Es war einmal ein sehr unruhiger Geist.
Er war wild und aufrührerisch. Stille und Ruhe konnte er einfach nicht
ertragen. Stets wollte er die Dinge verändern oder zerstören
und zog deshalb als Wirbelwind durch die Lande und die Menschen hatten
große Angst vor ihm, denn überall, wo er auftrat, gab es Unordnung
und Chaos.
Gott sah das und ermahnte ihn. ,,Wenn
du so weiter machst“ , sagte er „dann muß ich mir noch was einfallen
lassen."
Aber der Geist war unbelehrbar. Weiterhin
machte er guten Menschen das Leben schwer. Und Gott dachte nach. Da fiel
ihm etwas ein. ,,Lieber Geist", sagte er,"Ich werde Dir ein Zuhause geben,
von dem Du Dir alles erst mal in Ruhe anschauen kannst. Du wirst schon
lernen ein guter Geist zu werden" Und Gott brachte den Geist in ein kleines
Bäumchen. ,,Ab nun", sprach Gott "wirst Du fest verbunden sein mit
diesem kleinen Baum". Da stand er nun, der Wirbelgeist, so wild und ungestüm,
fest verwurzelt in der Erde, als zartes, junges Bäumchen. Er
sah zum Himmel auf und dachte, wie es wohl wäre, wenn nun so einer
käme wie er. Sein zarter Stamm würde sich im Wind verbiegen und
seine Blätter davonfliegen, seine Wurzeln sich angstvoll an die Erde
klammern. Aber die Sonne strahlte am Himmel und erfüllte die Luft
mit milder Wärme. „Ich muß wachsen", dachte der Geist,
„damit mir das nicht passiert.“ Und er wuchs, aber das dauerte für
seine Verhältnisse sehr sehr lange. Jedes Jahr bekommt ein Baum genau
einen Jahresring dazu und nicht mehr und nicht weniger. Und das ist wirklich
sehr langsam für einen Geist, der einst alles im Handumdrehen vernichten
konnte. Lange litt er unter seiner Ungeduld, bis er resignierte, und sich
dem Lauf der Jahreszeiten hingab, ohne daß er seinen Ort verlassen
konnte. Frühling, Sommer, Herbst und Winter zogen an ihm vorüber
, und er grub seine Wurzeln tiefer ins Erdreich und wartete ab. Seine Krone
wurde prächtig und sein Stamm breit, im Frühling duftete er nach
Hunderten von kleinen Blüten und er lauschte entzückt dem Summen
der fleißigen Bienen, die unermüdlich von Blüte zu Blüte
flogen, um den köstlichen Nektar zu sammeln. Vögel bauten Nester
in seinem Geäst und erfreuten ihn mit ihrem Gesang. Der Baumgeist
der er nun war, fing an, ein sehr glücklicher Geist zu werden. Er
wurde beschenkt von der Sonne, dem milden Regen, den Tieren und er war
nützlich, ohne daß er etwas besonderes dafür tun mußte.
So wurden auch die Menschen seine Freunde, denn an heißen Sommertagen
setzten sie sich unter sein schattiges Laub und träumten schöne
Träume.
Dann kam der Herbst und seine Früchte
wurden reif und süß und gaben den Tieren und Menschen Nahrung.
Nur der Winter war eine einsame Zeit, und der Geist zog sich zurück,
tief in das Innere des Baumes hinein, um zu schlafen und durch Traumländer
zu reisen, während seine Äste unter der Last des Schnees leise
ächzten. Es war eine Zeit der Stille, in der er zu Ruhe kam
und sich regenerierte bis der Frühling wieder einzog ins Land. So
verging ein Jahr nach dem anderen, und der Baum spürte die Zeit nicht
mehr. Er wurde größer und größer, und breitete seine
Arme aus, um den Himmel zu umfangen. Und er lernte ein Gefühl kennen,
das er bislang nie gehabt hatte: Zufriedenheit. Nur weil er an diesen
Ort gebunden war und nicht fort konnte, konnte er sehen, wie schön
das Leben eigentlich war und wie alle Dinge miteinander verflochten und
verbunden waren.
Da
sah Gott, daß es gut war und sprach ,,Ich sehe lieber Geist, Du bist
weise geworden und hast viel gelernt, nun werde ich dich wieder frei lassen
und wir werden sehen, wie du nun mit deiner Freiheit umgehen wirst.“ Und
er schickte einen gewaltigen Blitz, der schoß in den Baum hinein,
daß er in zwei Teile brach und Feuer fing und der Geist war frei.
Ziellos schwebte er um seinen Baum herum. Er wollte zurück, denn es
machte ihm große Angst so frei und ohne jeden Halt zu sein. Armer
Geist, er war so verwirrt. Da lächelte der liebe Gott und er schickte
dem Geist ein paar luftige Elfen. „Trag uns“, lachten sie fröhlich.
„Sei unser Freund und tanz mit uns!“ und der Geist freute sich und verwandelte
sich in eine leichte warme Brise und brachte die Elfen zu ihren geliebten
Blumen, oder in die Träume der Kinder. Und da sah der Geist, daß
es viel zu tun gab, und daß er gar nicht alleine war. Er tat sich
mit den Wassergeistern und der Sonne zusammen und blies die aufsteigenden
Wolken überall dorthin, wo das Land dörr und trocken war und
ließ es dort regnen, bis das Land wieder grün wurde. Er hatte
sehr viel zu tun, denn die Erde ist groß. Und wenn er sah, daß
die Sonne zu sehr brannte, dann schickte er ein kühles Lüftchen
wo auch immer er gerade war. So wurde aus dem Wirbelwind ein guter Geist.
Und was die Bäume angeht, vielleicht sollten wir sie des öfteren
mit ein bißchen mehr Respekt behandeln, anstatt sie vor ihrer Zeit
zu fällen, denn sie besitzen die Weisheit von Jahrzehnten oder Jahrhunderten,
wenn wir sie nur in Ruhe wachsen lassen.
Und noch etwas, wer mehr über den
Frieden und die Ewigkeit jenseits unserer tickenden Uhren lernen will,
der setze sich doch einfach unter den nächsten Baum, schließe
die Augen und lausche
dem Gesang der Vögel und dem Summen
der Bienen und vielleicht wenn er geduldig ist, schenkt ihm der Baum ein
wenig von seiner Ruhe und Weisheit.
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