Warum der Körperkontakt zwischen Eltern und Kindern
entscheidend für ihr ganzes Leben sein kann
Nach der Trennung von seiner Mutter
bei der Geburt, spürt das kleine Wesen seine Hilflosigkeit in einer
unbekannten, kalten Welt, in der es sich ohne die schützende, wärmende
Gegenwart der Mutter vollkommen alleingelassen fühlt. Dieses Erlebnis
ist so überwältigend, daß die Psyche des Kindes in der
Regel nicht in der Lage ist, die erschreckenden Gefühle zu verarbeiten
und eine tiefgreifende Prägung erfährt, die eine erste Blockierung
der Entwicklung zur Folge hat.
Neben der Meisterung der physischen und
materiellen Welt, die mit dem aufrechten Gang gegen Ende des ersten
Jahres seinen ersten Höhepunkt erfährt, steht in dieser Zeit
die Bildung des Urvertrauens im Vordergrund. Dieses Urvertrauen ist die
Basis für eine vollständige und angstfreie Entfaltung aller angelegten
Möglichkeiten im Menschen. Es ist kein Zufall, daß die Psychologie
das erste Lebensjahr als das wichtigste im Leben eines Menschen überhaupt
bezeichnet.
In dieser Zeit, in der das Kind vorrangig
über den physischen Körper Erfahrungen sammelt, braucht es vor
allem den Kontakt zur Mutter, zeitweise auch zum Vater oder zu vertrauten
Personen.
In diesem Alter hat das Kind noch keinen
Zeitbegriff. Wenn es aus Einsamkeit oder aus Hunger weint, so weiß
es nicht, ob dieser Zustand je ein Ende finden wird und es gerät leicht
in Verzweiflung. Wird sein Verlangen hingegen immer sofort gestillt, bildet
sich in ihm das Vertrauen, daß diese Erde ihre Kinder mit allem versorgt,
was wir zur Erhaltung unseres Körpers und zur Befriedigung unserer
physischen Bedürfnisse brauchen. Ein Kind kann sich auf der physischen
wie auch auf der psychischen Ebene den nährenden und schützenden
Energien öffnen, die unser Mutterplanet für uns bereit hält.
Beinahe alle Naturvölker besitzen
ein intuitives Wissen über diese Zusammenhänge. Sie tragen ihre
Babys bis zum KrabbeIalter ständig in einem Tuch am Körper bei
sich und legen es auch nicht ab, wenn das beständige Schaukeln das
kleine Wesen in den Schlaf gewiegt hat. Wenn das Kind zu krabbeln beginnt,
nehmen sie es immer sofort hoch, sobald das Kind es wünscht. Nachts
liegen die Kinder neben der Mutter im Bett und wann immer sie Hunger verspüren,
ist die Brust der Mutter da. Die strahlenden Augen und zufriedenen Gesichter
dieser glücklichen kleinen Wesen sprechen für sich. Die Kinder
dieser Völker weinen sehr selten und sind früh bereit, soziale
Verantwortung zu übernehmen.
Wenn sich eine Mutter auch bei uns nur
im ersten Lebensjahr in dieser Weise ganz ihrem Kind widmen und ihre eigenen
Bedürfnisse so lange zurückstellen würde, hätte sie
ihm das beste Potential für sein Leben mitgegeben. Es ist einleuchtend,
daß sich diese Investition wirklich lohnt. Der automatische Fluß
der Liebe und Freude, der durch den ständigen Körperkontakt mit
dem Kind bei der Mutter ausgelöst wird, ist eine reiche Entschädigung
für die vielen kleinen Dinge, die sie in dieser Zeit vielleicht nicht
tun kann.
Verliert ein Kind die Gefühle des
Urvertrauens, der Sicherheit, der Erfüllung und Geborgenheit, so wird
es beim Heranwachsen immer mehr im äußeren, materiellen Bereich
danach suchen. Es wird Beziehungen zu Dingen aufbauen anstatt zu Menschen.
Das beginnt bei den Kuscheltieren, die als Ersatz für menschliche
Nähe und Wärme herhalten müssen. Später verlangt es
nach immer neuem Spielzeug und Süßigkeiten, auf der unbewußten
Suche nach etwas, das dieses leise nagende Gefühl der Leere vertreibt.
Und als Erwachsener sind es die schönen Kleider, das Auto, die Möbel
und vielleicht das eigene Haus, wie auch die berufliche oder gesellschaftliche
Stellung, an die die meisten Menschen ihr Herz hängen in der Hoffnung,
dadurch das in der Kindheit abhanden gekommene Gefühl der Sicherheit
und Erfülltheit zurückzugewinnen. Unsere Konsumgesellschaft könnte
ohne diese ungestillten Bedürfnisse der großen Mehrzahl ihrer
Mitglieder nicht existieren.
Doch es nimmt auch die Zahl der Menschen
zu, die erkannt haben, daß das Erlebnis innerer Geborgenheit und
Zufriedenheit nicht durch materielle Güter erreicht werden kann. Sie
begeben sich auf eine innere Suche und hier liegt tatsächlich die
einzige Chance, das verlorengegangene Paradies wiederzufinden.
Im zweiten Lebensjahr kommt zum
Grundthema der ursprünglichen Lebensenergie, der Beziehung zur Erde
und zur materiellen Welt, der Stabilität, der Durchsetzungskraft,
das sich über die ersten sieben Lebensjahre erstreckt, ein neues einjähriges
Hauptthema hinzu. Das heranwachsende Kind tritt mit den ursprünglichen
Lebensgefühlen Kontakt. Die zärtliche Berührung, das Streicheln
und Liebkosen nehmen neben dem reinen Körperkontakt nun an Bedeutung
zu. Das Kind beginnt, seine Sinnlichkeit zu entdecken und seine Empfindungen
und Emotionen bewußter zu erfahren und auszudrücken. Jetzt treten
auch allmählich die Inhalte unbewußter Erinnerungen in Erscheinung.
Es sind zunächst die sehr grundlegenden emotionalen Strukturen, die
das Kind im zweiten Lebensjahr durchlebt.
Es ist nun sehr wichtig, daß die
Eltern nicht versuchen, dem Kind eine bestimmte Haltung aufzuzwingen, denn
dann beginnt es, Emotionen zurückzuhalten und in einer Form zu erstarren.
Wenn das Kind hingegen lernt, seine Emotionen einfach nur zu erleben, ihr
Vorhandensein zu akzeptieren und spielerisch mit ihnen umzugehen, könnte
es alle negativen emotionalen Prägungen in kurzer Zeit auflösen.
Die Eltern sollten verstehen, daß
ein Kind in diesem Alter keine Negativität zum Ausdruck bringt. Ist
es zornig, so nur deshalb, weil ein natürliches Bedürfnis enttäuscht
wurde. Das wütende Schreien oder Losschlagen löst die entstandene
Blockade und befreit das Kind davon. Den meisten Eltern fällt es jedoch
schwer, ihr Kind in seinem emotionalen Ausdruck ganz und gar zu akzeptieren,
da sie selbst mit sich nicht im Reinen sind. Sie haben ihr Kind lieb, wenn
es dies tut und jenes läßt und vermitteln ihm damit die Botschaft:
»So wie Du bist, bist Du nicht gut genug. «
Das Kind übernimmt die Haltung
des Urteilens von den Eltern, und da es ihre Liebe nicht verlieren will,
verdrängt es die ungeliebten Anteile seiner selbst. Dies hat eine
tiefgreifende Wirkung zur Folge. Fehlt es darüber hinaus an sinnlicher
Stimulation, so entsteht ein Mangel an Urvertrauen im emotionalen Bereich
und Blockaden entstehen.
Dem Erwachsenen fällt es dann schwer,
seine natürlichen Emotionen zu akzeptieren und auszudrücken.
Um etwas empfinden zu können, braucht er grobe, sinnliche Reize, und
er entwickelt die Tendenz, andere Menschen als Objekte zu betrachten, die
seiner Befriedigung dienen.
Das dritte Lebensjahr bringt das
kleine Menschenwesen mit seinen inneren Ängsten in Kontakt. Der emotionale
Ausdruck wird differenziert und die Ausführungen, die wir im Zusammenhang
mit dem zweiten Lebensjahr gegeben haben, gelten nun in besonderem Maße.
Das Kind will sich jetzt als eine eigenständige Persönlichkeit
erproben, seinen Einfluß kennenlernen und immer wieder „Nein“ sagen,
um zu schauen, was dann wohl passiert. Wenn zwischen Eltern und Kind ein
Machtkampf besteht, weil die Eltern meinen das Kind nur erziehen zu können,
indem sie ihm ihren Willen aufzwingen, so findet er im dritten Lebensjahr
seinen ersten Höhepunkt. Fühlt sich das Kind jetzt in seiner
Persönlichkeit nicht geliebt und akzeptiert, findet eine Angstblockade
statt. Als Erwachsener fehlt ihm dann das Vertrauen und der Mut seine individuelle
Persönlichkeit zu leben, sein Dasein nach eigenen Vorstellungen zu
gestalten und auch aus negativen Erfahrungen zu lernen. Stattdessen wird
er sich anpassen oder versuchen seine Welt zu kontrollieren.