träge, interesselose Apathie kontrastiert zur überaktiven Getriebenheit. Die einen rühren sich nicht vom Fleck, die anderen hetzen von Fleck zu Fleck, ohne je anzukommen. Bei aller Gegensätzlichkeit teilen sie das Thema, das in der Mitte zwischen ihnen liegt und von dem sie beide gleich weit entfernt sind. Es geht um ihren Platz im Leben. Zwischen zuwenig im einen und zuviel Leben im anderen Fall liegt weit entfernt von beiden auf halbem Weg zwischen ihnen: das Leben.
Wie nah die beiden Gegenpole sich in Wirklichkeit sind, zeigt auch die moderne Medizin, die mit ihren radikalen Therapiemethoden Bestrahlung und Operation nicht selten Überfunktionen in Unterfunktionen umwandelt. Diese müssen durch lebenslängliche Gaben von Schilddrüsenhormon notdürftig stabilisiert werden. Die Betroffenen erleben durch diese Prozedur dasselbe Grundthema von zwei gegensätzlichen Seiten. Während die schulmedizinische Therapie der Unterfunktion vom Substitutionsprinzip getragen ist und allopathischen Gedanken folgt - gegen die Leblosigkeit der Patienten wird mit lebensspendendem Schilddrüsenhormon gearbeitet -, geht die Bestrahlung mit Radiojod fast homöopathische Wege. Die Patienten schlucken radioaktives Jod, das sich in der Schilddrüse sammelt und diese von innen heraus zerstrahlt. Während der Behandlungszeit sind die ganzen Patienten so radioaktiv strahlend, daß sie streng abgeschirmt werden müssen. Den aggressiven in den Körper gesunkenen Lebensimpulsen des Krankheitsbildes begegnen die Radiologen mit noch Aggressiverem. Radioaktive Stoffe gehören zum aktivsten und damit lebendigsten, was man sich vorstellen kann. Sie explodieren gleichsam von innen heraus, zerreißen sich mit anderen Worten für ihre todbringende Lebendigkeit.
Die Lernaufgabe der Patienten und die Einlösung des Themas Unterfunktion besteht darin, sich bewußt ganz auf sich selbst zurückzuziehen, Aktivitäten auf das notwendige Minimum zu beschränken und Geschehenlassen zu lernen. Die »Wurstigkeit«, mit der die Betroffenen allem begegnen, ist in jenes bewußte »Dein Wille geschehe« zu transformieren. Nicht, sich von allen herumschubsen zu lassen, ist die Aufgabe, sondern sich geduldig vom Leben seinen Platz zeigen zu lassen. Nicht Resignation gegenüber dem Leben, sondern Rückzug vom »Ich will!« zum »Dein Wille geschehe!«.
Während bei der Überfunktion das Leben in den Schatten gesunken war, ist es hier der Tod. So gilt es, alles Alte sterben zu lassen, die alten Muster und Programme, all das, was längst sterbensmüde ist. Der Myxödempatient schaut aus wie eine Leiche, kalt, aufgedunsen, blutleer. Auseinandersetzung mit dem Tod ist seine vorrangigste Aufgabe. Nur wenn er sterben lernt, kann er leben. In einer modernen Industriegesellschaft mag das eine ziemlich abwegig scheinende Aufgabe sein. Immerhin aber gab es Kulturen, denen die Vorbereitung auf den Tod wichtigster Lebensinhalt war, wie die altägyptische, die der Mayas und die lamaistische Tibets. Die entsprechenden Totenbücher zeugen von diesem Weg.
Bei angeborener Unter- oder Nichtfunktion der Schilddrüse entwickelt sich das Bild des Kretinismus mit Zwergwuchs und Schwachsinn verschiedenen Grades. In diesem Fall wird die zuerst beschriebene Lernaufgabe noch deutlicher, wobei sie sich auch ganz wesentlich an die Eltern wendet. Um das »Ich will« wenigstens ansatzweise zu verwirklichen, ist Intelligenz notwendig. Fehlt sie weitgehend, ist die Unterwerfung der Umwelt unter den eigenen Willen kein Thema. Kretins nehmen die Welt instinktiv statt intelligent wahr, sie sind von Anfang an Außenseiter. Unbrauchbar für die Zwecke der Gesellschaft und ständig auf ihre Hilfe angewiesen, sind sie ihr eine Belastung. All diese demütigenden Situationen müssen die Betroffenen, ob sie wollen oder nicht, ertragen. Meist ist es für sie weniger schwierig als für ihre Eltern. Die einzige Lösung liegt darin, aus der Demütigung Demut zu lernen. Auch der ausgeprägte Kleinwuchs muß in diese Richtung verstanden werden. Es geht in diesem Leben offenbar nicht darum, den »großen Zampano« zu spielen, sondern sich in einer großen Welt in einen kleinen Rahmen einzufügen und seine kleine, bescheidene Rolle zu spielen.
 

Fragen
1. Warum will ich nicht mehr lebendig sein? Was veranlaßt mich, nur auf Sparflamme zu leben?
2. Wozu brauche ich ein so dickes Fell?
3. Was will mir mein Übergewicht sagen? Was ersetzt es mir?
4. Wo verstecke ich meine Lebensenergie?
5. Was macht mich zum Eisblock?
6. Wie kann ich meine Resignation in Hingabe,meinen Fatalismus in Ergebenheit wandeln?
7. Was sollte ich sterben lassen, um wieder lebendig zu werden?
8. Inwieweit bin ich die Auseinandersetzung mit dem Tod schuldig geblieben?
9. Wo ist mein Platz, an dem ich leben und gedeihen könnte?