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Bindegewebsschwächen - Krampfadern - Thrombosen
Zur typischen Konstitution des Hypotonikers gehört häufig Bindegewebsschwäche
mit der Neigung zu Krampfadern, Gefäßbrüchen und als deren
Folgen Thrombosen und offene Beine. Bindegewebe ist jenes im Körper
am meisten verbreitete Material, das die spezifischen Organzellen verbindet
und den Organen und Körperteilen ihre äußere Form gibt.
Neben der Verbindungs- und Gestaltgebungsfunktion erfüllt es die Aufgabe
des Haltgebens. Ohne Bindegewebszellen wären z. B. die Leberzellen,
die die speziellen Aufgaben wie Eiweißsynthese und Entgiftung verrichten,
noch längst keine Leber. Auch unserem Gesicht gibt erst das Fettgewebe,
eine Unterart des Bindegewebes, seine individuelle Ausprägung.
Mangelnde Festigkeit dieses zentralen Gewebes spiegelt einen seelisch
nicht eingestandenen Mangel an Bindungs- und Verbindungsfähigkeit.
Unverbindlichkeit und geringe Verläßlichkeit liegen nahe. Meist
handelt es sich um Menschen, die über wenig eigene Verbindungen verfügen
und von sich aus auch kaum Verbindung zu anderen aufnehmen. Gerade deshalb
klammern sie sich häufig an die eine Beziehung, die sie haben. Dort
suchen Sie den Halt, den Sie in sich selbst nicht finden können.
Der mangelnde Halt wird im Mangel an Festigkeit des Körpers spürbar.
An ihnen hängen die Gewebe wie Kleider an einer Garderobe herunter.
Besonders deutlich wird es an den weiblichen Brüsten, den Pobacken
und manchmal auch im Gesicht. Wer sich hängenläßt, ohne
es sich einzugestehen, kann es dann im Spiegel kaum noch übersehen.
Das mag wiederum hart klingen, und doch liegt hier die einzige Chance zur
Ehrlichkeit. Einzelne Körperregionen betonen noch jeweils ein spezielles
Problem, das aus der Gesamtsituation herausragt. Wenn jemand sein Sitzfleisch
hängen läßt, weist das auf Probleme mit seiner Durchsetzungsfähigkeit
hin, während hängende Brüste ab einer bestimmten Größe
etwas Natürliches sind und keiner Deutung bedürfen. Etwas Schweres,
frei in den Raum Hinausgebautes muß nun einmal hängen. Wenn
allerdings nicht das Gewicht, sondern die Schlaffheit im Vordergrund steht,
wäre auch hier an ein Sichhängenlassen im Bereich des Weiblichen
und Nährenden zu denken.
Im Gesicht spricht das hängende Gewebe deutlicher als der Mund
aus, daß hier jemand resigniert hat, sich im Angesicht des Lebens
hängenläßt. Hängende Mundwinkel haben zusätzlich
die besondere Bedeutung tief eingegrabener Griesgrämigkeit. Aber auch
hängende Backen geben ein deutliches Bild eines abgeschlafften, etwas
hündisch dreinblickenden Menschen. Tränensäcke zeigen die
resignierte Trauer und zugleich das Ausmaß der angestauten und nichtgeweinten
Tränen, die solch ein Mensch mit sich herumschleppt. Die innere Haltlosigkeit
wird in den Gesichtszügen häufig so offensichtlich, daß
die Bloßgestellten soviel Ehrlichkeit nicht ertragen mögen.
In aller Heimlichkeit und Peinlichkeit werden dann Chirurgen beauftragt,
anzuheben bzw. zu liften, was man selbst nicht mehr hochkriegt.
Da also auch der formgebende Aspekt des Bindegewebes in Mitleidenschaft
gezogen ist, die Betroffenen deutlich sichtbar nicht in Form sind, muß
im Seelischen ein entsprechendes Problem liegen. Tatsächlich können
sie ihren geistig-seelischen Aufgaben keine Gestalt geben. Sie formen ihre
Umgebung kaum, neigen eher dazu, nachzugeben und sich selbst formen zu
lassen. Meist treten Mangel an Druck und Handlungsfähigkeit erschwerend
hinzu. So werden die Bindegewebsschwächlinge zu typischen Opfern und
zu Wachs in den Händen jener durchsetzungsfähigeren Zeitgenossen,
an die sie sich schutzsuchend halten, lehnen oder klammern.
Daß ihnen die Opferrolle andererseits nicht gerade leichtfällt,
offenbart wiederum das Gewebe der Betroffenen. Es enthüllt eine ausgeprägte
Empfindlichkeit und Verletzlichkeit, die bewußt gerne verleugnet
wird. Tatsächlich achten Bindegewebsschwächlinge sorgfältig
darauf, nirgends Anstoß zu erregen und am besten gar nicht aufzufallen.
Jeder kleine Anstoß wird nämlich im ehrlichen Körper sogleich
durch einen blauen Fleck dokumentiert. Daß auch im übertragenen
Sinne bereits leicht Anstößiges tief verletzen kann, liegt auf
der Hand. Zur hohen Beeindruckbarkeit kommt eine gewisse Neigung, nachtragend
und sogar beleidigt zu reagieren. Es dauert eben seine Zeit, bis so ein
blauer Fleck in Körper und Seele abheilt. Manchmal bedarf es noch
nicht einmal äußerer Einwirkung, und kleinste Gefäße
platzen wie von selbst. Mit ihren Mustern, auch Besenreiser genannt, zeichnen
sie mit Vorliebe die Beine jener, die sich darüber ganz besonders
ärgern. Mit makellosen Beinen würden die Betreffenden lieber
elegante Beweglichkeit, ästhetisch schöne Standhaftigkeit und
charakterliche Festigkeit vortäuschen, von eigenem Standpunkt und
Fortschrittsbereitschaft ganz zu schweigen. Verständlich, daß
der ehrliche Malstift des eigenen Schattens hier gänzlich ungelegen
kommt. Besonders ärgerlich, daß selbst die Schönheitschirurgen
diese Botschaften aus dem Inneren nicht wegradieren können.
Noch schlimmer kann es kommen, wenn die größeren Gefäße
das Thema auf die eigenen Beine zeichnen. Entzündungen der tiefen
Beinvenen, allgemeine Wandschwäche der Venen und geringe Festigkeit
des einbettenden Bindegewebes verleiten das Blut, anstatt zielstrebig zum
Herzen zurückzukehren, in gemächlichen Schleifen träge vor
sich hin zu mäandern. Es kommt zur Überlastung der Venenklappen,
Ventile, die in ihrer Funktion denen am Herzen entsprechen. Im Normalfall
sorgen sie dafür, daß das Blut zwar vorwärts Richtung Herz,
aber nie zurückfließen kann. Sind die Venen jedoch überdehnt,
wendet sich der Lebensstrom phasenweise wieder vom Herzen ab. Es entsteht
eine ähnliche Sisyphussituation wie bei Herzklappeninsuffizienzen,
allerdings jetzt in einer ausgesprochen drucklosen Situation. Ärzte
sprechen von Varizen oder Krampfadern, Patienten klagen über schwere
Beine und nächtliche Krämpfe.
Normalerweise wird das Blut durch die Bewegung der Beinmuskeln und
das Pulsieren der benachbarten Arterien in den Venen langsam, aber sicher
Richtung Herz befördert. Beim meistens auch mit Hypotonie geschlagenen
»Bindegewebsschwächling« findet in den Arterien wie in
den Muskeln der Beine offenbar zuwenig Bewegung statt. Konkret und im Übertragenen
gibt es zuviel Stillstand und zu wenig Bewegung. Die nur träge ausgesandte
Lebensenergie kommt noch träger bzw. nicht mehr ausreichend zu einem
zurück. Die Orte des Blutstaus, hauptsächlich Unterschenkel,
in geringerem Maße auch Füße und Oberschenkel, zeigen,
wo das Problem sitzt. Besonders betont ist mit den Unterschenkeln der Sprung-
und Fortbewegungsbereich und damit die entsprechenden Themen: Einmal mehr
geht es um Bewegung und letztlich um innere, was sich an den symbolischen
äußeren Orten abzeichnet. Träge und sich fast im Kreise
drehend - statt zielstrebig nach vorne -, entwickelt sich der Lebensstrom
dieser Menschen und damit ihr ganzes Leben. Zeitweilig geht es sogar rückwärts.
Die körperlichen Folgen reichen von Ödemen über Krämpfe
bis zu Venenentzündungen und offenen Beinen. Aufgrund des Staus in
den Venen und der Umkehr der Strömungsrichtung kommt es zu Flüssigkeitsaustritten
im Bereich der Unterschenkel und Füße, das Blut versumpft im
wahrsten Sinne des Wortes im Gewebe. Das seelische Element, symbolisiert
im Wasser, ist nicht mehr in Bewegung, sondern im Stau. So bildet sich
ein starkes Kreislaufübergewicht in der unteren Körperhälfte
und damit eine Betonung dieses Poles. Das Gefühl der schweren Beine,
die einen kaum noch tragen, hat hier sein physisches Pendant. Schwerfälligkeit
und Erdgebundenheit spiegeln die seelische Situation in den Körper.
Statt Elastizität und Flexibilität haben sich Trägheit und
Brüchigkeit breitgemacht. Daß es sich nicht um eine Entspannung
im besten Sinne handelt, sondern um einen ziemlichen Krampf, verdeutlichen
die zum Namenspatron gewordenen Krämpfe. Besonders nachts versuchen
sie, den Betroffenen auf die Sprünge zu helfen. Schon die Tageszeit
verrät, daß es wohl weniger um physische als um seelische Sprünge
geht. Auch in den Träumen äußert sich ja wie in den Symptomen
des Körpers der tagsüber im Bewußtsein nicht geduldete
Schatten.
Das Ödem macht die sowieso schlecht durchbluteten Grenzen allmählich
atrophisch, d.h., die Haut verliert ihrerseits an Elastizität und
Anpassungsfähigkeit und wird buchstäblich dünner. Eine geringe
Verletzung oder Entzündung reicht nun schon, um ein Unterschenkelgeschwür
entstehen zu lassen. Die sogenannten offenen Beine sind zwar nicht direkt
gefährlich, jedoch äußerst lästig und heute schon
ein weitverbreitetes chronisches Alterssymptom. Die über lange Zeiten
vernachlässigte und minderdurchblutete Haut ist zusammengebrochen.
Im Beispiel von der Nation, die ihre Grenzländer aus Angst nicht
besiedelte, ist jetzt der Punkt erreicht, wo sich die Grenzen doch, und
zwar mit Gewalt, geöffnet haben. Das Lebenswasser tritt sogar über
die Grenzen, und alle Erreger können munter hereinspazieren. Tatsächlich
ist das für den Organismus eine Art Therapie, denn alles, was bisher
ängstlich innen verschlossen wurde, kann jetzt, wenn auch nur körperlich,
austreten. Therapeutisch müssen sich die Betroffenen nun sehr um ihre
Hautgrenze kümmern. Es wird ihnen zumindest physisch klar, was für
eine dünne und empfindliche Grenzschicht sie nur haben. Die oft über
Monate offenen Stellen und die Empfindlichkeit der Beine gehen vielfach
so auf die Nerven, daß nicht wenige Patienten sich eingestehen können,
daß sie generell eine recht dünne Haut haben. Täglich müssen
sie ihre offenen Wunden pflegen und die zusammengebrochene Haut durch geduldig
gewickelte Binden ersetzen. Das ist eine zwar späte, aber doch sehr
intensive Grenzpflege. Und täglich kommt es während der Verbandswechsel
auch zu kurzen Momenten der Offenheit.
Insofern verwundert es nicht, daß viele Patienten auf das Zupflegen
ihrer offenen Beine gesundheitlich sehr schlecht reagieren. Man bekommt
geradezu den Eindruck, sie bräuchten diese Ventile zur Entgiftung,
wie ja auch viele Naturheilkundige behaupten. Tatsächlich ist es sicherlich
ein Fortschritt, all das Gift, das sich in den Zeiten des Nachgebens und
Zurückweichens in der Seele gestaut hat, nun wenigstens symbolisch
über die Beine auszuscheiden. Insofern haben die Naturheilkundler
durchaus recht. Die Schulmediziner, die in den Ausscheidungen kein Gift
finden können, haben aber ebenfalls recht, geht es doch um eine eher
symbolische Entgiftung. Die Patienten brauchen die offenen Beine, weil
es ihre einzigen offenen Stellen sind. Das ist natürlich nur eine
Notlösung, aber immer noch besser als überhaupt keine Offenheit.
Mit Unterschenkelgeschwüren häufig vergesellschaftet ist
die Venenentzündung (Thrombophlebitis). Deren schlimmere Form stellt
die entzündliche Thrombose der tiefen Beinvenen dar, die das Blut
vermehrt in die oberflächlichen Venen treibt. Hier kommt es regelmäßig
zu Stau und Überlastung. In der Tiefe aber können sich die gefürchtete
Embolien bilden. Die oberflächlichen Entzündungen von Venenthrombosen
fördern die Entstehung von Unterschenkelgeschwüren. Die Betroffenen
befinden sich in einem verwickelten Teufelskreis. Auf der körperlichen
Ebene ist die Verlangsamung der Blutströmung die wesentlichste Entstehungsvoraussetzung.
Thrombosen bilden sich besonders nach erzwungener körperlicher Ruhe
wie z. B. nach Operationen oder jeder anderen ausgedehnten Bettruhe. Das
ist aber gerade der hauptsächliche Fluchtweg der Betroffenen. So treibt
sie ihre Reaktion auf ihr Symptom immer tiefer in die Symptomatik. Krampfadern
sind ein weiterer wichtiger Faktor, der die Venenentzündung begünstigt
und der durch sie gleichzeitig gefördert wird.
Während die Situation aber immer aussichtsloser wird, gewinnt
sie gleichzeitig an Deutlichkeit. Der Konflikt um das Thema Beweglichkeit,
der so lange schon unbewußt besteht, wird jetzt oberflächlich
sichtbar. In den Beinen tobt er gerade am symbolischen Ort der Bewegung.
Die Lebensenergie, deren Bestimmung der freie Fluß ist, stoppt, gerinnt
und zeigt, daß auf der übertragenen Ebene vieles steckengeblieben,
festgefahren und verklemmt ist. Die Fähigkeit, Standpunkte zu wechseln
und neue Gesichtspunkte ins Leben einzubeziehen, mag verlorengegangen,
die eigene Meinung über das Leben zu einem Urteil oder Vorurteil geronnen
sein. Das Stocken des Blutes zeigt nun sehr einsichtig, wie verstockt der
Patient in bezug auf seine Lebensenergie ist. Dem Ausspruch Heraklits,
»Alles fließt», setzt er sein »Alles stockt«
entgegen. Heraklit beschreibt das Phänomen des Lebens, der Patient
lebt den Zustand des Nichtlebens bei lebendigem Leibe. Fließen bedarf
des beständigen Wandels und der Anpassung an veränderte Gegebenheiten.
Hört der Mensch auf, zu fließen und sich zu wandeln, muß
sich das im Körper entsprechend in der Behinderung des Fließenden
zeigen.
Die anatomische Situation im Anschluß an eine Thrombose kann
zusätzlich einiges verdeutlichen. Mit dem Gefäßverschluß
entsteht eine Sackgasse für die Lebensenergie. In dieser ausweglosen
Situation und unter Druck des Staus versucht sich der Organismus mit einer
Politik der kleinen Schritte zu helfen. Neue Gefäßverbindungen,
sogenannte Anastomosen, werden geknüpft, Brücken zu noch intakten
Gefäßen geschlagen, um so die Lebensenergie auf Um- und Schleichwegen
doch noch an ihr Ziel zu bringen. Hieraus ließe sich der therapeutische
Hinweis lesen, auch mit der Lebensenergie im Übertragenen neue Wege
zu gehen, bisher ungewohnte Verbindungen zu knüpfen und im Bewußtsein
Brücken zu schlagen. Eine weitere Art, Auswege aus der Sackgasse zu
finden, ist die sogenannte Organisation der Thrombose. Kleine Gefäße
fangen an, die Staumauer des Blutgerinnsels zu durchwachsen, bis ein Gefäßnetz
entstanden und eine bescheidene Verbindung wiederhergestellt ist. Die Notwendigkeit
kleiner Schritte und bescheidener Lösungen, zu denen der bindegewebsschwache
Hypotoniker ja in vieler Hinsicht gezwungen ist, wird auch hierin angedeutet.
Die gefährlichste Komplikation der tiefen Beinvenenthrombose,
die Lungenembolie, bringt schließlich noch das Kommunikationsproblem
auf seinen brisantesten Nenner, indem sie die Lunge, das Organ des Austauschs,
dichtmacht. Findet seelisch kein Austausch mehr statt, muß der Körper
bis zum Äußersten gehen und in einem verzweifelten Versuch,
doch noch Beachtung für die eigentliche Tragödie zu erlangen,
seinen Austausch opfern.
Therapieansätze bei schwachem Druck und Bindegewebe
Zusätzliches Licht auf den ganzen Bereich des schwachen Kreislaufs
wirft die schulmedizinische Haltung, die in diesem Fall über weite
Strecken mit der der Naturmedizin übereinstimmt. In der Diagnostik
steht natürlich die Blutdruckmessung an erster Stelle. Weist der Patient
trotz typischer Beschwerden normalen Druck auf, liegt der Verdacht nahe,
daß die Untersuchungssituation, die ja immerhin sein eigentliches
Problem zutage fördern könnte, ihn aufregt. Dann hat er normalen
Druck, weil er sich gerade ausnahmsweise seinem Problem stellt und vor
dem Arzt (dazu) steht. In diesem Fall kann der sogenannte Stehtest weiterhelfen.
Der Patient muß zehn Minuten stehend beweisen, daß er in der
Lage ist, sich zu stellen. Der typische Hypotoniker wird das nicht ohne
Blutdruckabfall durchstehen und damit sich und seine Lebenshaltung entlarven.
In der Therapie heißt das eine große Wundermittel - wie
nicht anders zu erwarten - Bewegung. Nach dem heutigen Verständnis
von Schulmedizin und Naturheilkunde gleichermaßen: körperliche
Bewegung. Es handelt sich dabei wieder um den so naheliegenden Schritt
in den Gegenpol, und auch das nur auf der körperlichen Ebene. Die
Erfahrung stützt diese Therapie. Solange sich der Patient körperliche
Bewegung verschafft, hat er keine Symptome. Beendet er aber seine Bewegungstherapie,
kommen die Symptome zurück. Folglich wird ein langsam aufbauendes
Training empfohlen, das auf ausreichendem Niveau lebenslang durchzuhalten
ist. Über Spaziergänge geht es zu Dauerläufen, Schwimmen
und Bergsteigen. Wichtig ist, daß der Patient lange in Bewegung bleibt,
weshalb Intervall- oder Krafttraining weniger geeignet sind. Geringste
Unterbrechungen des Trainingsprogramms, etwa durch eine Grippe, ruinieren
den Effekt sogleich wieder, und alles muß von vorne beginnen.
Dem Patienten fehlen letztlich vielmehr innere seelische Bewegung und
geistige Spaziergänge, wobei die Voraussetzungen dafür erst zu
schaffen sind. Solange er aber in diesen Bereichen zu keinen Trainingsanstrengungen
bereit ist, wird durch die körperlichen Übungen wenigstens die
symbolische Ebene bearbeitet. Deren Effekt reicht jedoch kaum über
sich selbst hinaus. Bearbeitung ist so möglich und besser als nichts,
Erlösung des Themas aber nicht. Das kann wieder nur innerlich geschehen.
Vom noch bequemeren Weg über Medikamente sind sogar Schulmediziner
enttäuscht. Klepzig äußert sich entsprechend und bekennt,
daß die Mittel nur etwa eine Stunde wirken. Außerdem gewöhnt
sich der Körper an diese Chemikalien und macht so den Effekt immer
schneller zunichte, fast als wollte er sich auf diese banale Art nicht
unterstützen lassen. Das in dieser mißlichen pharmakologischen
Lage noch erfolgreichste Mittel heißt bezeichnenderweise Effortil.
Unschwer erkennt man in diesem Namen das englische »effort«
= »Anstrengung, Bemühung«. Nomen est omen, hier unternimmt
das Medikament die fällige Anstrengung stellvertretend für einen
selbst. Das aber funktioniert leider oder Gott sei Dank auf die Dauer nicht.
Neben ihrer schnell nachlassenden Wirkung haben Medikamente den Nachteil,
nebenbei abhängig zu machen. Die Patienten, mangels eigenen Halts
ständig auf der Suche nach verläßlichen Unterstützern,
greifen nur zu gerne zu solchen Strohhalmen. Auch wenn die Pillen medizinisch
längst nicht mehr wirksam und im wahrsten Sinne des Wortes zum Strohhalm
geworden sind, können die Patienten von ihnen nicht mehr lassen. In
diese unerfreuliche Situation rutschen auch die anderen Fitmacher nur zu
leicht. Kaffee, Tee und Sekt werden so zu Krücken, die scheinbar erst
das Stehen und Gehen ermöglichen, in Wirklichkeit aber Eigenständigkeit
und echten Fortschritt langfristig verhindern. Nikotin ist in dieser Situation
eine besonders unsinnige Droge. Sein Fitmacheffekt beruht von Anfang an
weitestgehend auf Einbildung, dafür verschlechtert es aber die sowieso
schon schwierige Durchblutungssituation wie keine andere Droge. Die Hände
und Füße werden noch kälter, die Kommunikationsprobleme
noch offenkundiger.
Im Bereich der Bindegewebsschwäche sind die Therapievorschläge
der Medizin genauso leicht deutbar. Kann das Gewebe den geweiteten, sich
träge schlängelnden Venen keinen Halt und keine Unterstützung
mehr geben, müssen Stützstrümpfe oder festgewickelte Binden
einspringen. Innerer Halt wird durch äußeren ersetzt. Auch hier
bekennt die Schulmedizin freimütig, daß mit ihren chemischen
Medikamenten gar nichts auszurichten ist. Die Naturheilkunde weiß
seit langem um die Wirkung der Roßkastanienextrakte. Die Kraft und
Vitalität dieses vollblütigen Baumes wäre schon das richtige,
nur reicht es nicht, sie als Salbe äußerlich aufzutragen oder
eingekapselt zu schlucken.
Beide Richtungen geben sich mit diesen unbefriedigenden Ergebnissen
um so leichter zufrieden, als der ganze Symptomenkomplex in keiner Weise
lebensbedrohlich ist. Im Gegenteil, die Hypotonie erhöht sogar die
Lebenserwartung in quantitativer Hinsicht. In qualitativer haben die Patienten
von ihrem verschlafenen Leben auf Sparflamme natürlich recht wenig
zu erwarten. Da aber in der modernen Medizin wie generell in unserer Zeit
Quantität weit vor Qualität rangiert, werden die Beschwerden
der Patienten nicht gar zu ernst genommen, jedenfalls nicht annähernd
so ernst wie die konträren des hohen Blutdrucks.
Wenigstens in diesem Punkt wird die Erwartungshaltung der Betroffenen
nicht erfüllt. Sie hätten zu gern, daß die anderen und
besonders die Ärzte die Kastanien für sie aus dem Feuer holen.
Die anderen sollen sich mal was einfallen lassen und zusehen, daß
es vorwärtsgeht, sie selbst sind ja viel zu schwach. Hier werden sie
von der Schulmedizin enttäuscht, und darin liegt deren einzig entscheidendes
Verdienst bei diesem Krankheitsbild. Im Idealfall würde so die Täuschung
beendet, daß es irgendeine äußere Lösung gibt. Schlechterenfalls
werden die Patienten durchs Leben getröstet mit Hinweisen auf ihre
adynamische Konstitution und anderen »stabilisierenden« Mitteilungen.
Solche Stabilisierung stabilisiert nur die Instabilität und verlängert
damit die Auszeit im Abseits des lebendigen Lebens.
Härter, aber heilsamer ist die Zurückweisung aller Projektionen.
»Hilf dir selbst, sonst hilft dir niemand« wäre die in
diesem Fall besonders empfindlich treffende Devise. Von angestrengten Forschungsbemühungen
der Wissenschaftler, der Hilfsbereitschaft des Arztes und den Versuchen
des Partners, sich stellvertretend besonders aktiv zu stellen und die Karriereleiter
hochzuklettern, kommt der hypotone Bindegewebsschwächling mit Sicherheit
nicht hoch, nicht einmal bis auf die eigenen Beine.
Statt auf andere zu projizieren und Hechtsprünge in den bewegten
Gegenpol zu machen, wäre wieder die Aussöhnung mit der eigenen
Misere zu empfehlen. In ihrer Symbolik liegt die Lernaufgabe und in deren
Annehmen, die Chance, den ersten Schritt in die richtige, weil eigene Richtung
zu finden. Jedes Symptom liefert ein Bild und neben der unerlösten
Ebene, unter der man leidet, auch eine erlöste, die Befreiung vom
abgebildeten Symptom verheißt.
Der Mensch mit niedrigem Blutdruck ist quasi auf den Boden gezwungen,
er ist niedergeschlagen und machtlos, wenn nicht gar ohnmächtig. Dieser
Zustand ist demütigend, enthält aber andererseits die Chance,
echte Demut zu lernen. Ein Annehmen der eigenen offensichtlichen Schwäche
kann der erste Schritt dazu sein.
Angesichts einer übermächtig erlebten (Um-)Welt fühlt
sich der Betreffende unfähig und meist sehr klein. Die eigene Kleinheit
vor dem Wunder der Schöpfung einzusehen und anzunehmen ist aber Voraussetzung
von Demut. Das Wort enthüllt einen Schritt, der sich gerade Hypotonikern
anbietet: De-Mut bedeutet »weg vom Mut», vor allem vom Hoch-
Mut, aber auch vom Wage-Mut und den anderen Spielarten des Mutes. Mut birgt
den Willen zu Kampf und Auflehnung in sich, für den Schüler der
Demut aber geht es darum, sich zu fügen und bewußt und ohne
Groll nachzugeben. Der Hypotoniker ist schon so nahe daran, er muß
wirklich »nur« noch bewußt annehmen, was ihm sowieso
dauernd geschieht, und bewußt zu dem stehen, was er bereits die meiste
Zeit über tut. Er liegt der Welt zu Füßen, erniedrigt sich
vor allen und allem.
Einige Heilige wie Franziskus von Assisi und die heilige Klara haben
solche Übungen zum Teil ihres Weges gemacht. Sie haben auf diesem
Weg Erfüllung gefunden anstatt Überfüllung ihrer Blutwege.
Den Rückzug in die eigene Mitte gilt es zu akzeptieren, das Schneckendasein
bewußt zu leben: alles sehr langsam und im Schneckentempo erledigen,
aber stetig wie das Totemtier. Die Eremitage im Inneren des eigenen Hauses
nutzen und schließlich vielleicht sogar genießen. Die letztlich
größeren Entwicklungschancen liegen innen in einem selbst und
weniger in der äußeren Welt. Wenn es ständig schwarz wird
vor den äußeren Augen, ließe sich darin die Aufforderung
erkennen, mit den inneren schauen zu lernen, sich von Mutter Erde auffangen
und tragen zu lassen. Die Ohnmachten wären Übungen, auf der symbolischen
Körperbühne Macht und alle Ansprüche daran bewußt
loszulassen und die Tiefe einer anderen Dimension zu erreichen.
Das mögen sehr extreme Ratschläge in einer Zeit sein, die
ganz auf die Macht des Machbaren setzt. Andererseits sind sie nicht radikaler
als das Leben, das die Betroffenen von ihren Symptomen aufgezwungen bekommen.
Freiwillig anzunehmen, was sich einem aufdrängt und sowieso nicht
ändern läßt, setzt keinerlei religiöse Überzeugung
voraus, sondern eigentlich nur gesunden Menschenverstand. Alle Symptome
betonen dieselbe Richtung.
Ein blasses Leben mag frustrierend sein, es war aber auch der Ausgangspunkt
vieler Sucher auf dem Weg zu einem reicheren und farbigeren inneren Leben.
Ständig schwere, des Laufens müde Füße zu haben zieht
einen hinunter - stimmungsmäßig und konkret. Zugleich bringt
es aber der Erde und Mutter Erde näher, dem weiblichen Pol und dem
Ursprung allen Lebens damit. Bewußt erlebt, könnte sich aus
dieser Erfahrung ein Gefühl von Erdverbundenheit und Verwurzelung
entwickeln. Die Schwerkraft der Erde und die Schwere des weiblichen Wasserelementes,
das sich in den eigenen Beinen staut, legen es nahe. Mutter Erde ruft gleichsam
ihre Kinder zu sich zurück. Selbst noch die in Schleifen dahinmäandernden
Venenflüsse zeichnen mit ihren Schlangenlinien urweibliche Muster
und setzen sich damit in Gegensatz zur männlichen Geradlinigkeit.
Der Schwindel zeichnet dieselben Kreisbewegungen, nur weniger materiell.
Sich bewußt drehen zu lassen und in den Kreis des natürlichen
Lebens einzufügen, könnte die darin verborgene Lernaufgabe sein.
Solche weibliche Symbolkraft im Seelischen wirken zu lassen, würde
die körperliche Ebene entlasten.
Körperliche Empfindlichkeit und Beeindruckbarkeit ließen
sich im Seelischen als Empfindsamkeit und Sensibilität verwirklichen.
Nachgiebigkeit und Konturlosigkeit könnten zu Anpassungsfähigkeit,
Elastizität und Flexibilität werden. Die Weigerung, körperliche
Grenzen herauszufordern, könnte in die bewußte Aufgabe seelischer
Grenzen münden und damit in grenzenlose Liebe. Der Misere könnte
die »misericordia«, das Mitleid, entwachsen. Aus der Erkenntnis
aber, daß alles Leben Leiden ist, folgt, daß alles Leben Mitleid
verdient. Womit uns das Elend der Hypotonie zu einer der Grundwahrheiten
des Buddha geführt hat.
Der hohe Anspruch dieser Lernaufgaben zeigt schon, wieviel erreicht
ist, wenn es gelingt, sich bewußt auf sie einzulassen. Wer sich ganz
auf die Mitte seines Schneckenhauses konzentriert und Ordnung darin schafft,
wird notgedrungen die eigene Mitte entdecken. Das archetypische Muster
der Spirale garantiert dafür. Aus dieser Mitte aber wird sich alles
andere wie von selbst ergeben, auch all die ersehnten Eigenschaften des
Gegenpoles wie Handlungsfähigkeit und Standfestigkeit, Beweglichkeit
und Großmut. Und jener Mut, der aus echter Demut gewachsen ist, unterscheidet
sich wesentlich von jenem, mit dem auf der anderen Seite Hypertoniker versuchen,
die Welt aus den Angeln zu heben. Wer ganz in die eigene Schwäche
eindringt und sich ihr ergibt, wird auf ihrem Grund eine Stärke finden,
die ihresgleiehen sucht.
Ein östliches Bild macht das deutlich. Der Tai-Chi-Meister ist
so nachgiebig in seinen Bewegungen, so fließend und geschmeidig,
daß der kleine Vogel, der auf seiner Schulter Platz genommen hat,
nicht mehr wegfliegen kann. Immer wenn er sich abstoßen will, gibt
die Schulter des Meisters nach. Der Vogel ist gefangen und entmachtet von
Nachgiebigkeit und Weichheit. Die Macht der Härte und des Kampfes
hätte nicht vermocht, was der Macht der vollkommenen Anpassung ein
Kinderspiel ist.
Im Tai-Chi-Symbol (Abb. 5) nimmt diese zeitlose Weisheit Gestalt an.
Im tiefsten weiblichen Yin findet sich dort der Gegenpol des männlichen
Yang und umgekehrt. Wenn das Weibliche sich ganz nach innen wendet und
immer weiblicher wird, muß es schließlich in seinem Kern der
Stärke begegnen. Das wird nun keine protzende Kraftmeierei mehr sein,
sondern echte Stärke, die letzte Macht. Dieses Wissen liegt wohl auch
der christlichen Anweisung zugrunde:
»Wenn dich jemand auf die rechte Backe schlägt, halte ihm
auch die linke hin.« Wer dem wirklich aus seinem inneren Gefühl
heraus nachleben kann, ist natürlich weiter und mächtiger als
jener Scheinmächtige, der sogleich mit physischer Kraft zurückschlägt.
Die Lernaufgabe der Hypotonie wird zugleich betont und
Abb.
5
erschwert durch die soziologische Verteilung des Symptoms und die gesellschaftliche
Situation. Niedriger Blutdruck ist ein Symptom, das eine enorme Dominanz
bei Frauen hat, ähnlich wie sich auf dem Gegenpol hoher Blutdruck
bei Männern häuft. All die sich aus den Symptomen ergebenden
vorrangigen Lernaufgaben klingen wie ein Hohn auf die Ziele der Frauenbewegung
und ihre Emanzipationsbestrebungen. Deren Anhängerinnen wollen ja
gerade heraus aus dem Schneckenhaus, aus der Abhängigkeit und frei
und selbständig schalten und walten. Ihr Ideal ist ein männliches,
und sie bemühen sich, männliche Machtpositionen zu erobern. Mit
einem niedrigen Blutdruck bleibt das aber ein recht aussichtsloses Unterfangen;
frau ist gefangen in ihrer Konstitution und müßte über
den eigenen Schatten springen. Das aber bleibt im allgemeinen ein mutiger
Wunschtraum. Der eigene Schatten läßt sich nicht überspringen,
sondern höchstens erlösen, und das ist schon schwer genug.
Damit sei kein Urteil über die Frauenbewegung abgegeben - oder
vielleicht nur jenes, daß ihre Ziele sehr verständlich sind
wie alle Sehnsucht nach dem Gegenpol, daß sie aber für all die
Frauen mit schwachem Kreislauf den zweiten Schritt vor dem ersten fordert.
Wenn das körperliche Erbteil in einer weichen weiblichen Ausstrahlung
besteht mit blondem Haar und blauen Augen und Flecken, schwachem Bindegewebe
und ebensolchem Blutdruck, dann ist es offensichtlich Aufgabe, diese Weiblichkeit
zu leben und zu erlösen. Aus dem Zentrum der Weiblichkeit wird sich
schließlich jene Kraft ergeben, die sich durch noch so viele Rhetorikseminare
oder Bodybuildingstunden nur scheinbar gewinnen läßt.
Natürlich hat jede Frau in sich auch einen männlichen Pol,
von Jung Animus genannt, wie auch jeder Mann einen weiblichen Teil, die
Anima, in sich trägt. Im allgemeinen ist es Aufgabe, zuerst den durch
das eigene Geschlecht angegebenen Teil zu leben und zu erlösen, insbesondere
wenn dieser Teil stark betont ist. Den sichersten Wegweiser aber geben
die Symptome ab, zeigen sie doch, was von der Lebensaufgabe in den Schatten
verdrängt wurde und nun auf Erlösung drängt.
aus =>
»Verdauungsprobleme« :
Hämorrhoiden
Das griechische Wort »haimorrhoides« (= »Blutfluß«)
nimmt Bezug darauf, daß Hämorrhoiden leicht bluten, besonders
bei der Stuhlentleerung. Anatomisch handelt es sich um Erweiterungen der
analen Venen, die oft als Knoten tastbar sind. Bei den äußeren
Hämorrhoiden sind die perianalen (= »um den Anus herum«)
Gefäße erweitert, bei den inneren das sogenannte Corpus cavernosum
recti, ein venöses Geflecht am Ende des Rektums, das zur Feinabdichtung
(des Anus) dient und z. B. das Heraustropfen von Flüssigkeit verhindert.
Im Anfangsstadium sind die Venen wie Krampfadern (am Bein) lediglich erweitert,
in chronischen Situationen kann es, wie bei anderen Krampfadern auch, zu
Thrombosen kommen. Besonders diese wirklich harten Knoten führen nicht
selten zu Schmerzen, vor allem bei der Stuhlentleerung. Ansonsten verursacht
hauptsächlich ein unangenehmer Juckreiz Beschwerden.
Vor der Konfrontation mit diesem unangenehmen, zu einer wahren Volksseuche
angeschwollenen Problem lohnt es, den Schauplatz der Handlung genauer unter
die Lupe zu nehmen. Es ist der Anus (»Ring«), jener höchst
anrüchige Ring(muskel), der die Unterwelt nach draußen verschließt.
Er bezeichnet gewissermaßen den negativen Höhepunkt unserer
gesellschaftlichen Schmutzphobie, einen wirklichen Tiefpunkt sozusagen.
Wenn wir einem Menschen anbieten, er solle uns am Arsch lecken, kann er
in unseren Augen nicht mehr tiefer hinabsinken. Der Einschluß dieses
heiklen Bereiches in sexuelle Praktiken deutet an, daß einem an dem
betreffenden Menschen wirklich alles, sogar das zuhinterst Rangierende
lieb ist. Die Benennung »du Arschloch« ist schließlich
die gröbste denkbare Beleidigung und dafür von erstaunlicher
Popularität. Der Arsch der Welt ist sozusagen der allerletzte Platz
auf dieser (Körper-)Welt.
Dieser schattige, von allen gemiedene und aus dem Bewußtsein
verdrängte Ort ist ausgerechnet die Heimat der Hämorrhoiden.
Über sie holt er sich viel von jener Aufmerksamkeit, die ihm bewußt
verweigert wird. Das penetrante Jucken führt nicht wenige Hände
zur Besänftigung in jene verbotene Region - ganz heimlich und verstohlen
natürlich, wie es sich für solch einen verachteten Platz gehört.
Die gestauten Gefäße der Hämorrhoiden sprechen dafür,
daß es im Leben des Betroffenen ein Hindernis gibt, vor dem sich
seine im Blut symbolisierte Vitalität staut. Tatsächlich sitzt
dieser Mensch auf seinen Knoten, anstatt sie zu lösen. Auf Problemen
zu sitzen ist selbstverständlich unangenehm, und so zeigt der Körper
nicht nur die Situation in schonungsloser Offenheit, er sorgt auch gleich
für einen Ausweg, indem er den Betroffenen auftreibt. Sitzenbleiben
tut in dieser Lage einfach zu weh, er kann sich im wahrsten Sinne des Wortes
nicht durchsetzen. Vor Unbehagen richtet er sich auf und entlastet so seinen
überstrapazierten Hinterausgang. Genau darum geht es letztlich, allerdings
im Übertragenen: Sich aufzurichten, aufzustehen für die eigene
Sache und sich gerade zu machen.
Die typische Haltung des Hämorrhoidenpatienten entlarvt aber die
diesbezüglichen Schwierigkeiten, neigt er doch vielmehr dazu, die
Pobacken zusammenzukneifen und überhaupt zu kneifen. Es ist das die
typische Haltung des Schwanzeinziehens. Aus der direkten Konfrontation
verdrückt er sich lieber, und so gerät die »verdruckste«
Energie ins Hintertreffen. Die Schüsse, die nach vorn nicht gewagt
werden, gehen auch nach hinten noch nicht los, werden aber hier schon mal
gestaut. Und bevor dem Betroffenen der Kragen platzt, platzen noch eher
die Knoten, die seinen Hinterausgang blockieren. Typischerweise bringt
das eine gewisse Entlastung, Druck und Juckreiz lassen vorübergehend
nach. Dauerhaftere Erleichterung allerdings würde das Druckablassen
im übertragenen Sinne und an der richtigen Stelle verschaffen.
Die Versuche, den Druck hintenherum abzulassen, werden vom Körper
als Umweg entlarvt. Sie sind nicht nur schmerzhaft, sondern bringen auf
die Dauer auch keine Entlastung. Andererseits juckt dieser indirekte Weg
hintenherum den Patienten (in seinem Hauptsymptom) unverkennbar. Der direkte
Weg ist ihm zu gefährlich, und so versucht er den Druck immer wieder
hinterrücks abzulassen. Er erleidet das Schicksal aller klassischen
Drückeberger. Bei dem Versuch, sich vor dem Druck zu drücken,
wird dieser immer erdrückender, und jeder scheinbare Ausweg erweist
sich letztlich nur als Abweg(ig).
Um aber nach vorn zu agieren, ist der »Druckauslöser«
bzw. die Angst vor ihm zu mächtig. Betrachtet man die klassischen
Situationen, in denen sich Hämorrhoiden bilden, so findet sich praktisch
immer von einer Übermacht ausgehender Druck, der nicht nach außen
abgeleitet werden kann. Typisch ist etwa die Hämorrhoidenentstehung
beim Militär während der Grundausbildung. Die medizinische Erklärung
für diese auffällige Häufung wird zumeist in kausalen Gründen
gesucht, z. B. oft auf kaltem Boden sitzen zu müssen. Sicherlich ist
das Hinterteil von jungen Soldaten weder warm noch weich gebettet. Andererseits
ist eine entsprechende Symptomhäufung bei Pfadfindern in ähnlichen
Situationen unbekannt.
Viel eher als der kalte Boden dürften die kalten Füße
der Soldaten im übertragenen Sinne von Bedeutung sein, die Angst nämlich
vor den Vorgesetzten und der übermächtigen Maschinerie. Sie haben
keinerlei Chance, den auf sie ausgeübten Druck zurückzugeben,
und so geht der Schuß bzw. Druck nach hinten (In Extremsituationen
können sogar konkrete Schüsse nach hinten gehen. Die sehr hohe
Zahl gefallener Einsatzoffiziere im Vietnamkrieg soll vor allem auf solche
Schüsse zurückzuführen sein. In eine ausweglose Situation
gebracht, für ein Ziel in den Kampf gezwungen, an das sie nicht glauben
konnten, den eigenen Tod vor Augen, drehte eine Minderheit der Soldaten
einfach um; wenn es nicht anders ging, auch ihr Gewehr. Die Mehrheit folgte
ihren Offizieren bzw. ging ihnen in Vietnam folgsam voraus. Sie ließen
ihren Druck nach vorne ab, wo er sich in vielen Massakern entlud, oder
sie nahmen ihn nach innen. Eine der dann noch harmloseren Folgen dürften
Hämorrhoiden gewesen sein.). Der typische preußische Soldat,
bis zur Selbstaufgabe gedrillt und mit Kadavergehorsam begabt, knallt die
Hacken und kneift die Pobacken zusammen, damit ihm ja kein echtes Gefühl
aus seiner Beckenschale entweicht. Er ist der Prototyp des Hämorrhoidenträgers.
In einer ganz anderen Kultur unter ganz anderen Umständen gibt
es ebenfalls eine auffällige Häufung von Hämorrhoiden: bei
jungen Mönchen während ihrer ersten Zeit im Zenkloster. Die wesentliche
Parallele liegt hier in der druckvollen, absolute Disziplin erfordernden
Autorität, der beide Gruppen ausgesetzt sind. Im ersten Fall können
sich die Soldaten nicht wehren, im zweiten wollen es die Mönche nicht,
schließlich sind sie freiwillig gekommen, um sich der Autorität
zu unterwerfen. Sie sollen nicht lernen, sich durchzusetzen, sondern ihre
Probleme im Zazen, der klassischen Sitzmeditation, durchzusitzen. Manch
unbewußter Geistesknoten wird da mobilisiert, und wenn er nicht konfrontiert
wird, hinterrücks spürbar. Auch wenn solche Knoten noch so drücken,
können sie mit dieser Meditationstechnik mit der Zeit auch wieder
gelöst werden. Auch die jungen Soldaten finden nach überstandener
Grundausbildung zumeist andere Ventile, um sich Luft zu verschaffen. Diese
sind zumeist genausowenig elegant wie die Orte der Entlastung, aber insofern
wirksam, als sie die Knoten am Hintern wieder (über)flüssig machen.
Die Grundsituation ist eine der Unterdrückung durch eine übermächtige
Autorität, die nicht akzeptiert, sondern vielleicht sogar gehaßt
wird. Hämorrhoiden stellen gleichsam einen (unbewußten) »Autoritätskonflikt
unter der Gürtellinie« dar. Die Autorität erscheint den
Betroffenen dabei so überlegen, daß eine direkte Konfrontation
für sie nicht in Frage kommt, sondern nur der indirekte Weg durch
die Hintertür. Aber selbst dieses Aufbegehren kann sich der Patient
in seiner Situation des Ausgeliefertseins nicht eingestehen und drängt
es ins Unbewußte ab. Das Gefühl von ohnmächtiger Angst
muß so stark sein, daß er sich auch nicht erlauben kann, seinem
Druck in lautstarkem Stänkern Luft zu verschaffen. Er versucht im
Gegenteil noch in dieser Situation die verräterischen Abgase zurückzuhalten
und seinen Hinterausgang hermetisch zu verriegeln, indem er die normalen
Verschlußmechanismen durch zusätzliche Barrikaden verstärkt.
Von seinem Druck loszulassen fällt dem Patienten andererseits
auch deshalb »blutig« schwer, weil in diesem Bereich die zweite
Wurzel seines Problems liegt. Die Angst und damit Enge steht ihm im Weg,
wie er bei jedem diesbezüglichen Versuch auf der Toilette schmerzhaft
erleben muß. Häufig ist er verstopft, und viele Mediziner halten
das sogar für die »Ursache« der Hämorrhoiden. Tatsächlich
ist es nur ein Glied in der Kette, die da heißt »Nicht-loslassen-Können«.
Wie ein Stöpsel versperren die Knoten den Ausgang. Bei den inneren
Hämorrhoiden ist es der natürliche Absperrmechanismus, der hier
seine Aufgabe erheblich übertreibt. Aber auch äußere Knoten
versperren noch sehr drastisch und effektiv den Hinterausgang der Körperwelt.
(Verstopfung:)
Trotz aller vor den Ausgang gebauter Barrieren muß der Betroffene
zumindest körperlich hin und wieder etwas los- und damit passieren
lassen. Wie hart ihn das ankommt, zeigen die damit verbundenen Schmerzen.
Wie sehr er an dem hängt, was er geben soll, verrät sein Stuhl.
Wenn der es schließlich geschafft hat, sich unter Mühsal an
den Knoten vorbeizudrücken, klebt nicht selten Blut daran. Zwar blutet
dem Patienten nicht wirklich das Herz, sondern der Allerwerteste, aber
letztlich kommt doch alles Blut vom Herzen. Außerdem kann es in diesem
Fall gut sein, daß der Allerwerteste - nomen est omen - mit seinem
Bezug zur Materie als wertvoller empfunden wird als das Herz. Schließlich
handelt es sich bei den Verstopften in der Regel um Menschen, denen der
im Kot symbolisierte materielle Reichtum besonders am Herzen liegt. Wie
man von Blutgeld spricht, böte sich hier der Ausdruck »Blutstuhl«
an. Blutgeld bekommt man für einen Verrat an den Lebensrechten von
jemand anderem, »Blutstuhl« durch einen Verrat an den eigenen
Lebensrechten. Jemanden bluten lassen meint ihn materiell ausnehmen, sich
selbst bluten lassen bedeutet folglich, die eigene materielle Basis des
Lebens davonfließen zu lassen.
Noch deutlicher wird die Thematik im chronischen Stadium, wenn das
Blut in den Knoten gerinnt. Der Lebensfluß, die Vitalität, sitzt
dann nicht nur fest, man sitzt auch noch selbst darauf.
Hinzu kommen die Probleme, die sich hinter Bindegewebsschwäche,
Krampfader- und Thromboseneigung verbergen, die eine wesentliche körperliche
Voraussetzung für Hämorrhoiden bilden. Etwa die beunruhigende
Tatsache, daß man seine ganze Vitalität zwar bereitwillig von
Herzen ausschickt, daß sie aber nicht in angemessener Weise zurückfließt,
sondern tatsächlich am Arsch der (Körper-) Welt landet.
Die eigene Verstocktheit kann in dieser Lebenssituation schmerzlich
bewußt werden. Man bemüht sich zwar, aber es kommt im wahrsten
Sinne nichts dabei heraus, sosehr man sich den »Arsch auch aufreißt«.
Diese verkrampfte Bemühung, letztlich am verkehrten Ort, zeigt auch
der Ausdruck »Krampfadern am Hintern«. Bei jedem Toilettenbesuch
kann der blutige Konflikt ums Hergeben akut aufbrechen.
Ein ganz normaler Autoritätskonflikt, bei dem man gehörig
unter Druck gerät und in seinem Lebensfluß eingeengt wird, wird
sich am ehesten in der Einengung der Gefäße und entsprechendem
Hochdruck zeigen. Druck dagegen, dem man nicht ausweichen und den man geradeheraus
nicht wieder ablassen kann, der indirekt ausgeübt oder von einer unangreifbaren,
übermächtigen Instanz ausgeht, wird die Tendenz entwickeln, sich
nach hinten zu befreien. Man stinkt dann gegen die Autorität an oder
stänkert an anderer Stelle herum. Traut man sich auch nicht, diesen
anrüchigen Ausweg zu benutzen, ist man reif für Hämorrhoiden.
Der letzte Ausweg ist einem dann verbaut, auch die unterste Ebene ist versperrt
und verklemmt. Die bayerische Mundart würde hier von einer wahrhaft
hinterfotzigen Lösung sprechen.
Die erlöste Ebene dieses Symptoms zeigt die sich blutig entleerende
Hämorrhoide. Es geht einem der Knopf auf, bzw. der Knoten platzt einem.
Auch der Chirurg therapiert in dieser Hinsicht stimmig und auf den Spuren
von Alexander dem Großen, der den Gordischen Knoten mit einem Hieb
durchtrennte. Der Stich mit dem Skalpell bringt Entleerung der gestockten
Lebensenergie und so wieder Fluß ins System. Konservative Therapiemethoden
sorgen ebenfalls für Durchfluß, indem sie das Hergeben erleichtern
und für künstlichen Durchfall bzw. sehr weichen Stuhl sorgen.
Alle Methoden, die mit Bädern den beleidigten Anus versöhnen
wollen, lenken genauso wertvolle Aufmerksamkeit an diesen verachteten Ort
wie einerseits dessen Jucken und andererseits das Kratzen des gestörten
Besitzers. Letztlich geht es darum, aufzustehen, sich zu stellen und, statt
sitzen zu bleiben, Druck abzulassen. Oder aber wirklich bewußt sitzen
zu bleiben wie der Zenmönch, um mit wachem Geist die Konfrontation
mit dem Problem auszuhalten. Würde solch ein Mönch aufstehen
und die gestaute Energie in Bewegung und Kampf ausdrücken, würde
er einen typisch östlichen Kampfstil wie etwa Aikido wählen.
Die Kampfenergie »hintenherum« ist charakteristisch für
die östlichen Kampfkünste, die niemals direkt und frontal angreifen,
sondern immer die Energie des Gegners für ihren Kampf nutzen. Es ist
das auch bei uns nicht unbekannte Prinzip, jemand mit dessen eigenen Waffen
zu schlagen. Zu einem ähnlichen Umgang mit Energie zwingen Hämorrhoiden
ihre Besitzer. Auch für den Autoritätskampf unter der Gürtellinie
gibt es dabei, wie die Kampfkunst des Ostens verrät, faire Regeln.