Hautausschläge  aus dem Buch »=> Krankheit als Weg « von Dr.Rüdiger Dahlke


Beim Hautausschlag durchbricht etwas die Grenze, will etwas nach außen. Am einfachsten kann man diesen Gedanken am Beispiel der sogenannten »Pubertätsakne« nachvollziehen. In der Pubertät bricht die Sexualität im Menschen durch, wird aber meist gleichzeitig in ihrem Anspruch angstvoll zurückgedrängt. Die Pubertät ist überhaupt ein gutes Beispiel für eine Konfliktsituation. In eine Phase scheinbarer Ruhe bricht plötzlich aus unbewußten Tiefen ein neuer Anspruch hervor und versucht mit aller Gewalt, sich im Bewußtsein und Leben eines Menschen Raum zu verschaffen. Doch das Neue, das da andrängt, ist unbekannt und ungewohnt und flößt Angst ein. Man möchte es am liebsten wieder aus der Welt schaffen und zurückkehren in den gewohnten Zustand davor. Doch das geht nicht mehr. Man kann eine Bewegung nicht ungeschehen machen.

So steht man inmitten des Konfliktes. Der Reiz des Neuen und die Angst vor dem Neuen zerren fast gleich stark. Jeder Konflikt verläuft nach diesem Muster, lediglich das Thema ändert sich. In der Pubertät heißt das Thema Sexualität, Liebe, Partnerschaft. Die Sehnsucht nach dem gegenpolaren Du erwacht. Man möchte in Kontakt kommen mit dem, was einem fehlt  und traut sich doch nicht. Sexuelle Phantasien tauchen auf  und man schämt sich ihrer. Daß ein solcher Konflikt als Entzündung auf der Haut sichtbar wird, ist wohl einleuchtend. Ist doch die Haut die Grenze des Ich, die man überwinden muß, um das Du zu finden. Gleichzeitig ist die Haut das Organ, mit dem man Kontakt finden kann, das andere berühren und streicheln können. In der eigenen Haut muß man dem anderen auch gefallen, um geliebt zu werden.
An diesem heißen Thema entzündet sich die Haut des Pubertierenden und zeigt dadurch sowohl, daß etwas die bisherigen Grenzen sprengen möchte, daß eine neue Energie durchbrechen möchte, als auch den Versuch, das Neue nicht durchbrechen zu lassen, die Angst vor dem neu erwachten Trieb. Über die Akne schützt man sich selbst, weil sie jede Begegnung erschwert und Sexualität verhindert. Es entsteht ein Teufelskreis: Die nicht gelebte Sexualität manifestiert sich als Akne auf der Haut - die Akne verhindert den Sex. Der verdrängte Wunsch zu reizen verwandelt sich in gereizte Haut. Wie eng die Verbindung von Sex und Akne ist, wird an den Orten ihres Auftretens deutlich. Akne zeigt sich ausschließlich auf dem Gesicht und bei Mädchen noch auf dem Dekollete (manchmal ist auch der Rücken befallen). Die übrigen Hautpartien werden von der Akne nicht befallen, da sie dort keinen Zweck erfüllen würde. Die Scham über die eigene Sexualität verschiebt sich zur Scham über die Pickel.
Viele Ärzte verschreiben zur Behandlung der Akne mit gutem Erfolg die Pille. Der symbolische Hintergrund dieser Wirkung ist offensichtlich: Die Pille täuscht im Körper eine Schwangerschaft vor, gleichzeitig aber auch, daß »es« schon geschehen wäre - die Akne verschwindet, denn sie braucht nun nichts mehr zu verhindern. Durch Sonnenbaden und Aufenthalt am Meer geht Akne meistens stark zurück, während sie immer stärker wird, je mehr man den Körper verhüllt. Kleidung als zweite Haut unterstreicht ja die Abgrenzung und die Unberührbarkeit, während das Ausziehen schon der erste Schritt des Sich-Öffnens ist und die Sonne in ungefährlicher Weise die ersehnte und gefürchtete Wärme eines anderen Körpers ersetzt. Daß letztlich gelebte Sexualität das beste Heilmittel gegen Akne ist, ist jedem bekannt.
Alles, was über die Pubertätsakne gesagt wurde, gilt in großen Zügen für fast alle Hautausschläge. Immer zeigt ein Ausschlag, daß etwas bisher Zurückgehaltenes (Verdrängtes) die Grenze der Unterdrückung durchbrechen möchte, um an die Sichtbarkeit (= Bewußtheit) zu kommen. Im Ausschlag zeigt sich etwas, was bisher noch nicht sichtbar war. Das macht wohl auch verständlich, warum fast alle Kinderkrankheiten, wie Masern, Scharlach, Röteln, sich über die Haut äußern. Bei jeder Kinderkrankheit bricht etwas Neues im Leben des Kindes durch, weswegen jede Kinderkrankheit einen meist gewaltigen Entwicklungsschritt mit sich bringt. Je stärker die Hauteffloreszenz ist, um so schneller ist der Verlauf einer Kinderkrankheit  der Durchbruch gelingt. Der Milchschorf bei Babys ist die Antwort auf Mütter, die ihre Kinder zu wenig berühren bzw. emotional vernachlässigen. Der Milchschorf ist sichtbarer Ausdruck dieser unsichtbaren Mauer und der Versuch, die Isolation zu durchbrechen. Das Ekzem wird von den Müttern häufig benützt, um ihre innere Abneigung gegen das Kind kausal zu rechtfertigen. Meist handelt es sich um besonders »ästhetische« Mütter, die selbst sehr großen Wert auf reine Haut legen.
Eine der häufigsten Dermatosen ist die Psoriasis, auch »Schuppenflechte« genannt. Sie äußert sich in scharf  begrenzten, scheiben- bis flächenförmigen, entzündlichen Krankheitsherden, die mit silbrigweißen Schuppen bedeckt sind. Die natürliche Hornbildung der Haut ist bei der Schuppenflechte maßlos übersteigert. Sie erinnert zwangsläufig an eine Panzerbildung (vgl. Hompanzer bei Tieren). Hierbei wird die natürliche Schutzfunktion der Haut zur Einpanzerung umfunktioniert - man grenzt sich in jeder Richtung ab. Man will nichts mehr herein- und nichts mehr herauslassen. Reich nannte das Ergebnis psychischer Abwehr und Abkapselung sehr treffend den »Charakterpanzer«. Hinter jeder Art der Verteidigung steckt Angst vor dem »Verletztwerden«. Je größer die Abwehr und je dicker der Panzer eines Menschen ist, um so größer ist seine innere Empfindlichkeit und seine Angst vor Verletzung.
Es ist hier wie im Tierreich. Man nehme einem Schalentier die Schale weg, und man findet ein schutzloses, weiches, verletzbares Etwas. Die Menschen, die in ihrer abwehrenden Art nichts und niemand an sich heranlassen, sind in Wirklichkeit meist die Empfindsamsten. Diese Erfahrung meint auch der Ausspruch, daß in »einer rauhen Schale meist ein weicher Kern« steckt. Doch der Versuch, die Verwundbarkeit der Seele durch einen Panzer zu schützen, besitzt eine gewisse Tragik. Zwar schützt ein Panzer vor Verwundung und Verletzung, doch er »schützt« gleichzeitig gegen alles, auch gegen Liebe und Zuwendung. Liebe hieße: Sich-Öffnen - doch das würde auch die Verteidigung in Frage stellen. So schließt der Panzer die Seele ab vom Fluß des Lebendigen, der Panzer macht eng  und Angst beginnt noch mehr zu wachsen. Es wird immer schwieriger, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Irgendwann muß der Mensch die ewig befürchtete und abgewehrte Verwundung der Seele geschehen lassen, um zu erfahren, daß die Seele daran noch lange nicht zugrunde geht. Man muß wieder verwundbar werden, um das Wunderbare erleben zu können. Dieser Schritt geschieht nur unter äußerem Druck, den entweder das Schicksal oder die Psychotherapie zustande bringen.
Wir haben den Zusammenhang zwischen der hohen Verwundbarkeit und der Panzerung an dieser Stelle deshalb ein wenig ausführlicher dargestellt, weil die Schuppenflechte auf der körperlichen Ebene uns den geschilderten Zusammenhang ebenfalls eindrucksvoll zeigt, denn die Schuppenflechte führt zu offenen Stellen der Haut, zu Schrunden und blutenden Wunden. Dadurch steigt die Infektionsgefahr der Haut. Wir sehen hier, wie die Extreme sich nahe berühren, wie Wundheit und Hornpanzer den Konflikt zwischen Sehnsucht und Nähe und Angst vor Nähe verwirklichen. Häufig beginnt die Schuppenflechte an den Ellbogen. Mit den Ellbogen setzt man sich durch, auf den Ellbogen stützt man sich ab. Gerade an diesen Stellen zeigen sich Verhärtung und Verwundbarkeit. In der Schuppenflechte haben Abgrenzung und Isolation ihr Extrem erreicht, so daß sie den Patienten zwingt, zumindest körperlich wieder »offen und verwundbar« zu werden.