SPIEGEL ONLINE - 09. Oktober 2003, 15:26
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(Un)endliches Universum

Ist Gott ein Fußballer?

Von Markus Becker

Es ist eines der größten Rätsel der Wissenschaft: Ist das Universum endlich? Forscher glauben, die Lösung jetzt gefunden zu haben: Das Weltall hat Grenzen, es ist ziemlich klein - und sieht aus wie ein Fußball.
Dodekaeder: Ist das Weltall ein zwölfseitiger Ball aus Fünfecken?
Jeff Weeks
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Hatte Platon am Ende doch Recht? Vor rund 2400 Jahren stellte der griechische Philosoph und Freund geometrischer Figuren die These auf, dass das Universum die Form eines Dodekaeders besitzt, eines zwölfseitigen Würfels aus identischen Fünfecken. Ein französisch-amerikanisches Forscherteam glaubt, den Meister aus der Antike bestätigt zu haben: Berechnungen der kosmischen Hintergrundstrahlung ergaben demnach, dass das Weltall die von Platon vorhergesagte Form aufweist und einen eher bescheidenen Durchmesser von 70 Milliarden Lichtjahren hat.

Große Wellen sind Mangelware

Im Zentrum der Thesen, die das Forscherteam um Jean-Pierre Luminet vom Obervatoire de Paris im Fachblatt "Nature" veröffentlichte, stehen die Daten der Nasa-Sonde WMAP. Der Satellit misst die kosmische Hintergrundstrahlung, das Nachglühen des Urknalls. Die Mikrowellen-Strahlung ist nicht völlig einförmig, sondern weist winzige wellenförmige Temperaturschwankungen auf. In einem unendlich großen Universum, das derzeit in der Kosmologie favorisiert wird, müssten die Schwankungen der Hintergrundstrahlung in allen möglichen Größen vorkommen.

 

Animation
Drehen Sie den Dodekaeder! Sie benötigen ein Java-PlugIn
Animation: Jeff Weeks
Die Messungen des Nasa-Satelliten ergaben jedoch, dass nur die Wellen kleineren Ausmaßes der Theorie eines unendlichen Universums entsprechen. Ab einer bestimmten Größe verschwinden die Wellen nahezu vollständig. "Das könnte bedeuten, dass das Weltall für sie nicht groß genug ist", sagte Jeffrey Weeks, einer der beteiligten Forscher. "So wie eine Glocke keine Schallwellen oberhalb der eigenen Größe produzieren kann, können auch Fluktuationen im Raum nicht größer sein als der Raum selbst."
Spiegelsaal-Effekt: Suche nach identischen Mikrowellen-Mustern
Jeff Weeks
GroßbildansichtSpiegelsaal-Effekt: Suche nach identischen Mikrowellen-Mustern
Das Weltall wäre demnach in seinem Ausmaß begrenzt - was allerdings nicht bedeutet, dass es Ränder hat. Das französisch-amerikanische Team schlägt als Form des Universums den so genannten Poincaré-Dodekaeder-Raum vor, der auf bizarre Art in sich selbst geschlossen ist. Würde ein Raumschiff oder Licht durch eines der Fünfecke hindurch fliegen, würde es auf der genau gegenüberliegenden Seite wieder in den "Fußball" eintauchen.

Kosmischer Spiegelsaal

Dieser Effekt würde auch bedeuten, dass Licht entfernter Galaxien auf mehreren verschiedenen Wegen zur Erde gelangen könnte. Das All wäre demnach ein komplizierter Spiegelsaal, der einen unendlichen Raum nur vorgaukelt und zahlreiche Bilder derselben Objekte produziert. Theoretisch also wäre der gesamte Kosmos von der Erde aus sichtbar - ohne unbekannte Regionen, in denen womöglich andere physikalische Gesetze gelten.

Dass durch irdische Teleskope dennoch nicht überall Kopien derselben Himmelskörper zu sehen sind, erklärt Weeks mit der begrenzten Geschwindigkeit des Lichts. "Immer, wenn wir in den Weltraum hinaus schauen, blicken wir in die Vergangenheit", sagte der Forscher im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Unser Universum ist zu jung, als dass wir uns selbst sehen könnten. Würden wir noch ein paar Milliarden Jahre warten, wäre das vielleicht möglich."

Suche nach Beweisen im Urknall-Nachglühen

Andere Forscher meldeten indes Zweifel an. David Spergel von der Princeton University und seine Kollegen konnten nach einem Bericht des Wissenschaftsmagazins "New Scientist" schon vor fünf Jahren zeigen, dass in einem Universum mit Spiegelsaal-Effekt identische Muster in der Hintergrundstrahlung existieren müssten. In den Daten des WMAP-Satelliten aber konnte Spegel keine Übereinstimmungen finden - obwohl die Theorie von Luminet, Weeks und Kollegen dazu sehr präzise Vorhersagen trifft.

Die Teams von Spergel und Luminet arbeiten mittlerweile zusammen, um die Widersprüche aufzulösen. Computer an zwei US-Universitäten und dem Goddard Space Flight Center der Nasa überprüfen derzeit die WMAP-Daten auf Anzeichen übereinstimmender Strahlungsmuster. Bis Jahresende erwartet Weeks durchschlagende Erkenntnisse. Spätestens der Esa-Satellit "Planck", dessen Start für Januar 2007 vorgesehen ist, soll endgültige Gewissheit bringen. "Wenn wir beweisen könnten, dass das Universum klein und endlich ist, wäre das wie ein Erdbeben", sagte Spergel. "Es würde unsere Sicht des Universums von Grund auf verändern."
 
 


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Im Internet:  
·  Wissenschaftsmagazin "Nature"
http://www.nature.com/nature/
·  "New Scientist"
http://www.newscientist.com/