Reinkarnation

Zum Abschluß des Kapitels zitieren wir einen der bemerkenswertesten  Berichte, die Dr. Lenz gesammelt hat, vollständig. Er enthält eine lebendige Darstellung der Todeserfahrung und der  Erfahrungen  in höheren  Bereichen  nach dem Tod.
Die Geschichte betrifft einen Kaufhausmanager aus Chicago, der mit seiner Familie im Campingurlaub war. Eines Morgens, als er den Sonnenaufgang über den Bergen beobachtete, hatte er die folgende außergewöhnliche Erinnerung:

Ich erinnerte mich an ein vergangenes  Leben von  mir; nach dem Stil der Kleidung und Autos zu urteilen, war es um 1930. In diesem Leben hatte ich ein kleines Geschäft in einer kleinen Stadt im Mittelwesten.
Ich ging schnell auf dem Bürgersteig, als ich einen stechenden  Schmerz in meinem Brustkorb fühlte. Mein ganzer  Körper wankte, und mir war unglaublich schwindlig. Ich versuchte, mich abzustützen, aber ich wurde von einer Welle der Übelkeit erfaßt. Ich griff nach Halt, aber ich fiel hin.
Der Schmerz wurde immer heftiger. Ich  schloß meine Augen und fühlte, wie ich nach Luft rang. Mein Herz hämmerte so laut, daß ich nicht denken konnte.
Ich öffnete für einen Moment meine Augen und sah über mir die Gesichter der Menschenmenge, die sich angestaut hatte. Ein
Mann, den  ich als Angestellten meines Hauses erkannte, beugte sich zu mir herunter und lockerte meine Krawatte. Eine Frau forderte  jemanden auf, einen Krankenwagen zu rufen. Zu diesem Zeitpunkt wurde mir bewußt, daß ich einen Herzanfall hatte. Eine neue Welle von Schmerz überflutete mich, noch viel schlimmer als die erste.
Alles um mich herum verschwamm, dann fühlte ich, wie sich mein Körper verkrampfte, und ein Schauer überlief mich. Eine Reihe von  Bildern aus meiner Kindheit erschien vor mir. Ihnen  folgten  Szenen aus meiner Jugend  und dann  Szenen  meines Erwachsenenlebens. Ich sah vor  meinen Augen  in Sekundenschnelle die wichtigsten Stationen meines Lebens vorüberziehen. Dann wurde ich von Dunkelheit verschluckt und verlor das Bewußtsein.
Ich habe keine Vorstellung, wie lange ich ohne Bewußtsein war. Ich war in einer ungewohnten  Umgebung, irgendwo  in einem Raum. Alles kam mir sehr neblig und verschwommen vor. Ich konnte in dem Raum einige Leute sehen, Möbel, Vorhänge, ich konnte sie sogar reden hören. Aber sie kamen mir wie Phantome vor; sie schienen  nicht körperlich zu sein. Ich ging  zu ihnen hinüber und fragte sie, wer sie wären und wo ich sei. Sie ignorierten mich. Ich wiederholte meine Frage. Sie schienen von irgend etwas sehr bewegt zu sein. Die Frau weinte, und die Menschen um sie herum versuchten, sie zu beruhigen. Ich wurde sehr ungehalten, weil sie mich nicht beachteten und ging näher an sie heran. Da fing ich an zu argwöhnen, daß mit mir etwas nicht in Ordnung sei.
Ich bemerkte, daß ich nicht eigentlich zu ihnen  hinüberging, sondern irgendwie neben sie glitt, ohne daß ich mich physisch bewegen  mußte. Ich blickte die Frau an. Sie und die Menschen um sie herum weinten. Sie kam mir sehr bekannt vor. Ich fühlte, daß ich sie irgendwann früher in meinem Leben gekannt hatte. Mit Erschütterung wurde mir klar, daß diese Frau meine Frau war. Sie war umringt von meinen beiden  Söhnen und mehreren meiner Verwandten. Ich rief sie beim Namen und fragte sie, was nicht in Ordnung sei: sie schien mich noch immer nicht zu hören. Ich war unschlüssig, was ich tun sollte. Dann erinnerte ich mich, daß ich heute morgen  zur Arbeit gegangen war und einen Herzanfall erlitten hatte. Ein seltsamer Gedanke kam mir. «Ich bin tot., dachte  ich. «Nun, und was mach ich jetzt?« Dann erfüllte mich ein Gefühl von Selbstmitleid. Ich dachte, «Oh Gott, ich will nicht tot sein. Alle, die ich liebe, sind hier, und sie können mich noch nicht mal sehen.« Ich fühlte mich elend und blickte sie hilflos an.
Eine Zeitlang beobachtete  ich die Menschen in dem Raum. Sie zogen  ihre Mäntel und Hüte an. Ihre  Bewegungen kamen mir sehr mechanisch vor, als ob sie Roboter wären oder  Humanoide. Sie waren mir fremd. Ich verspürte den Drang, mit ihnen zu gehen.  Eine äußere Macht  zwang mich, mitzugehen. Als nächstes war ich wieder außerhalb meines Hauses, neben  meinem Auto. Ich sah, wie mein Schwager damit fuhr. Das machte mich ganz kirre. Ich wollte ihm sagen, daß er nicht mit meinem Auto fahren sollte, bis mir wieder einfiel, daß ich tot war. Es spielte wirklich keine Rolle, ob er nun damit fuhr oder nicht.
Dann fühlte ich, wie ich mich wieder weiterbewegte. Ich fühlte, daß ich mich per Willen bewegen  konnte, überallhin, wo ich sein wollte. Ich wünschte mir nur, wo ich sein wollte und  war fast sofort da. Ich wünschte mir, bei meiner Familie zu sein, und als nächstes  merkte ich, daß ich mich in einem Raum befand, in dem sich viele Menschen drängten. Ich wünschte  mir, daß ich nicht um die Menge herumgehen  müßte, und schon konnte ich durch die Leute hindurchgehen.
Die Aufmerksamkeit aller war auf die Vorderseite des Raums gerichtet. Ich sah erstaunt, daß da mein Körper in einem Sarg lag. Ich bekam das dringende Bedürfnis, in meinen Körper zurückzukehren  und  wieder  lebendig  zu sein.
Aber im selben Augenblick wußte ich, daß das unmöglich war; mein Körper war tot, ich würde niemals wieder lebendig  sein. Alles was ich tun konnte, war abwarten und zusehen. Ich sah, wie alle Leute kamen, die ich gekannt hatte und mich betrachteten. Ich sah meine Familie, Freunde, den  Priester meiner Kirche. Ich fand es sehr interessant  zu sehen, wie aufgewühlt viele von  ihnen waren. Ich sah, daß manche Leute sehr verstört waren und ziemlich viel weinten. Andere waren nur gekommen, weil es von ihnen erwartet wurde. Das ärgerte mich. Ich sah den Gesichtsausdruck von  jedem einzelnen.
Dann  fühlte  ich, wie mich die Macht wieder  in  Bewegung brachte. Ich hatte genug gesehen, ich wollte gehen.
Ich kann nicht sagen, wie lange ich auf der Erde blieb, weil ich keinen richtigen Zeitbegriff hatte. Ich wanderte von Ort zu Ort und besuchte all die vertrauten Plätze, an denen  ich während  meines Lebens gewesen war. Ich ging  zum alten Haus meiner Mutter, zu meiner alten High School und  vielen anderen Plätzen. Am Ende spürte ich, daß ich die Erde verlassen mußte. Ich gehörte nicht mehr hierher...
Ich befand mich in einer anderen Welt. Um mich herum waren schreckliche Geräusche. Ich konnte ein ständiges Donnern und
Pfeifen hören und ein lautes Dröhnen und unmenschliche Schreie.
Die Stelle, wo ich war, war voll von kaputten Dingen, verdrehten Trümmern, wie ein Schrotthaufen. Die Luft war von diesigem Rauch erfüllt. Eine Menge Wesen waren überall um mich herum. Viele von  ihnen bekämpften sich gegenseitig. Ihr Geheul und ihre Schreie waren so  laut, daß ich wegrennen wollte. Ich trieb mich eine lange, lange Zeit in dieser Welt herum.
Manchmal wollte ich Leute wie mich selbst sehen. Ich fühlte mich wie ein Fremder in einem fremden Land. Mehrere Male versuchten die Wesen dort - schrecklich aussehende Geschöpfe, die total verunstaltet waren - mich zu quälen. Ich fand heraus, daß sie weggingen, wenn ich sie nicht beachtete.
Dann verließ ich diese Welt und befand mich in einem Reich der Ideen. Das war eine schönere Welt als die andere. Sie war voller Stimmen, Gesang, Musik und solchen Dingen. Auch  ich war in dieser Welt anders. Das heißt, als ich in der verzerrten Welt war, glich mein Körper dem, den  ich nach meinem Tod auf der Erde benutzt hatte. Aber dieser Körper hatte mich verlassen, als ich in diese Welt eintrat. Ich war jetzt nicht physisch, ich war nicht wie vorher gestaltet, mit Händen und Armen. Ich war leichter und klarer. Ich war mehr so wie ein Geist... Ich blieb in dieser Welt und kam dann weiter zu einer noch schöneren, die voller unterschiedlicher farbiger Lichter war. Sie waren wunderschön. Die ganze Zeit konnte ich eine Art Musik hören. Aber es war nicht das, was  wir normalerweise für Musik halten. Alles was existierte, befand sich in einer bestimmten Harmonie. Das Leben selbst war Musik. Auch in dieser Welt war mein Wesen anders. Es war leichter und leuchtender. Es gefiel mir hier sehr gut.
In dieser Welt sah ich Leute, von denen ich wußte, daß sie vor mir gestorben waren. Mein Vater und mehrere andere kamen. Sie begrüßten mich. Sie sahen  nicht so aus, wie sie auf der Erde ausgesehen hatten. Sie waren Wesen voll Licht, aber ich wußte, wer sie waren. Sie hießen  mich mit großer Freude willkommen.
Dann kam ich in eine noch  höhere  Welt. Sie hatte Millionen von Ebenen. Die Ebenen unter mir konnte ich sehen, aber die Ebenen über mir nicht richtig, das Licht dort blendete mich. Ich konnte sehen, daß die Leute auf den Ebenen unter mir nicht so bewußt waren wie ich. Ich rastete hier; ich wußte, es war ein Ort des Ausruhens.
Ich wurde von goldenem Licht durchdrungen.
Die Ruhepause erscheint mir jetzt so weit entfernt. Als ich all dies sah, war es deutlicher, aber selbst dann hätte ich es nicht beschreiben können. Es gibt keine Worte dafür. Es ist bei Gott sein, das ist die beste Art, wie ich es beschreiben kann.