Schilddrüsenunterfunktion aus  => Krankheit als Sprache der Seele


Umgekehrt wie bei der Überfunktion gelangen bei der Hypothyreose zu wenig Schilddrüsenhormone ins Blut. Die Folgen sind geringer Grundumsatz und mangelnde Energie. Der Blutdruck fällt ebenso wie der Blutzuckerspiegel, Anämie tritt auf, und der Stoffwechsel funktioniert nur noch auf kleinster Flamme, was sich in Müdigkeit, Schlappheit, allgemeiner Antriebslosigkeit und zunehmendem Gewicht niederschlägt. Appetitmangel und Verstopfung kommen hinzu, die Haare werden trocken und struppig und können ausfallen. Die Haut ist schlecht durchblutet, folglich kalt und neigt dazu, sich zu verdicken. Das Unterhautgewebe nimmt schwammig-derbe Konsistenz an, weshalb Mediziner vom Myxödem sprechen. Die Stimmung ist mutlos-depressiv, der Gesichtsausdruck ist stumpf und anteilnahmslos. Die verlangsamte, intellektuell verschlafen bis zurückgeblieben wirkende lethargische Persönlichkeit ist der größte Gegensatz zum quicklebendig wachen, übererregt angsterfüllten Hyperthyreotiker.
Die Myxödem-Patienten haben sich ein dickes Fell zur Abschottung gegen die Außenwelt zugelegt. Der teigig-aufgedunsenen Haut entziehen sie mit der Durchblutung auch noch die Lebenskraft, d.h. sie wollen mit der Welt draußen in keinerlei lebendigen Kontakt treten. So bleibt die Haut als Grenze nach draußen kühl und leblos. Die kalten Hände verraten, falls sie sie überhaupt jemandem zur Begrüßung reichen, daß sie keinen herzlichen oder warmen Kontakt aufnehmen. Die kalten Füße enthüllen, daß ihre Verwurzelung auf der Erde eine eher unlebendige und mangelhafte ist. Wenn man kalte Füße bekommt, schwingt Angst mit. Ein Mensch, der seinen Platz zum Wurzelnschlagen noch nicht gefunden hat, lebt natürlich mit einer grundlegenden Angst.
Diese teilen die Patienten mit ihren Leidensgenossen auf dem Gegenpol der Überfunktion. Wie alle Gegensätze liegen auch diese beiden konträr gegenüber, aber auf derselben Achse. Wo Überfunktions-Patienten dem Leben mit Todesangst begegnen und panisch ums Überleben ringen, verhalten sich Unterfunktions-Patienten ihm gegenüber gleichgültig, als ginge es sie nichts an. Wie alles übrige läßt es sie völlig kalt. Es scheint, als stellten sie sich tot. Im Thema Tod aber liegt wieder die Gemeinsamkeit mit den Hyperthyreotikern. Die einen fürchten, die anderen imitieren den Tod, beide aber beschäftigen sich ständig damit.
Es ist wenig erstaunlich, daß sich die Patienten in ihrer kalten, schwammigen Haut nicht wohl fühlen. Die niedergeschlagene Stimmung und der stumpfe Gesichtsausdruck, der jede Anteilnahme vermissen läßt, machen es deutlich. Das Herz klopft einen müden, schwachen Rhythmus und bewegt Blut, dem die Substanz fehlt. Es handelt sich um einen recht dünnen Lebenssaft mit zu wenig Energieträgern (roten Blutkörperchen) und Brennstoff (Zucker). Der erniedrigte Zuckerspiegel deutet nebenbei an, daß diesem Leben die Süße fehlt. Kein Wunder, daß die Patienten auch äußerlich auf der
ganzen Linie ein Bild der Abwendung vom Leben bieten. Bedingungsloser Rückzug von allen Fronten des Lebens ist hier in den Schatten gesunken und verkörpert sich. Der Charakter dieses Krankheitsbildes zeigt sich in seinem Extrem, dem Myxödemkonia, mit Scheintodzuständen und Untertemperaturen bis zu 23 Grad. Das Leben ist hier annähernd eingefroren, die Lebensfunktionen praktisch zum Erliegen gekommen. Lebenszeichen geben die Patienten in ihrer tiefen Bewußtlosigkeit schon lange nicht mehr von sich. Sie können sich nicht mehr fürs Leben erwärmen, das ist nur noch durch fremde Hilfe von außen möglich. Tatsächlich können sie zurück ins Leben geholt werden. Solch extreme Situationen stecken meist hinter den makabren Berichten über lebendig Beerdigte.
Unterfunktionspatienten zeigen keinerlei Bereitschaft, den Lebenskampf aufzunehmen, sie interessieren sich nicht einmal für ihr Leben. Müde, in tiefen Höhlen versteckte Augen kontrastieren zu den glänzenden, aus den Höhlen heraustretenden der Gegenspieler mit Überfunktion. Träge, interesselose Apathie kontrastiert zur überaktiven Getriebenheit. Die einen rühren sich nicht vom Fleck, die anderen hetzen von Fleck zu Fleck, ohne je anzukommen. Bei aller Gegensätzlichkeit teilen sie das Thema, das in der Mitte zwischen ihnen liegt und von dem sie beide gleich weit entfernt sind. Es geht um ihren Platz im Leben. Zwischen zuwenig im einen und zuviel Leben im anderen Fall liegt weit entfernt von beiden auf halbem Weg zwischen ihnen: das Leben.
Wie nah die beiden Gegenpole sich in Wirklichkeit sind, zeigt auch die moderne Medizin, die mit ihren radikalen Therapiemethoden Bestrahlung und Operation nicht selten Überfunktionen in Unterfunktionen umwandelt. Diese müssen durch lebenslängliche Gaben von Schilddrüsenhormonen notdürftig stabilisiert werden. Die Betroffenen erleben durch diese Prozedur dasselbe Grundthema von zwei gegensätzlichen Seiten. Während die schulmedizinische Therapie der Unterfunktion vom Substitutionsprinzip getragen ist und allopathischen Gedanken folgt-gegen die Leblosigkeit der Patienten wird mit lebensspendendem Schilddrüsenhormon gearbeitet-, geht die Bestrahlung mit Radiojod fast homöopathische Wege. Die Patienten schlucken radioaktives Jod, das sich in der Schilddrüse ansammelt und diese von innen heraus zerstrahlt. Während der Behandlungszeit sind die ganzen Patienten so radioaktiv strahlend, daß sie streng abgeschirmt werden müssen. Den aggressiven in den Körper gesunkenen Lebensimpulsen des Krankheitsbildes begegnen die Radiologen mit noch Aggressiverem. Radioaktive Stoffe gehören zum aktivsten und damit lebendigsten, was man sich vorstellen kann. Sie explodieren gleichsam von innen heraus, zerreißen sich mit anderen Worten für ihre todbringende Lebendigkeit.
Die Lernaufgabe der Patienten und die Einlösung des Themas Unterfunktion besteht darin, sich bewußt ganz auf sich selbst zurückzuziehen, Aktivitäten auf das notwendige Minimum zu beschränken und Geschehenlassen zu lernen. Die »Wurstigkeit«, mit der die Betroffenen allem begegnen, ist in jenes bewußte »Dein Wille geschehe« zu transformieren. Nicht, sich von allen herumschubsen zu lassen, ist die Aufgabe, sondern sich geduldig vom Leben seinen Platz zeigen zu lassen. Nicht Resignation gegenüber dem Leben, sondern Rückzug vom »Ich will!« zum »Dein Wille geschehe!«.
Während bei der Überfunktion das Leben in den Schatten gesunken war, ist es hier der Tod. So gilt es, alles Alte sterben zu lassen, die alten Muster und Programme, all das, was längst sterbensmüde ist. Der Myxödempatient schaut aus wie eine Leiche, kalt, aufgedunsen, blutleer. Auseinandersetzung mit dem Tod ist seine vorrangigste Aufgabe. Nur wenn er sterben lernt, kann er leben. In einer modernen Industriegesellschaft mag das eine ziemlich abwegig scheinende Aufgabe sein. Immerhin aber gab es Kulturen, denen die Vorbereitung auf den Tod wichtigster Lebensinhalt war, wie die altägyptische, die der Mayas und die lamaistische Tibets. Die entsprechenden Totenbücher zeugen von diesem Weg.
Bei angeborener Unter- oder Nichtfunktion der Schilddrüse entwickelt sich das Bild des Kretinismus mit Zwergwuchs und Schwachsinn verschiedenen Grades. In diesem Fall wird die zuerst beschriebene Lernaufgabe noch deutlicher, wobei sie sich auch ganz wesentlich an die Eltern wendet. Um das »Ich will« wenigstens ansatzweise zu verwirklichen, ist Intelligenz notwendig. Fehlt sie weitgehend, ist die Unterwerfung der Umwelt unter den eigenen Willen kein Thema. Kretins nehmen die Welt instinktiv statt intelligent wahr, sie sind von Anfang an Außenseiter. Unbrauchbar für die Zwecke der Gesellschaft und ständig auf ihre Hilfe angewiesen, sind sie ihr eine Belastung. All diese demütigenden Situationen müssen die Betroffenen, ob sie wollen oder nicht, ertragen. Meist ist es für sie weniger schwierig als für ihre Eltern. Die einzige Lösung liegt darin, aus der Demütigung Demut zu lernen. Auch der ausgeprägte Kleinwuchs muß in diese Richtung verstanden werden. Es geht in diesem Leben offenbar nicht darum, den »großen Zampano« zu spielen, sondern sich in einer großen Welt in einen kleinen Rahmen einzufügen und seine kleine, bescheidene Rolle zu spielen.
 

Fragen
1. Warum will ich nicht mehr lebendig sein? Was veranlaßt mich, nur auf Sparflamme zu leben?
2. Wozu brauche ich ein so dickes Fell?
3. Was will mir mein Übergewicht sagen? Was ersetzt es mir?
4. Wo verstecke ich meine Lebensenergie?
5. Was macht mich zum Eisblock?
6. Wie kann ich meine Resignation in Hingabe,meinen Fatalismus in Ergebenheit wandeln?
7. Was sollte ich sterben lassen, um wieder lebendig zu werden?
8. Inwieweit bin ich die Auseinandersetzung mit dem Tod schuldig geblieben?
9. Wo ist mein Platz, an dem ich leben und gedeihen könnte?